Finanzkrise fordert erstes Opfer

Wiener 'Constantia' vor Kollaps bewahrt

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Gestern noch grundsolide, heute ein Sanierungsfall – Donnerstagnacht vergangener Woche passierte also, was Marktteilnehmer seit geraumer Zeit befürchtet hatten: die erste echte Schieflage eines österreichischen Kreditinstituts. Die Constantia Privatbank AG, bis vor Kurzem erste Adresse für vermögende Privatkunden, musste gleichsam über Nacht vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. In den Tagen zuvor hatten Gerüchte die Runde gemacht, das kleine Geldhaus im Einflussbereich der Familie des verstorbenen Industriellen und Haider-Gönners Herbert Turnauer hätte massive Einlagenabflüsse zu verzeichnen. Allen Dementis des Managements zum Trotz mussten die Oesterreichische Natio­nalbank und fünf Großbanken in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober ein 450 Millionen Euro schweres Rettungspaket schnüren. Die kleine Privatbank erhält auf diesem Weg dringend benötigte Liquidität, im Gegenzug muss Turnauers Tochter Christine de Castelbajac ihre Eigentumsrechte an der Bank für einen symbolischen Euro abtreten.

„Die Lösung demonstriert, dass unser Notfallsplan greift“, betont OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny. „Es ist allerdings nicht so, dass der Fall Constantia die allgemeine Situation des österreichischen Bankenmarkts wiedergibt, es handelt sich hier um ein sehr spezielles Problem.“ Tatsächlich ist der Beinahe-Untergang der Privatbank auf deren verhängnisvolle Verflechtung mit den börsennotierten Immobiliengesellschaften Immofinanz und Immoeast zurückzuführen.

Obwohl die Constantia Privatbank mit einer Bilanzsumme von zuletzt 1,2 Milliarden Euro zu den kleinsten Geldhäusern im Lande zählt, hätte ein Zusammenbruch schwer wiegende Folgen für den Finanzplatz Österreich gehabt. Das Institut fungiert als Depotbank für immerhin 250 Investmentfonds. Im Falle einer Pleite wäre dieses Vermögen zwar nicht perdu – wohl aber auf Monate unantastbar gewesen, da der Masseverwalter aus Vorsichtsgründen alle Konten hätte sperren müssen. Bis zur Klärung aller Ansprüche wären Monate vergangen, was wiederum tausende Anleger in Bedrängnis gebracht hätte. Kleine Ursache, große Wirkung. Man stelle sich erst vor, was passierte, käme eine so genannte Systembank ins Schleudern.

Montag dieser Woche beschließt der Nationalrat das viel diskutierte Finanzmarkt-Stabilitätspaket. Die Grundzüge waren vorvergangenes Wochenende auf EU-Ebene abgestimmt worden. Österreich will demnach bis zu 100 Milliarden Euro zur Absicherung des heimischen Finanzsektors lockermachen. Das hat es in dieser Form überhaupt noch nie gegeben. 100 Milliarden entsprechen nicht weniger als 35 Prozent des heimischen Bruttoinlandsprodukts dieses Jahres. Mit anderen Worten: Jeder dritte Euro, der heuer in Österreich erwirtschaftet wird, könnte über öffentliche Haftungen und Kapitalzuschüsse in Banken und Versicherungen fließen. Würde diese Summe tatsächlich schlagend, worauf derzeit nichts hinweist, würde sich die Pro-Kopf-Verschuldung der 8,3 Millionen Einwohner dramatisch erhöhen: von rund 20.000 Euro auf fast 32.000 Euro. „Jeder muss ein Interesse daran haben, den finanziellen Blutkreislauf zu sichern“, meint OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny, „daher geht es nicht darum, den Steuerzahler allenfalls büßen zu lassen.“

