Fischfang: Fisch in Seenot

Fischbestände wurden um bis zu 90 Prozent dezimiert

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Michael Hoppichler kommt aus dem Schwärmen kaum heraus. „Je mehr, desto besser“, sagt der Salzburger Stoffwechselexperte und meint damit den Verzehr von frischem Fisch aus dem Meer. Der Grund für die Begeisterung des Mediziners liegt an den Inhaltsstoffen der Flossentiere: Anders als Schweine- oder Rindfleisch enthält Fisch große Mengen Omega-3-Fettsäuren, die morsche Adern geschmeidig machen, die Fließeigenschaften des Blutes verbessern, Verkalkungen vorbeugen und den Cholesterinspiegel ins Lot bringen. So intensiv wirkt das Fischfett auf das Herz-Kreislauf-System des Menschen, dass es Herzinfarktpatienten in Pillenform verschrieben bekommen.

Fisch enthält zudem nur wenig Bindegewebe (Kollagen) und ist damit leichter zu verdauen als rotes Fleisch. Schon untersuchen Ernährungsexperten, ob Fischkonsum auch das Darmkrebsrisiko senkt. „Je mehr, desto besser“, bekräftigt Hoppichler. „Am besten, man isst pro Woche viermal Fisch.“ Allerdings solchen aus dem Meer, denn Süßwasserfischen wie Karpfen oder Forellen werden nur halb so hohe Heilkräfte nachgesagt wie ihren maritimen Cousins.

Zwar werden in Österreich im Schnitt nur 5,5 Kilogramm Fisch pro Kopf und Jahr verspeist – ein Spanier isst statistisch gesehen exakt zehnmal so viel –, doch dieser Wert bedeutet immerhin eine Steigerung von mehr als sieben Prozent seit Mitte der neunziger Jahre. Trendsetter sind die Gastronomen, die mit der leichten Kost junge Kundschaft anlocken wollen. „Je mehr Sterne an der Tür, desto mehr Fisch auf der Speisekarte“, beobachtet die Wiener Ernährungswissenschafterin Hanni Rützler. Für den Lokalkritiker Florian Holzer profitieren die Wirte vom guten Image frischen Fischs: „Durch seine helle Farbe wirkt Fisch rein und appetitlich. Nach diversen Fleischskandalen sind viele auf den Geschmack gekommen.“

Detaillierte Datenanalysen aus jüngster Zeit zeigen allerdings, dass es nicht mehr genug Fisch in den Weltmeeren gibt, um die steigende Nachfrage zu bedienen. 70 Prozent aller Fischbestände sind nach den Aufzeichnungen der Welternährungsorganisation FAO „überfischt“. Das bedeutet, dass die Fischer mehr Tiere aus dem Wasser zerren, als dort nachwachsen können. Seit den späten achtziger Jahren sinkt die Fischproduktion weltweit langsam, aber stetig.

Die parallel dazu steigende Weltbevölkerung lässt die Schere zwischen Angebot und Nachfrage erst recht auseinander klaffen. Konnte 1987 jeder Mensch pro Jahr noch durchschnittlich 14,6 Kilogramm Fisch konsumieren, standen 13 Jahre später nur noch 13,2 Kilogramm zur Verfügung. Der massive Ausbau von Fischfarmen, etwa zur Lachszucht, kann diesen Trend sogar noch verstärken: Schließlich müssen fünf Kilogramm Fisch verfüttert werden, um ein Kilogramm Zuchtfisch zu gewinnen.

Das billige Fleisch ist überdies häufig mit Giftstoffen verseucht, das hat der US-Toxikologe David Carpenter bei der Analyse von 700 Farm-Fischen aus 50 Regionen herausgefunden. Seine Empfehlung: Werdende Mütter sollten auf das Billigprodukt verzichten.

„Wir müssen jetzt handeln, um das Schlimmste zu verhindern“, fordert Daniel Pauly angesichts der Krise. Der kanadische Meeresbiologe war der Erste, der nicht nur einzelne Fischbestände in bestimmten Meeresregionen untersuchte, sondern eine systematische Analyse sämtlicher Weltmeere durchführte. Paulys Schlussfolgerung: „Nur wenn große Teile der Ozeane ähnlich wie Nationalparks an Land unter strengen Schutz gestellt werden, können sich die von der Ausrottung bedrohten Fische erholen“.

Im besten Fall ließe sich die arg dezimierte Unterwasserpopulation so weit aufpäppeln, dass schließlich mehr Fische gefangen werden könnten denn je. Rund um die Insel Saint Lucia ist das schon gelungen. 1995 wurden dort Buchten und Riffe, die für den Fischnachwuchs besonders wichtig sind, zu Schutzzonen erklärt. Seither ist der Fangertrag um bis zu 100 Prozent gestiegen.

