Formel 1 Weltmeis- ter: Schumi cum Lauda

Formel 1: Schumi cum Lauda

Niki Lauda erklärt das Phänomen Schumacher

Drucken

Schriftgröße

Schließt man ein Wunder in letzter Sekunde aus, wird es also doch nichts werden mit dem achten Weltmeistertitel für Michael Schumacher. Dass er nach seinem Motorschaden beim vorletzten Grand Prix in Suzuka, der ihn de facto den Titel gekostet hat, trotzdem so cool geblieben ist, hat zwei Gründe. Erstens sieht Schumacher diese Dinge sehr realistisch: So etwas kann immer passieren, unabhängig davon, ob der Zeitpunkt gerade günstig ist oder nicht. Und zweitens ist es, emotionslos betrachtet (und jeder Rennfahrer sollte im Grunde durch und durch emotionslos sein), wirklich egal, ob jemand mit sieben oder acht Weltmeistertiteln abtritt. Juan Manuel Fangios Rekord hat er geknackt, das ist es, was bleiben wird. Einmal Weltmeister zu werden bringt man ja relativ leicht zustande. Da passt eben ein Jahr lang alles. Aber um so oft Weltmeister zu werden, und das ist wirklich die Ausnahmeleistung des Michael Schumacher, muss man hart arbeiten, sich immer mit neuen technischen Entwicklungen auseinandersetzen und natürlich auch immer im besten Auto sitzen.

Denn es gibt viele, die zwar gut gefahren, aber immer im falschen Auto gesessen sind. In der Hinsicht hat Schumacher die richtige Nase gehabt. Dass er so lange, immerhin zehn Jahre, für Ferrari gefahren ist, war auch Teil seines Erfolgsrezepts. Er hatte die Zeit, ein Team aufzubauen. Die Grenze zwischen Sieg und Niederlage ist an der Spitze so haarscharf, dass man in jedem Detail kämpfen und wirklich mit aller Konsequenz daran arbeiten muss, um langfristig Erfolg zu haben. Und dazu braucht man ein funktionierendes Team.

Meine Zeit mit Schumacher begann 1995. Ich war zu dem Zeitpunkt strategischer Partner von Ferrari-Chef Luca di Montezemolo. Ich glaube, dass es in Brasilien war, zu Beginn des Jahres, als ich ihn anrief und sagte: „Wenn wir den Schumacher wollen, müssen wir ihn jetzt verpflichten, bevor die anderen draufkommen, wie gut er ist.“ Ende des Jahres wurde er ja tatsächlich zum zweiten Mal Weltmeister. Montezemolo gab mir grünes Licht, worauf ich zu Schumachers Manager Willi Weber ging. Ich sagte zu ihm: „Überleg einmal, was aus dem Schumacher wird, wenn der mit Ferrari gewinnt.“ Weber sagte gleich einmal ab. Ferrari war damals in einer Krise, das Auto ging nicht, nichts hat funktioniert. Aber schlussendlich haben Michael und er eingesehen, dass ein Sieg für Ferrari etwas anderes ist als ein Sieg für Benetton.

Wenn man mit Ferrari gewinnt, wird man zum Helden. Wenn man nicht gewinnt, blüht einem das genaue Gegenteil. Die Italiener sind ja berühmt dafür, für alle Fehler einen Sündenbock zu suchen. 1996 kam also Schumacher als pragmatischer Deutscher dorthin, was tatsächlich ein Glücksfall war. Wenn dort ein anderer Italiener gefahren wäre, wären die Spaghetti weiter geflogen wie bisher. Doch dann brachte Schumacher die logischen Begleiter mit: den Engländer Ross Brawn als technischen Direktor, etwas später den südafrikanischen Aerodynamiker Rory Byrne. Dazu noch der Franzose Jean Todt, den ich schon vorher als Teamchef installiert hatte. So entstand eine produktive Mischung, durch die die italienischen Emotionen, von Engländern und Franzosen gesteuert, in die richtige Richtung gearbeitet haben – mit dem deutschen Technokraten als makellosem Leader. Dabei haben sich die Gegensätze so verbunden, dass die Italiener ein technisch perfektes Auto bauen konnten.

Natürlich reicht ein funktionierendes Team allein nicht aus, um eine solche Karriere hinzulegen. Natürlich kann Schumacher richtig schnell Auto fahren. Er hat eine Gabe, in entscheidenden Runden, mit neuen oder alten Reifen, vor oder nach den Tankstopps, perfekte Zeiten hinzulegen, die ihn zum Sieger machen. Das macht im Endeffekt den Unterschied aus. Schumacher ist ein perfekter Rennfahrer, der auch bereit ist, volles Risiko zu gehen. Wenn der im Rückspiegel auftaucht, fahren alle, Alonso vielleicht ausgenommen, zur Seite. Der macht keinen Kompromiss, der wartet keine Sekunde, bis er vorfährt.

