Das Scheitern am Florianiprinzip

Floriani als Prinzip: Scheitert die Bundes- regierung bei einem ihrer ersten Projekte?

Unpopuläre Themen werden 'abgeschoben'

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Das Kapitel „Asyl und Fremdenpolizei“ im Regierungspakt umfasst vier Seiten und neun Subkapitel. Das kürzeste findet sich auf Seite 105, Absatz 1, Punkt 3: „Zur Entlastung der Kapazitäten in den bestehenden Erstaufnahmestellen wird im Süden Österreichs eine neue, zusätzliche EAST geschaffen.“ Nur sehr aufmerksamen Lesern des Koalitionsprogramms wird der Satz überhaupt aufgefallen sein.

In Kärnten und der Steiermark löste der Passus hektische Betriebsamkeit aus. Denn „eine neue EAST“ – das ist Eingeweihten klar – bedeutet nichts anderes als ein zweites „Traiskirchen“. Und die beiden Südstaaten sind schon jetzt nicht bereit, jenen Beitrag zu leisten, der ihnen laut Staats­vertrag mit dem Bund aus dem Jahr 2004 zufallen würde: Die Steiermark liegt um acht Prozent unter der Quote, Kärnten gar um 43 Prozent. Träger der vulgärpopulistischen Verweigerungspolitik sind keineswegs nur BZÖ und FPÖ. In Kärnten zeichnet das BZÖ zwar hauptverantwortlich für Asylpolitik à la Saualpe, doch alle Parteien stimmten vergangenen Dienstag in der Landesregierung für eine Drohresolution: Innenministerin Maria Fekter und Bundeskanzler Werner Faymann werden darin aufgefordert, schriftlich zu garantieren, „dass in Kärnten keine zusätzliche Erstaufnahmestelle für Asylwerber entsteht“.

In der Steiermark liegen die Dinge nicht viel anders: Für den sozialdemokratischen Landeshauptmann Franz Voves ist das alles „derzeit überhaupt kein Thema“, der Süden Österreichs reiche aber von Osttirol bis ins Südburgenland, und im Übrigen sei Kärnten beim Quotenerfüllen noch viel schlechter als die Steiermark.

„Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andere an“ – der Volksmund-Appell an den Schutzpatron der Feuerwehren ist in Österreich seit jeher Politikprinzip. Dem zynischen Sinnspruch liegt eine grausige Sage zugrunde: Florian, ein römischer Legionär und Christ, war 304 bei Enns hingerichtet worden, weil er nicht zu den Göttern Roms beten wollte. Zuerst zerschlug man ihm mit Eisen die Schulterblätter, dann wollte allerdings keiner der Soldaten den Sterbenden, wie befohlen, mit einem um den Hals gebundenen Stein in den Fluss werfen. Schließlich fand sich doch einer – und erblindete, als er dem untergehenden Florian nachsah.

Fazit: Nur ja nicht vordrängen, wenn es um unangenehme Dinge geht – ein prägendes Prinzip in Österreichs Politik. So stimmte im November 1978 eine knappe Mehrheit von 50,45 Prozent gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf – dennoch wehrt sich nur eine verschwindende Minderheit der Österreicher gegen den Import von Atomstrom. Nach einer Berechnung von Global 2000 kommt etwa rund ein Viertel des von der Salzburg AG vertriebenen Stroms aus Atomkraftwerken. Fast ebenso viel Atomstrom mischen die steirische Steweag und die Tiroler Tiwag bei. Im wegen der Nähe zu Temelin besonders kraftwerkskritischen Oberösterreich kommen immerhin fast 17 Prozent des Stroms vom Atom. Nur im Burgenland und in Niederösterreich verzichten die Energieversorger auf Atomstrom.

Ein klassisches Anwendungsgebiet des Florianiprinzips sind Müllverbrennungsanlagen. Zwar bezweifelt kaum jemand ihre Notwendigkeit – sofern sie nur möglichst weit vom eigenen Wohnort entfernt liegen. Die Überparteiliche Bürgerinitia­tive Müllverbrennung Flötzersteig feierte im heurigen Mai sogar schon ihr 50-jähriges Jubiläum. „Zwei Generationen lang dauert der ununterbrochene Kampf der Menschen gegen diese äußerst gefährliche und umweltbelastende Industrieanlage nun schon an“, loben die Aktivisten aus Wien-Penzing auf ihrer Homepage die eigene Unverwüstlichkeit. Genützt hat der Widerstand bisher zwar nichts, aber das kann ja noch kommen.

