Fit durch Fun

Die Wirtschaft braucht die diffamierte Spaßgesellschaft.

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„Dort, wo man singt, da lass dich nieder“
Neo-ökonomische Weisheit

Diese Kolumne hat zum Ziel, einige Wirtschaftsfaktoren heilig zu sprechen, die von Frömmlern, Puristen und Propheten des Werteverfalls verflucht werden.

Im Einzelnen geht es um Teufelswerk wie Spiel, Sport, Sex, Spaß, Speis und Trank, Tanz, Tollerei, Luxus und andere unnötige Lebensverzierungen für Müßiggänger.
Die fiebrigsten Kreuzritter gegen alles vermeintlich Nutzlose und angeblich Gottlose kommen keineswegs aus der Kirche. Deren Geschichte, speziell jene der warmblütigen katholischen Kirche, ist randvoll mit den entzückenden Aufhellungen des Lebens. Das Bodenpersonal des Himmels ist für die genannten Teufelsfaktoren stets gern entflammt, wenn man vom Sport absieht: Die Asketen unter ihnen sind als Quarterbacks unvorstellbar, und jene mit allzu gutem Kampfgewicht, von Thomas von Aquin bis Kurt Krenn, haben ex logo keinen 100-Meter-Lauf gewonnen.

Um mit meiner Großmutter zu sprechen: In puncto Spaßgesellschaft haben wir den Kirchenherren keine Humorlosigkeit vorzuwerfen – „sie sind überall dabei, wo’s blau aussi raucht“.

Die wirklichen Widerständler gegen das leichtere Sein sind woanders zu suchen: unter den Unzufriedenen, die gerade im Abtreten sind; jene BürgerInnen, die aus der spannenden, oft mit Macht geschmückten Berufswelt in die Ungewissheit des Ruhestands gleiten, ohne die hoch gesteckten Ziele in Geld und Status erreicht zu haben. Seit jeher waren die Alten überzeugt, ihre Generation sei die letzte grandiose gewesen. Die nächste Generation – voll von Depperten und Verspielten – zerstöre, was man mühsam aufgebaut hat.

Da dies immer so war, wäre es nicht der Rede wert. Durch eine erstmalige Besonderheit aber wird diese Anfechtung gefährlich. Die Verdammung der so genannten Spaßgesellschaft ist töricht und kontraproduktiv.

Bis vor kurzem erzeugte die Wirtschaft vor allem physische 3-D-Produkte, die man angreifen konnte. Sie mussten in einer industriellen Welt mit Kraft und Disziplin hergestellt werden. Alles, was Spaß machte, galt als Arbeitskraftzersetzung. Allzu lustige Völkchen erzeugten einfach zu wenig Straßen, Häuser, Fabriksbauten und Maschinen, um international mithalten zu können.

Nun aber ist die dingliche Welt kleiner geworden. Die Nachfrage nach den herkömmlichen Produkten ist zwar keineswegs klein, kam aber auf hohem Niveau zum Stillstand. Viele Märkte sind gesättigt und leben von der Ersatzbeschaffung. Wachstum kann nur noch durch neue, oft nicht-dingliche Produkte garantiert werden. Ein Beispiel: Sobald die Mehrheit der Bevölkerung eine schöne Wohnung (und einen Schrebergarten oder eine Anglerhütte am Attersee) hat, wächst der Hochbau nicht mehr, sondern eher der Baumärktehandel, der der Pflege und Reparatur der Behausungen dient. Die Schwerpunkte verschieben sich: eher Handel und Dienstleistung als feste Ware, eher Software als Hardware.

Die Fun-Society, wie diese Freizeitgesellschaft abwertend von den Alten bezeichnet wird, ist kein Fluch, sondern ein Segen. Sie liefert jene Umsätze und Profite, die ansonst fehlen würden. So sichert sie den „sozialen Frieden durch Wohlstand“. Früher genügte der Nachfragedruck der Grundbedürfnisse – Essen, Kleiden, Wohnen –, um diesen zu garantieren. Nun kommen gottlob die höheren Bedürfnisse einer entwickelten Zivilisation zum Tragen: Nachfrage nach Bildung, Kultur, Geistes-Events, Shows, Spaß und Sport.

Die „Spaßvögel“, wie die Vertreter dieser ersten Freizeitgesellschaft von missmutigen und eifersüchtig-neidischen Alten genannt werden, schaden der Gesellschaft nicht. Ganz im Gegenteil retten sie die Wirtschaft und damit jenes Fundament, das selbst Karl Marx den „Unterbau der Gesellschaft“ nannte. Für jene, die noch immer nicht daran glauben wollen, zwei weitere Beispiele, ein praktisches und ein wissenschaftliches:

Praxis: Wolfgang Schneider gilt als glänzender Direktor des Linzer „Hotel Spitz“. Ich vermute, dass er mit Kultur- und Freizeitreisenden schon mehr Umsatz macht als mit Industriereisenden und Handelsvertretern. Vor allem bin ich sicher, dass das frühzeitig gegründete und bis nach Wien erfolgreiche Spitz-Event-Catering heute die Cash Cow ist. „Event“ sowie „Catering“ sind zwei prototypische neue Produkte der Freizeitgesellschaft.

Wissenschaft: Die Kondratieff-Zyklen benennen die Lokomotivbranchen seit Beginn der industriellen Revolution. Der gegenwärtige fünfte Zyklus wird von der Info-Technologie (Datenverarbeitung und Telekom) besetzt, altert aber gerade in den sechsten hinein: Dieser wird von Gesundheit plus Freizeit und Freude (in Summe: Wellness) dominiert sein.

Wir leiden derzeit an vier Übergangsphasen: von der Handarbeit zur Kopfarbeit; vom Analogen zum Digitalen; vom fünften zum sechsten Kondratieff; von der Arbeits- zur Freizeitgesellschaft. Jeder dieser Übergänge wirft Sand ins Getriebe. Denn für Transferzeiten gilt die volkswirtschaftliche Weisheit: „Die Dinge müssen schlechter werden, ehe sie besser werden“ („things have to become worse before they become better“). Der Grund liegt in den Reibungsverlusten und Kinderkrankheiten, die mit jedem Wechsel verbunden sind.

Umkehrschluss: Es wird uns großartig gehen, sobald sich alles eingeschliffen hat – auch dank der diffamierten Spaßgesellschaft. Mein persönlicher Tipp: Bemühen Sie sich, die Sau rauszulassen, Sie helfen damit uns allen.