Der große Fett-weg-Schwindel

Fette Geschäfte: Schlankmacher sind teuer, wirkungslos und oft gesundheitsschädlich

Medizin. Schlankmacher sind teuer, wirkungslos und oft gesundheitsschädlich

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Helga Grassecker, 62, hat viele Methoden ausprobiert, um endlich abzunehmen. So viele, dass sie sich gar nicht mehr an alle erinnern kann. Nach und nach fallen der Oberösterreicherin die unzähligen ­Diäten wieder ein, der teure Saunagurt, die Badezusätze, die im warmen Wasser den Stoffwechsel wie von Zauberhand anregen sollten. Sogar in ein Gerät ließ sie sich sperren, bei dem nur ihr Kopf herausragte. „Ich war verzweifelt. Mir war nichts zu blöd, um es nicht auszuprobieren. Ich habe bestimmt Tausende Euro verpulvert“, erzählt die ehemalige Krankenschwester. Schon mit 18 hatte sie den Kampf gegen das Übergewicht aufgenommen.

Nachträglich betrachtet, war genau das ihr größter Fehler, denn nach ­jeder Diät stellte sich sofort der berühmte Jo-Jo-Effekt ein, sodass Grassecker in kürzester Zeit mehr zunahm, als sie zuvor abgenommen hatte – bis sie 135 Kilo wog. Erst nach einer Magenband-Operation klappte es. Sie wiegt nun wieder so viel wie mit 18 Jahren. „Ich wusste, wie riskant ein solcher Eingriff ist, aber ich hatte nichts mehr zu verlieren. Wer nicht in meiner Lage war, kann sich nicht vorstellen, wie das Leben als schwer Übergewichtige ist. Wie diese schmerzenden Blicke von Fremden sind, wie jeder Lokalbesuch zur Qual werden kann, da viele Stühle so viel Gewicht einfach nicht aushalten“, sagt sie.

Wie Helga Grassecker leiden laut dem jüngsten Ernährungsbericht aus dem Jahr 2008 40 Prozent der Bevölkerung an Übergewicht, 860.000 Österreicher sind als fettleibig einzustufen. Tendenz steigend. Und während immer mehr Verzweifelte auf der Suche nach der ultimativen Fett-weg-Methode sind, werden die Geschäftspraktiken der Schlankheitsindustrie immer skrupelloser und dreister – viele Angebote zur Gewichtsreduktion sind nicht nur extrem teuer und ineffektiv, sondern können die Gesundheit schädigen.

Da übermäßiges Körperfett in den hoch entwickelten Ländern ein immer größeres Problem darstellt, klassifizierte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Übergewicht sogar als globale „Epidemie“ und fordert nun alle Mitgliedsstaaten auf, eine gemeinsame Kampagne zu starten.

In Österreich sind bei Kindern im Alter zwischen sechs und 15 Jahren bereits rund 18 Prozent der Mädchen und 21 Prozent der Buben als übergewichtig oder adipös zu bezeichnen. Laut Experten könnte in zehn Jahren das Durchschnittsgewicht der Österreicher als „fettleibig“ eingestuft werden, sofern sich der Trend nicht stoppen lässt. Durch Übergewicht, daraus resultierende Folgekrankheiten wie Diabetes und Herzinfarkt oder indirekt durch Arbeitsunfähigkeit und Frühpensionierung entstehen jährliche Kosten, die allein in Österreich auf bis zu 1138 Millionen Euro geschätzt werden.

Schlankheitswahn.
Zu den gesundheitlichen Risiken und Folgeschäden kommen psychische Leiden, die durch ein überzogenes und medial gepushtes Schönheitsideal noch zusätzlich angefacht werden. Size-­Zero-Celebrities wie Victoria Beckham oder Kate Moss propagieren einen Schlankheitswahn, der auch Frauen mit durchschnittlichem Body-Mass-Index erfasst. Laut einer Schweizer Studie fühlt sich jedes vierte Mädchen zwischen neun und zwölf Jahren zu dick, ein Drittel davon hat bereits versucht abzunehmen. Laut einer Studie der deutschen Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analyse (Forsa) hat jede zweite Frau bereits eine Diät hinter sich. Zwei von zehn haben es schon mehr als fünfmal versucht. Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich weltweit mehr als zehn Milliarden Euro allein für Abnehmpräparate ausgegeben werden.

Das wahre Ausmaß der fetten Geschäfte lässt sich erst erahnen, wenn man die zahlreichen Schlankheitsversprechungen liest, die täglich in bunten Blättern und im Internet auftauchen. Allein unter dem Begriff „Abnehmen“ findet Google 4.210.000 Treffer.