„Schweinerei“. Heftiger wird derzeit im südburgenländischen Heiligenkreuz gestritten, wo der Landesenergieversorger Begas eine Anlage bauen will. Die Aktivisten von der Bigas (Bürgerinitiative gegen Abfallschweinerei) bekämpfen das Großprojekt seit Jahren. 21 Gegengutachten und 5610 Einwendungen sind beim Amt der Burgenländischen Landesregierung inzwischen eingelangt. Auch in Ungarn formiert sich Widerstand. Irgendwie verständlich: Die Anlage steht hart an der Grenze, und es weht meist Westwind.

In Tirol versucht die Politik schon seit sieben Jahren, einen geeigneten Standort für eine Müllverbrennungsanlage zu finden. Bis es so weit ist, muss der Mist eben exportiert werden. Soll er woanders stinken.
Manchmal verbündet sich die Politik mit Projektgegnern – allerdings nur dann, wenn andere die Rechnung zahlen. Dies ist etwa bei den allseits unbeliebten und trotzdem unverzichtbaren 380-kV-Hochspannungsleitungen der Fall, die jeder gern woanders als in seiner unmittelbaren Nähe verlaufen lassen würde. Oft geht das nicht, wie derzeit in Salzburg. Deshalb treten dort alle vier Landtagsparteien dafür ein, das letzte Teilstück der 380-kV-Leitung zwischen St. Peter im Hart und Kaprun teilweise unterirdisch zu verlegen – damit könnten sich nach Schätzungen die Herstellungskosten für den Bauherrn Verbund vervielfachen. Politischer Urheber der Idee ist VP-Landesrat Sepp Eisl, die anderen Parteien folgten ihm angesichts massiver Bürgerproteste gegen die geplanten Strommasten auf den Fuß.

Komplexer wird die Lage, wenn es nicht nur um Stahl und Beton, sondern auch um Religion geht. So ist zwar der Islam seit 1908 anerkannte Religionsgemeinschaft, und eine massive Mehrheit der Österreicher spricht sich für die freie Religionsausübung der Moslems aus – nur bitte nicht in der eigenen Gemeinde! Neben Wien gibt es derzeit zwei Moscheen mit (kleineren) Minaretten: im niederösterreichischen Bad Vöslau und in Telfs in Tirol. In Bad Vöslau verdoppelte sich die FPÖ bei den Nationalratswahlen auf fast 21 Prozent. In Telfs wurde sie mit 23 Prozent sogar stärkste Partei, das BZÖ kam auf weitere neun Prozent. Anderswo baut man vor: Der Kärntner Landtag beschloss im vergangenen Frühjahr noch auf Betreiben Jörg Haiders mit den Stimmen von BZÖ und ÖVP ein Bauverbot für Minarette, obwohl kein einziger Bauantrag vorliegt.

Für Straßenverkehr ist zwar der heilige Christophorus zuständig, für den Straßenbau aber offenbar der heilige Florian. Die Planung der S1 etwa, der Verbindung zwischen Süd- und Ostautobahn an der Wiener Stadtgrenze, reicht bis in die siebziger Jahre zurück. Nicht zuletzt wegen des Widerstands von Anrainergemeinden verzögerte sich der Baubeginn immer wieder. Jahrzehntelang donnerte der Schwerverkehr von und nach Osteuropa über die überlastete Südosttangente, die in Wien-Favoriten nur wenige Meter neben Wohnhäusern verläuft. Erst 2006 wurde die S1 eröffnet.

Neue Kampfzone ist die S37 zwischen dem steirischen Scheifling und Klagenfurt. Die Asfinag will das streckenweise noch zweispurige Teilstück der alten Triester Straße durchgängig vierspurig ausbauen, was auf den Widerstand von mittlerweile zwölf Initiativen stößt. Solange die Schnellstraße nicht gebaut ist, rollt der gesamte Verkehr auf der neben der Südautobahn einzigen Nord-Süd-Verbindung in Ostösterreich weiterhin mitten durch die Gemeinden.

„Mit dem Florianiprinzip sind wir schon sehr oft konfrontiert“, meint Asfinag-Sprecherin Anita Oberholzer. „Oft heißt es: Geht doch zur nächsten Ortschaft. Das liegt halt offenbar in der Natur der Menschen.“ Besonders in der Natur des Menschen in Österreichs Süden dürfte der Hang zur Selbstentblößung in Fragen der Ausländerpolitik liegen, wie das aktuelle Beispiel zeigt. So kündigte etwa die steirische FPÖ bereits „direktdemokratische Formen des Protests und Demonstrationen“ gegen ein Erstaufnahmezentrum in der Steiermark an.