Von solchen Erfolgen können die Fischer im Nordatlantik indes nur träumen. Die kanadische Meeresbiologin Julia Blanchard hat mithilfe eines ausgeklügelten Computermodells errechnet: Die gesamte Biomasse von Fischen mit einem Gewicht von mehr als vier Kilogramm beträgt heute nur noch 2,5 Prozent des Bestandes von vor 100 Jahren.

Zwar keimt bei derart drastischen und noch dazu auf Modellrechnungen beruhenden Zahlen der Verdacht auf, die Forscher dramatisierten ein wenig, um mit ihrer Botschaft auch wirklich gehört zu werden. Dagegen spricht allerdings, dass die Krise der Fischereiwirtschaft längst auch abseits von Zahlenspielereien am Computer unübersehbar ist. Allein zwischen 1990 und 1998 haben in der EU 66.000 Fischer ihren Job verloren – ein Viertel aller Beschäftigten. Einige jener Fischer, die noch Wasser unter dem Kiel haben, werden ihre arbeitslosen Kollegen möglicherweise sogar noch beneiden: zum Beispiel dann, wenn sie nach stundenlanger Fahrt wieder einmal mit leeren Netzen zurückkehren. Denn das Meer gibt immer weniger her. Kabeljau zum Beispiel: 1968 gingen den Fischern noch 1,25 Millionen Tonnen des Speisefisches ins Netz, der als Bacalao oder Fish ’n’ Chips serviert wird. 30 Jahre später gab das Meer nur noch 32.000 Tonnen her.

Kabeljau-Knappheit. Kabeljau wird deshalb allmählich zur teuren Delikatesse. Elisabeth Aibler ist seit zehn Jahren beim Wiener Frischfischvertreiber Eishken Estate für den Einkauf zuständig. „Als ich hier angefangen habe, konnten wir den Kabeljau noch um sechs bis sieben Euro pro Kilogramm verkaufen“, berichtet Aibler. „Heute kostet die gleiche Qualität fast das Doppelte.“

Je weniger Fisch gefangen wird, desto mehr steigt naturgemäß der Preis. Und je höher der Preis, desto eher lohnt es sich, auch noch die letzten Exemplare aus dem Wasser zu ziehen. Was dann passiert, zeigt das Beispiel Neuengland. Die einst überreichen Bestände, die mit ein Grund für den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg waren (siehe Kasten Seite 114), wurden über die Jahre drastisch dezimiert, heute ist der Fisch dort praktisch ausgerottet. In den Einkaufsführern von Umweltschützern wird daher eindringlich vor Kabeljau-Konsum gewarnt (siehe Kasten Seite 115).

Sind die Gewässer ausgebeutet, wird oft am Meeresgrund weitergejagt. Tonnenschwere Eisenrollen und Scherbretter werden von so genannten Trawlern über den Meeresgrund geschleift, um Flundern ins nachgeschleppte Netz zu scheuchen. „So ein Fanggerät zerstört alles, was ihm in den Weg kommt“, sagt die Meeresbiologin und Greenpeace-Aktivistin Antje Helms. Extrem langsam wachsende Kaltwasserkorallen und besonders artenreiche Unterwasserberge werden dadurch unwiederbringlich zerstört.

Wenn auch hier kein Fisch mehr zu holen ist, wechseln die Fischer das Revier. Dieses Prinzip lässt sich bis in die Frühzeiten der groß angelegten Fischerei beobachten: 1712 entdeckten Walfänger an der US-Ostküste, wie leicht es ist, die vor der kleinen Ortschaft Nantucket dümpelnden Pottwale zu erlegen. Kinder konnten ihre Väter vom Strand aus bei der Jagd beobachten. Nur 100 Jahre später waren die Wale im Atlantik nahezu ausgerottet, und die Männer segelten von Nantucket um Südamerika herum in den Pazifik, um dort Beute zu machen. Solche Jagdausflüge dauerten länger als drei Jahre – und lieferten mitunter sogar Stoff für Schriftsteller: 1819 brach der Walfänger „Essex“ in den Pazifik auf, wo ein wütender Pottwal das Schiff versenkte. Herman Melville ließ sich von den Überlebenden zu seinem Roman „Moby Dick“ inspirieren.

Fischer mit Fernweh. Heute verbrauchen die Trawler durchschnittlich eine Tonne Diesel, um eineinhalb Tonnen Fisch an Land zu ziehen. Das liegt daran, dass das bevorzugte Jagdrevier der großen spanischen, irischen und norwegischen Trawler die Küste Westafrikas ist. Die EU kauft von den Anrainerstaaten das Recht, EU-Boote in ihren Hoheitsgewässern fischen zu lassen.