Zu Redaktionsschluss wurde zwischen Bundeskanzleramt, Finanzministerium, Nationalbank, Finanzmarktaufsicht und Banken hektisch debattiert, wer in welcher Höhe welche Hilfe in Anspruch nehmen muss. Das Regierungspaket fußt im Wesentlichen auf zwei Säulen. Um den stockenden Interbankenmarkt wieder ins Laufen zu bringen und die Teilnehmer mit Liquidität zu alimentieren, will der Staat eine so genannte Clearingstelle bei der Oesterreichischen Kontrollbank einrichten und Haftungen übernehmen. Soll heißen: Der Staat bürgt dafür, dass die Banken ihren Zahlungsverpflichtungen untereinander weiterhin nachkommen. Darüber hinaus soll der Bund gegebenenfalls auch für Anleiheemissionen der Banken garantieren. Für beides wurde ein Garantierahmen von höchstens 85 Milliarden Euro eingerichtet. Sollte das nicht ausreichen, sind direkte Beteiligungen des Staates im Ausmaß von zunächst 15 Milliarden Euro vorgesehen. Ursprünglich sollte das Paket erst am 28. Oktober das neu konstituierte Parlament passieren. Nun wurde der eigentlich schon aufgelöste Nationalrat zu einer Sondersitzung für 20. Oktober zusammengetrommelt. Ganz offenkundig drängt die Zeit. Wie ausführlich berichtet, kursieren in den Chefetagen der heimischen Großbanken pessimistische Schätzungen. Demnach könnte die Finanzkrise die 2008er-Bilanzen des Finanzsektors mit einem Gesamtbetrag in der Größenordnung von gut einem, möglicherweise sogar zwei Prozent des österreichischen Bruttoinlandsprodukts belasten – also irgendwo zwischen drei und sechs Milliarden Euro.

Brandherd Osteuropa. Wie real die Bedrohung ist, hat nicht erst das Beispiel Constantia Privatbank gezeigt. Anfang vergangener Woche machten erstmals Gerüchte die Runde, Österreichs Kreditinstitute führten entwertete isländische Staatspapiere und Kreditlinien im Umfang von bis zu drei Milliarden Euro in den Büchern. Die kleine Insel im Atlantik steht bekanntlich vor dem Bankrott und hat den Internationalen Währungsfonds und Russland zu Hilfe geholt.

Die Erste Bank hat ihr Island-Exposure mittlerweile mit 300 Millionen Euro beziffert, die Bank Austria spricht von 100 Millionen. Die Raiffeisen-Gruppe nennt keine konkreten Zahlen. Spekulationen, wonach die aushaftenden Forderungen eine Milliarde erreichen sollen, werden aber vehement zurückgewiesen. Ungleich mehr Gefahr droht aus Osteuropa. Wie berichtet, spitzt sich die Situation nun ausgerechnet in jenen Ländern zu, in denen Bank Austria, Erste Bank, Raiffeisen und Volksbanken bisher überaus erfolgreich engagiert waren. In Ungarn fiel der Forint innerhalb weniger Tage ins ­Bodenlose, die Europäische Zentralbank musste der ungarischen Nationalbank mit einer fünf Milliarden Euro schweren Linie unter die Arme greifen. Gunter Deuber, Osteuropa-Analyst der Deutschen Bank, lässt mit einer alarmierenden Äußerung aufhorchen: „Das war eine Maßnahme zur Stärkung systemrelevanter Banken im Euro-Raum, das betrifft vor allem Banken aus Österreich.“

Ungarn ist für Bank Austria, Erste Bank, Raiffeisen und Volksbanken einer der wich­tigsten Auslandsmärkte. So gut wie alle Banken haben Fremdwährungskredite forciert – wobei im Unterschied zu Österreich nicht nur Immobiliengeschäfte, sondern auch Konsumgüter wie Autos in Euro oder Franken finanziert wurden. Der fallende Forint bringt nun viele Kreditnehmer und in weiterer Folge deren Kreditgeber in Bedrängnis.
Schlechte Aussichten. Noch düsterer ist die Lage in der Ukraine, wo vor allem Bank Austria und Raiffeisen International, börsennotierter Osteuropa-Arm des Raiffeisen-Sektors, investiert sind. „Das Land steht kurz vor der Zahlungsunfähigkeit“, skizziert Analyst Deuber. Doch anders als beim EU-Mitglied Ungarn ist keine Hilfe von der EZB zu erwarten.

Unwahrscheinlich, dass ausgerechnet Russland einspringt. Seit Jahren liegt Moskau mit der abtrünnigen Provinz wegen des Gastransits im Clinch. Dazu kommt, dass Russland derzeit auch mit der Finanzkrise zu kämpfen hat.
Selbst wenn sich derzeit kein österreichischer Banker in die Bücher schauen lassen will – die international tätigen Ratingagenturen haben bereits reagiert. Am Donnerstag vergangener Woche veröffentlichte Standard & Poor’s unerfreuliche Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung von Erste Bank und Raiffeisen Zen­tralbank (sie hält 69 Prozent an Raiffeisen International). Die Bonität der kurz- und langfristigen Verbindlichkeiten wurde zwar bestätigt; gleichzeitig aber wurden die wirtschaftlichen Aussichten für beide ­Häuser von „stabil“ auf „negativ“ gesetzt. In der profil vorliegenden Mitteilung von Standard-&-Poor’s-Analyst Markus Schmaus heißt es wörtlich: „Die Erste Bank wäre ob ihrer starken Position in der Region von einem wirtschaftlichen Abschwung in Zentral- und Osteuropa besonders betroffen.“ Und weiter: „Speziell die großen Engagements in Rumänien und Ungarn könnten die Erste Bank bei einer weiteren Verschlechterung des wirtschaftlichen Umfelds unter Druck bringen.“