Eines der besonders aufwändig beworbenen Beispiele ist die so genannte Injektionslipolyse, oft auch als „Fett-weg-Spritze“ bezeichnet, die in immer mehr Beautyfarmen angeboten wird. Mehrere, direkt in die Fettpolster verabreichte Injektionen mit der Substanz Lipostabil N sollen die überzähligen Kilos auflösen. Die Methode sei schonender und billiger als die herkömmliche Fettabsaugung, heißt es in der Werbung. Jede einzelne Sitzung kostet um die 200 Euro, meistens sind mehrere Sitzungen notwendig, sodass die Gesamtkosten schnell in den vierstelligen Eurobereich steigen. Arzneimittelspezialist Christoph Baumgärtel von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) warnt jedoch: „Dieses Präparat wurde nie umfassend für diese Art der Anwendung zugelassen. Lipostabil N darf laut Arzneizulassungsgesetz eigentlich nur intravenös verabreicht werden, um Fettembolien nach Unfällen oder Knochenbrüchen zu vermeiden.“ Wie sich die direkt in Fettpolster gespritzte Substanz auswirkt, ist somit niemals in klinischen Studien erforscht worden. „Die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Anwendung ist somit absolut unklar. Wir wissen nur, dass es zum Absterben von Fettgewebe, Infektionen oder unschönen Dellen und Narben kommen kann“, sagt Baumgärtel.

In einer ähnlichen Preiskategorie bewegen sich diverse Hormonkuren, die als absolut sicher und natürlich beworben werden – mit körpereigenen Hormonen werde der Stoffwechsel angeregt und der Grundumsatz gesteigert. Vorwiegend werden dabei Schilddrüsen- und Schwangerschaftshormone verwendet. Laut Baumgärtel handelt es sich auch dabei um eine missbräuchliche Verwendung von hochwirksamen Medikamenten: „Oft wird das Arzneimittel Thyrex verwendet, das eigentlich nur bei Schilddrüsenunterfunktion verabreicht werden soll. Hier wird absichtlich eine Hormon-Überdosierung hervorgerufen, um den Stoffwechsel auf Touren zu bringen.“ Dabei kann es zu gravierenden Kreislaufproblemen, Schwindel, Schweißausbrüchen, Zittern und im schlimmsten Fall zu Herzrasen und Herzinfarkt kommen.

Arzneimissbrauch.
Bei den fürs Abnehmen eingesetzten Schwangerschaftshormonen handelt es sich zumeist um Substanzen, die entwickelt wurden, um die Eierstöcke für In-vitro-Fertilisationen zu stimulieren. Ungewollte Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit sowie die Entstehung von Zysten oder Flüssigkeitsansammlungen im Bauch sind noch die harmlosesten Nebenwirkungen.

Der Wiener Stoffwechselspezialist Bernhard Ludvik versteht nicht, warum Ärzte und Schönheitsfarmen solche Kuren anbieten: „Es ist ein Wahnsinn, was hier passiert! Da werden nicht nur kleine Mengen, sondern Ross-Dosen verabreicht, die zu sämtlichen Nebenwirkungen bis hin zu Krebs führen können. Jedem Arzt, der so etwas ­anbietet, gehört sofort die Zulassung ent­zogen.“

Wie schwierig dieser Vorschlag in der Praxis umzusetzen ist, weiß der Biologe Bernhard Matuschak vom Verein für Konsumenteninformation: „Die Anbieter solcher Schlankheitskuren sind meist rechtlich sehr gut beraten und wissen genau, wie weit sie bei ihren Bewerbungen gehen können.“ Klienten müssen Verträge unterschreiben, die ihnen das alleinige Risiko übertragen. Und in ihrer Verzweiflung unterschreiben sie alles.
Das zeigen eindrucksvolle Fallbeispiele rund um die Schlankheitsstudio-Kette Figurella. Erst im vergangenen Sommer hatte eine Frau aus Oberösterreich erfolgreich geklagt, nachdem sie mit Sauerstoff behandelt worden war und ein Bewegungsprogramm unter einer Plexiglaskuppel durchführen musste. Dieses würde laut Information des Studios völlig für eine Gewichtsreduktion ausreichen. Der Erfolg blieb aus, die Kundin wollte von ihrem Vertrag zurücktreten. Figurella verlangte trotzdem 3000 Euro. Die Frau klagte das Unternehmen daraufhin mithilfe der Arbeiterkammer, das Landesgericht Linz gab ihr Recht.

Figurella besteht nunmehr seit über dreißig Jahren und wirbt damit, individuelle und erfolgreiche Programme zur Gewichtsreduktion zu erstellen. Klagen wie jene der Oberösterreicherin gab es immer wieder, sie taten dem Erfolg der Kette aber offensichtlich keinen Abbruch. „Leider wehren sich viel zu wenig geprellte Kunden, viele sind nach einer erfolglosen Gewichtsreduktion zu deprimiert“, meint Matuschak.
Mit der verzweifelten Suche nach einem wirksamen Schlankheitsmittel lässt sich viel Geld verdienen. Und offensichtlich ist den Kunden nichts zu teuer. So werden neben Hormon- und Spritzenkuren auch immer mehr physikalische Therapien als Alternative zur Fettabsaugung angeboten. Eine davon ist der so genannte Liposhaver. Mittels Infrarotstrahlung und niederfrequenter Radiowellen sollen dabei Fettzellen zertrümmert werden. „Das kann nicht funktionieren. In der Medizin sind Ultraschallwellen zwar im Einsatz, aber das nur hoch dosiert, um beispielsweise Nierensteine zu zertrümmern. Das ist aber eine sehr schmerzhafte Angelegenheit“, erklärt Ludvik.