Doch auch dieses Revier hat begrenzte Kapazitäten. Deshalb musste der irische Unternehmer Kevin McHugh seine 106 Meter lange schwimmende Fischfabrik „Veronica“ im Sommer von dort abziehen. Die 50 Mann an Bord können insgesamt 5000 Tonnen Fisch zerlegen, einfrieren und verpacken, noch während das Boot auf hoher See ist. Zurzeit liegt der stählerne Fischvernichter in australischen Gewässern vor Anker. Die Mannschaft wartet, bis McHugh mit den lokalen Behörden handelseins wird.

Kontrollierte Fischer. Während das Problem der Überfischung aus Europas Gewässern exportiert wird, beginnt hier die Schadensbehebung. Dazu hat der bislang für Fischereifragen zuständige Kommissar Franz Fischler das System der Fischereiüberwachung grundlegend reformiert. Ab Jänner 2005 wird die EU vorschreiben, wie lange jedes einzelne Boot auf Beutezug fahren darf. Jeder Trawler von mehr als 15 Meter Länge muss ab Jänner zwecks entsprechender Kontrollen einen GPS-Empfänger und eine Sendeanlage an Bord haben. In regelmäßigen Abständen ermittelt das Gerät die exakte Position des Trawlers und schickt die Daten via Satelliten an die europäische Überwachungszentrale, die im spanischen Vigo entstehen wird.

Das soll auch für einheitliche Regeln sorgen. „Bisher sind spanische Kapitäne von spanischen Behörden überwacht und bestraft worden, irische Kapitäne von irischen Behörden“, sagt der Däne Niels Wichmann, Chef der Europäischen Fischergewerkschaft. Deshalb gab es nie einheitliche Kontrollen und Sanktionen.

Ob das Reformpaket seinen Zweck erfüllen wird, ist jedoch ungewiss. Denn die halbherzige Überwachung der Fangquoten ist keineswegs das einzige Problem der europäischen Fischerei. Das Problem beginnt schon bei der Festlegung der jährlichen Fangquoten. Zwar lässt sich die EU vom International Council for the Exploration of the Sea (ICES) beraten. Dieser Verbund von insgesamt 1600 Wissenschaftern ermittelt den Zustand von 135 kommerziell wichtigen Fangbeständen und gibt auf Basis dieser Daten Empfehlungen. Ist ein Bestand stark geschrumpft, rät das ICES, diesen in Zukunft zu schonen. Hat sich ein anderer Bestand erholt, kann etwas mehr Fisch entnommen werden. Mitte Oktober forderte das Panel wieder einmal das völlige Verbot von Kabeljau-Fischerei in der Nordsee.

Frustrierte Forscher. Allein: Die ICES-Ratschläge werden beständig missachtet. Regelmäßig bedingen sich die Anrainerstaaten der jeweiligen Fischregionen Fangmengen aus, die im langjährigen Durchschnitt 30 Prozent über den ICES-Empfehlungen liegen. Im Jahr 2000 lag die von der Politik ausgehandelte Quote sogar um 50 Prozent über der ICES-Quote. Diese Praxis würde die „notwendigen politischen Kompromisse“ zeigen, formuliert der dänische ICES-Forscher Henrik Sparholt. „Aber natürlich ist es frustrierend, das mitanzusehen. Schließlich sind unsere Empfehlungen ja nicht aus der Luft gegriffen.“

Die Imbisskette Nordsee verlässt sich deshalb schon aus kommerziellem Interesse bei ihren langfristigen Planungen längst nicht mehr auf Fangquoten, sondern auf die ICES-Daten. „Deshalb wussten wir schon frühzeitig, dass wir die Scholle in unserem Programm reduzieren und durch die Limanda aus dem Pazifik ersetzen sollten“, so ein Nordsee-Sprecher. Auch der Nahrungsmittelkonzern Unilever wollte nicht länger zusehen, wie die eigene Geschäftsgrundlage zerstört wird. Gemeinsam mit dem World Wildlife Fund gründete der Konzern eine mittlerweile unabhängige Agentur, die Öko-Labels für nachhaltige Fischerei vergibt.

Wie nützlich der Rat der Wissenschafter sein kann, zeigt das Beispiel Norwegen. Die Heringsbestände vor der langen Küste standen vor dem Kollaps, als sich die Regierung zu einem strengen Moratorium entschied und fortan alle Anrainer aus den Gewässern fern hielt. Heute haben sich die Bestände erholt und gehören zu den wenigen im ganzen Nordostatlantik, die reichlich Beute abwerfen. Der Fischkonsum der Norweger ist mittlerweile auf 35 Kilogramm pro Kopf und Jahr angestiegen.