Im Fall von Raiffeisen stehen vor allem die Aktivitäten in Russland (Raiffeisenbank ZAO) und der Slowakei (Tatra Banka) unter Beobachtung. Analyst Schmaus räumt der RZB-Gruppe zwar weiterhin intakte Wachstumschancen in Osteuropa ein. Gleichzeitig aber seien die Risiken erheblich gestiegen: „Durch Vertrauenskrise und allgemeine Risikoaversion sehen wir die Gefahr, dass Mittelzuflüsse beeinträchtigt werden könnten.“ Die nicht börsennotierte Raiffeisen Zentralbank hat noch Mitte September, also ehe hierzulande überhaupt von einem Rettungspaket die Rede war, den Beschluss gefasst, ihr Grundkapital zu erhöhen. Das Programm zur Eigenmittelstärkung ist am vergangenen Freitag angelaufen. Bis Anfang November werden die Aktionäre – allen voran acht Landesbanken – bis zu 167 Millionen Euro zuschießen.

Kaum Spielraum. Bei der Erste Bank ist die Situation ein wenig delikater. Sie notiert an der Börse und hätte im Lichte der desas­trösen Kurse (die Aktie stand zu Redaktionsschluss bei gerade noch 20,5 Euro) größte Mühe, an frisches Kapital zu gelangen. In diesem Kontext sind die Äußerungen von Michael Ikrath, Generalsekretär des Sparkassenverbandes und enger Vertrauter von Erste-Bank-Chef Andreas Treichl, zu sehen. „Wir müssen vor allem im internationalen Vergleich weiterhin ein attraktiver Geldgeber sein. Dazu brauchen wir eine starke Eigenmittelausstattung. Wenn wir es nicht aus eigener Kraft schaffen, müssen wir Kapital vom Staat holen.“

Technisch nachgerade unlösbar stellt sich die Lage bei Österreichs größter Bankengruppe, Bank Austria, dar. Sie steht im Eigentum der italienischen UniCredit-Gruppe. Sollte der auch für Osteuropa zuständige österreichische Teilkonzern ins Trudeln geraten, müsste die Mailänder Mutter, allenfalls auch die Regierung Berlusconi einstehen. Doch auch Politikern ist das Hemd näher als die Hose. Es darf bezweifelt werden, dass die Bank Austria in Mailand den gleichen Stellenwert genießt wie UniCredit. Die Republik Österreich hätte hier denkbar wenig Möglichkeiten, direkt einzugreifen. Das österreichische Rettungspaket sieht zwar in allerletzter Konsequenz auch die zwangsweise Enteignung schlingernder Banken vor – wie das bei international operierenden Konzernen in der Praxis ablaufen soll, ist jedoch völlig unklar. Sosehr die Notwendigkeit des nahenden Rettungspakets außer Frage steht, so umstritten bleibt dessen konkrete Umsetzung. Und zwar vor allem, wenn es um eine allfällige, direkte Staatsbeteiligung geht. Denn die Republik will kein Geld einschießen, ohne gleichzeitig die Spielregeln bestimmen zu dürfen. „Wir reden hier davon, dass sich Banken die Bonität des Staates zunutze machen. Daher hat der Staat auch das Recht, Bedingungen zu stellen“, sagt OeNB-Gouverneur Nowotny.

Die da lauten könnten: Kontrolle durch zusätzliche Aufsichtsratsmitglieder, Überwachung und gegebenenfalls Eingriff in das laufende Geschäft, die Einräumung einer Dividendengarantie nach Genesung sowie eine Deckelung der Vorstandsbezüge. Das klingt zwar einerseits plausibel, ist aber andererseits mit rechtlichen Unwägbarkeiten behaftet. Immerhin würde der Staat damit in die Eigentumsrechte anderer Aktionäre eingreifen. Umgekehrt hatte bisher niemand weltweit eine bessere Idee, wie taumelnde Banken gestützt werden könnten. Die Regierung umreißt die Notwendigkeit raschen Handelns in einem „Vorblatt“ zum Finanzmarktstabilitäts-Gesetz so: „Die Lösung des Problems ist die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage, welche den Bund in die Lage versetzt, im Bedarfsfall effizient, umfassend und rasch Maßnahmen zur Sicherung der Stabilität des Finanzmarkts … setzen zu können. Alternativen: keine.“

Von Michael Nikbakhsh, Josef Redl, Andrea Rexer und Ulla Schmid