Wunschdenken.
Laut dem Stoffwechsel­experten nutzen viele der angeblich effektiven Abnehmmethoden den so genannten „Sauna-Effekt“. Durch Wärme oder heiße Wickel wird der Schweißfluss angeregt und dem Körper Wasser entzogen. Dass damit Gewicht und etwas Körperumfang verloren gehen, wird oftmals als Abnehmerfolg verkauft. Dabei wird der Körper nur wie ein nasser Schwamm ausgedrückt, was im schlimmsten Fall sogar eine schwere Dehydrierung zur Folge haben kann. Fett wird dabei aber keines verbrannt.

Auch der Traum von der Wunderpille wird noch lange eine Wunschfantasie bleiben. Die Erfindung einer effektiven Abnehm­pille gleicht für die Pharmaindustrie der Suche nach dem Heiligen Gral, da sie sich davon noch weitaus höhere Gewinne verspricht als beispielsweise mit der Potenzpille Viagra. Trotz intensiver Forschung scheint eine Wunderpille ferner denn je. Im vergangenen Jahr mussten vier der bekanntesten Diät­pillen wegen heftiger Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen werden. Drei neu entwickelte, zur Zulassung eingereichte Präparate aus Amerika wurden schon in erster Instanz von den Gutachtern abgelehnt.

Laut dem Wiener Hormonspezialisten Anton Luger scheitert die Entwicklung einer effektiven Diätpille an der Komplexität des menschlichen Stoffwechsels: „Die Medikamente, die vom Markt genommen wurden, wirkten wie Psychopharmaka, die im Gehirn das Hungergefühl unterdrücken sollen. Dabei können aber beispielsweise auch Depressionen ausgelöst werden, da sie auf dieselben Rezeptoren wirken.“ Bereits im Jahr 2008 wurde das Mittel Acomplia vom Markt genommen, da es Depressionen und Angstzustände ausgelöst hatte, seit heuer darf auch der Appetitzügler Reductil nicht mehr vertrieben werden, da neben Depressionen ein erhöhtes Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt auftrat. Luger glaubt allerdings, dass es in naher Zukunft möglich
sein wird, ein Mittel zu kreieren, das nicht direkt im Gehirn, sondern über den Darm wirkt, der bei Nahrungsaufnahme über Botenstoffe ein natürliches Sättigungsgefühl im Gehirn auslöst.

Illegale Wege.
Angesichts dieser Tatsachen erscheint es umso kurioser, dass immer mehr Wunderpillen im Internet auftauchen. Grundsätzlich ist das Bestellen von Medikamenten über das Internet in Österreich verboten. Allein im Vorjahr konnte der Zoll mehr als 1300 illegal eingeführte, unterschiedlichste Diätmittel sicherstellen. Laut den Beamten dürfte dies nur ein winziger Bruchteil der tatsächlich im Internet bestellten Pillen sein. Bei Laboranalysen stellte sich heraus, dass die Pillen oft nur aus Staubzucker bestanden, teilweise aber auch giftige Stoffe enthielten. Sogar Todesfälle sind bekannt, die nach Einnahme von angeblichen Diätpillen auftraten. Im Jahr 2007 starb ein 19-jähriges Mädchen aus Hannover, nachdem es eine angeblich „natürliche“ Diätpille aus dem Internet geschluckt hatte. Die Tablette enthielt jedoch Dinitrophenol, das die innere Zellatmung blockiert und damit zu einer massiven Erhöhung des Grundumsatzes und der Körpertemperatur auf über 42 Grad führen kann, was bei dem Mädchen zum Tod führte.

Doch nicht nur der Griff zu illegal erhältlichen Pillen kann gefährlich sein, auch legal in der Apotheke erhältliche Substanzen sollten maximal als unterstützende Ergänzung angesehen werden. So auch die wenigen Medikamente, die heute noch zugelassen sind, wie Xenical und das rezeptfreie und stark beworbene Mittel alli. Beide beruhen auf dem Wirkstoff Orlistat, der die Fettaufnahme im Darm blockiert. „Die Einnahme der Pille heißt nicht, dass fette Speisen unkontrolliert verschlungen werden können. Im Gegenteil sollte unbedingt eine Diät gehalten werden. Das Fett wird durch das Medikament unverdaut ausgeschieden, und das kann
zu schwerem und unkontrolliertem Durchfall führen“, so Luger. Die ungezügelte Schlemmerei kann damit im wahrsten Sinne des Wortes in die Hose gehen.


Eine Übersicht über die bekanntesten Hilfsmittel samt Defiziten und möglichen Gefahren finden Sie im aktuellen profil 43/2010.