Trotzdem stimmt das Vorurteil nicht, dass Schumacher ein unsportlicher Fahrer wäre. Objektiv betrachtet hat er Aktionen wie zuletzt in Monaco, als er im Qualifying sein Auto in der Rascasse-Kurve abgestellt und damit die Konkurrenz behindert hat, nicht nötig. Aber Rennfahrer sind besondere Typen. Sie sind anders gestrickt als normale Menschen. Zu meiner Zeit kam das durch das höhere Risiko noch viel stärker zum Ausdruck. Wir sind uns gegenseitig über die Autos gefahren, aus purer Brutalität, nur um zu gewinnen. Da wurde einer ausgebremst, der ist geflogen, und später behauptete man, man habe ihn nicht gesehen. Heute geht das alles nicht mehr, weil man mit jeder Lenkradbewegung im Fernsehen ist. Man wird derart kontrolliert, dass man eigentlich nicht mehr so fahren kann, wie es jedem im Blut steckt. Man muss auf Sieg fahren, dafür ist man da. Schumacher ist da nicht besser oder schlechter als alle anderen. Er wurde halt, weil die Sender nun einmal eher den Führenden zeigen als den Zwölftplatzierten, bei diesem egozentrischen Auf-Sieg-Fahren öfter durch die Fernsehkameras überführt. Deswegen hat er ungerechterweise seinen schlechten Ruf, denn im Prinzip macht er nichts anderes als alle anderen auch.

Was man ihm vorwerfen kann, und was ich immer kritisiert habe, ist, dass er nie zu diesen Dingen Stellung nimmt. Erst kommt gar nichts, dann irgendein Wischiwaschi, und am Video sieht jeder, was wirklich los war. Da besteht ein krasser Gegensatz zu seiner brutalen Perfektion auf der Strecke. Wenn jemand so brutal perfekt Auto fährt, muss er auch brutal perfekt antworten können. Aber Schumacher hat richtige Schwächen darin gezeigt, seine Fehler auch einzugestehen.

Privat ist der Michael jedoch ein umgänglicher, lustiger Typ, der viel mit seinen Freunden aus Kerpen herumzieht. Vor einigen Jahren waren wir gemeinsam Ski fahren und hatten die größte Hetz. Schumacher ist ein absoluter Kumpeltyp, der sich in seinem Leben richtig wohl fühlt. Auch seine Frau Corinna ist eine vollkommen normale, bodenständige Person, also genau das Richtige für ihn. Und sie war intelligent genug, sich nie so in den Vordergrund zu spielen, wie viele andere es tun. Das ganze Umfeld war also perfekt geerdet für das, was Schumacher machen wollte. Bloß das Verhältnis zu seinem Bruder Ralf ist gestört. Genauer gesagt: Es gibt da eigentlich gar kein Verhältnis, seit Jahren schon. Sie behaupten zwar, dass sie gut miteinander auskommen. Aber das tun sie nicht. Vom Notwendigsten abgesehen reden sie überhaut nicht miteinander. Nicht, dass das besonders tragisch wäre. In Wirklichkeit sind das Konkurrenten, die eben zufällig auch Brüder sind. Einer ist unbestritten der Erfolgreichere, deswegen musste sich, ganz natürlich, der Jüngere abnabeln. Dass dabei auch die Frau und die Boote und die Flugzeuge eine Rolle gespielt haben, ist nebensächlich. Dass die Brüder sich jeden Tag ein Busserl geben, bevor sie losfahren, das ist ein Traum, den es in der Formel 1 nicht gibt. Das sind egozentrische Typen, die siegen müssen. Es ist naiv zu glauben, dass der eine dem anderen deswegen weniger brutal vorfährt als einem anderen. Warum sollte er?