ÖVP-Landesgeschäftsführer Bernhard Rinner beschuldigte den roten Landeshauptmann Voves, er sei in Faymanns düstere, weil „antisteirische“ Pläne eingeweiht und habe das Regierungsabkommen bezeichnenderweise „über den grünen Klee gelobt“. Rinner übersieht dabei vornehm, dass das Projekt von seiner Parteifreundin Fekter betrieben wird. Und der Koalitionspakt wurde nicht nur von Voves, sondern nur Stunden nach Rinners Aussendung auch vom ÖVP-Parteitag bejubelt.

Protestanträge. Im Burgenland, das teilweise ebenfalls unter den Begriff „Österreichs Süden“ fällt, läuft es ähnlich. Der zuständige Soziallandesrat Peter Rezar (SPÖ) behauptete einfach, solche Spekulationen entbehrten jeder Grundlage, während die Freiheitlichen Protestanträge im Landtag ankündigten. In Kärnten beriefen sich SPÖ-Chef Reinhart Rohr und sein ÖVP-Pendant Josef Martinz auf jeweilige Exklusivinformationen von den Parteispitzen in Wien, wonach das Lager keinesfalls in Kärnten geplant sei. Die Resolution in der Landesregierung sei daher gar nicht notwendig gewesen, meint Rohr. Warum er dann trotzdem zugestimmt habe? „Weil sonst das BZÖ dieses Thema wochenlang am Köcheln hält.“ Das wäre so ziemlich das Letzte, was die SPÖ im demnächst anlaufenden Landtagswahlkampf brauchen könnte.

BZÖ-Landeshauptmann Gerhard Dörfler hatte sich tatsächlich in blitzartigem Reflex gegen ein Erstaufnahmelager in seinem Bundesland starkgemacht. „Wir werden uns mit allen Mitteln dagegen wehren.“ Der allmählich aus seinem Schockzustand erwachende BZÖ-Beinahe-Obmann Stefan Petzner kündigte sogar „erbitterten Widerstand“ gegen die Pläne an.
Findige Beobachter haben dennoch bereits mehrere mögliche Standorte im Burgenland, in der Steiermark und in Kärnten ausgemacht – vor allem in von der Schließung betroffenen Kasernen. Im Burgenland werden die Kasernen von Oberwart und Pinkafeld geräumt, sie liegen aber nicht wirklich im Süden. In der Steiermark werden innerhalb der nächsten zwei Jahre die Hummelkaserne in Graz sowie die Kasernen in Leibnitz und Fehring aufgelassen. In Kärnten steht die Aichelburgkaserne in Wolfsberg bereits zum Verkauf, die Waisenhauskaserne in Klagenfurt wird 2009 frei, die Rohrkaserne in Villach im Jahr 2010.

Ein Erstaufnahmelager im Süden würde vor allem den kleinen Ort Traiskirchen im Süden von Wien entlasten. Derzeit werden alle Asylwerber, egal, von welcher Himmelsrichtung sie ins Land kommen, zur Registrierung nach Traiskirchen geschickt und erst später auf Quartiere in anderen Ländern aufgeteilt. Gegenwärtig halten sich 850 Asylwerber im Lager Traiskirchen auf. Der Speisesaal ist für 170 Bewohner ausgelegt.
Seit 23 Jahren ist Fritz Knotzer (SPÖ) Bürgermeister der 5000-Einwohner-Gemeinde. Er hat schon viele Krisen durchgestanden. Irgendwann sei es aber genug, meint Knotzer: „Seit 1956 haben wir eine Million Flüchtlinge in Traiskirchen beherbergt. Es kann doch nicht sein, dass wir als kleine Gemeinde die Verantwortung für die ganze Republik tragen.“

Geht es nach den Floriani-Jüngern der etwas anderen Art wird sich an der ungleichen Lastenverteilung noch lange nichts ändern. Der Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler argumentiert, die 15a-Vereinbarung, die Jörg Haider 2004 unterschrieben habe, sei von einer Gesamtzahl von 16.800 Asylwerbern ausgegangen. Dass es dann leider mehr wurden, sei ja nicht die Schuld der Kärntner. Inzwischen sind es deutlich weniger, was an Dörflers Sicht der Dinge aber nichts ändert.

Eine der letzten politischen Taten im Leben Jörg Haiders war die Einrichtung einer „Sonderanstalt“ für (angeblich) kriminelle Asylwerber auf der 1200 Meter hoch gelegenen Saualm. Dort gibt es keine Nachbarn, die sich belästigt fühlen könnten. Haiders Nachfolger Dörfler will an diesem Vermächtnis nicht rütteln. Er versteht die Unterbringung im Gebirge auch als pädagogische Maßnahme. Dass Bewohner der Saualm demnächst für viele Wochen eingeschneit sind, soll die Bedenkenträger im Tal nicht weiter beunruhigen, findet Dörfler. „Das sind die Bauern in der Gegend derzeit auch.“

Von Herbert Lackner und Rosemarie Schwaiger