Noch etwas ist naiv: die Jammerei darüber, dass die Formel 1 durch Schumachers Dominanz langweilig geworden wäre. Ganz im Gegenteil: Die Formel 1 wird geradezu bestimmt durch die Dominanz von Autos und Fahrern, das war immer schon so. Dass es heute keine verwegenen Charakterköpfe, keine Haudegen mehr gibt, ist leicht zu erklären: Das Risiko ist heute ein völlig anderes. Heute fliegen sie mit ihren Autos durch die Gegend und steigen unversehrt wieder aus. Zu meiner Zeit gab es jedes Jahr einen Toten. Du konntest dir ausrechnen, wann du selbst drankommen wirst. Damals musste man eine andere Persönlichkeit sein, man musste sich ständig fragen: Will ich mich wirklich umbringen? Diese Frage müssen sich heutige Fahrer nicht mehr stellen. Was nicht heißt, dass die Formel 1 langweiliger geworden ist. Die Formel 1 macht eben eine Entwicklung mit, die die ganze Welt betrifft. Alles wird sicherer. Heute muss man ja schon den Hund im Auto anschnallen. Das Interesse leidet deshalb nicht, weil auch alles andere in diese Richtung geht. Auch an potenziellen Schumacher-Nachfolgern besteht kein Mangel. Alonso ist ein Topmann, dazu kommen einige viel versprechende Talente: Heikki Kovalainen zum Beispiel, der für Renault fahren wird. Den muss man sicher beobachten. Dazu auch Nico Rosberg, Lewis Hamilton, der unter Umständen nächstes Jahr einen McLaren fahren wird, und auch Sebastian Vettel, der mit 19 Jahren aber noch zu jung ist, um ihn zu beurteilen.

Mehr Sorgen mache ich mir um die Zukunft von Ferrari. Schumacher und Ross Brawn, der ebenfalls in Pension geht, reißen dort zwei riesige Löcher. Wenn diese nicht intelligent gestopft werden, kann es ziemlich bergab gehen. Gespannt bin ich, was dort mit Kimi Raikkönen passiert, der das krasse Gegenteil von Schumacher darstellt. Im Moment sitzt er als finnischer Kleindiscobesucher – ohne ihm jetzt zu nahe treten zu wollen – in einem vollorganisierten Team, in dem er sich um nichts zu kümmern braucht. Die Leadership, die Ferrari braucht und die Schumacher perfekt verkörpert hat, geht ihm völlig ab. Sicher wird das Auto in der ersten Saisonhälfte noch mithalten, weil bis dato gut gearbeitet wurde. Danach wird es härter. Solange das Auto noch mithält, kann Raikkönen also ruhig weitersaufen. Nach sechs Monaten aber wird sich weisen, ob Ferrari eine Zukunft hat. Dass Schumacher weiterhin in irgendeiner Form dort mitarbeiten wird, halte ich für ausgeschlossen. Er würde, bildlich gesprochen, vom Chef eines Unternehmens, um den sich alles dreht, zum Tellerwäscher werden. Kein Rennfahrer geht nach seiner aktiven Zeit in einen Job, wo er anderen zuarbeiten muss. Ich bin mir auch nicht sicher, ob er die Qualifikation dafür hätte.

Schumacher ist ja sein Leben lang nur Autorennen gefahren. Gut, er hat geheiratet und zwei Kinder gezeugt, Aber ansonsten gab es, soweit ich das sehen kann, kaum wirkliche Interessen. Wahrscheinlich hat er auch deshalb so lange gebraucht, sich zu entscheiden, ob er weitermacht oder nicht. Ich hatte damals das Glück, dass ich schon gegen Ende meiner Karriere andere Interessen entwickelt hatte. Dann kam die Airline-Idee. Die Entscheidung, als Rennfahrer aufzuhören, war damit eine wesentlich einfachere. Dazu kommt die Risikofrage. Früher gab es, wenn die Freude nachgelassen hat, nur noch das Risiko. Als mir die Lust am Im-Kreis-Fahren verging, musste ich etwas anderes machen. Heute gibt es vergleichsweise kein Risiko mehr, also ist das auch kein Kriterium mehr.

Schumacher kennt aber kein Leben abseits der Formel 1. Das macht die Entscheidung nicht einfacher. Sein ganzes Leben ändert sich damit quasi über Nacht. Natürlich gibt es auch sehr viele Vorteile. Man geht auf Urlaub und macht die Dinge, die man nie machen konnte. Man muss nicht mehr jeden Tag trainieren wie ein Bescheuerter, um sieben Uhr Früh aufstehen und rennen. Wirklich hart wird es bei den ersten drei Rennen, wenn man daheim vor dem Fernseher sitzt und zuschauen muss und in jeder Runde im Geist mitfährt und genau weiß, wie es eigentlich ginge. Spätestens dann kommt die Phase, wo man sich überlegen muss: „Was mache ich aus meinem Leben?“ Natürlich gibt es Leute, die hochzufrieden damit sind, ihren Kindern beim Wachsen zuzuschauen. Oder man wacht auf und will plötzlich etwas anderes machen.

Was das für Michael Schumacher sein könnte, lässt sich nicht sagen, weil durch sein unglaublich fokussiertes Rennfahrerleben keinerlei Alternativen sichtbar sind. Aber auch dieses Problem wird sich lösen. Materiell hat er jedenfalls keine Sorgen, und wenn er tatsächlich sein Leben lang nur daheim sitzen will: Auch das ist sein gutes Recht.