Forschung: Mann und Frau Return to Gender

Forschung: Return to Gender. Der kleine Un- terschied ist größer als bisher angenommen

der kleine Unterschied ist größer als angenommen

Drucken

Schriftgröße

In den Vorlesungen von Hubert Wiener darf manchmal auch geschmunzelt werden, selbst wenn es um seriöse medizinische Studien geht. Gerne zitiert der Wiener Pharmakologe eine Arbeit, die bereits 1975 in einem US-Journal für klinische Pharmakologie erschien: Die Forscher injizierten jeweils einer Gruppe von Frauen und Männern die gleiche Menge eines Antibiotikums auf die gleiche Weise in den Gluteus maximus – das ist der größte Muskel im Gesäßbereich. Kurz darauf wurde der Wirkstoffgehalt im Körper gemessen. Das Ergebnis: Der Maximalwert im Blut der Frauen betrug 40 Prozent von jenem der Männer.

Dickere Fettschicht. Vor diesem Hintergrund bittet Wiener um mögliche Erklärungen. „Die Studentinnen und Studenten tun sich aber schwer“, sagt der Pharmakologe. „Sie denken an Verstoffwechslung und andere komplizierte Vorgänge, von denen sie schon gehört haben.“ Auf die simple Lösung kommen sie nur zögerlich. Wiener zitiert: „Die Autoren konnten beobachten, dass die subkutane Fettschicht der weiblichen Testpersonen dicker ist als jene der Männer.“ Salopper formuliert: 1975 wiesen Forscher nach, dass Frauen gemeinhin ein besser gepolstertes Gesäß als Männer haben. Damit das Antibiotikum in die Blutbahn gerät, muss man deshalb anders stechen.

Hubert Wiener will mit diesem Beispiel keineswegs Klischees bedienen oder seinen Vortrag mit sexistischen Witzchen würzen. Was er seinem Publikum im Hörsaal bietet, ist ein Ausflug in die frühe Steinzeit einer Disziplin, die sich erst vor wenigen Jahren auf den langen Marsch durch die medizinischen Fachbereiche gemacht hat: die Gender-Medizin. Und so steckt denn auch in der Injektionsstudie, so tollpatschig, gedankenlos und klischeehaft sie heute auch wirken mag, ein Stück jenes wahren Kerns, auf dem die so genannte geschlechtsspezifische Medizin beruht: Frauen sind anders, und wenn man ihnen das Maximum therapeutischer Effekte angedeihen lassen will, muss man sie auch anders behandeln als Männer. Lange Zeit war dies jedoch nicht der Fall. „Die meisten Ärzte neigten dazu, alle Patienten so zu behandeln, als gäbe es nur ein Geschlecht: das männliche“, predigt die New Yorker Herzspezialistin Marianne Legato. Seit den achtziger Jahren forscht die Ärztin auf dem Gebiet der geschlechtsspezifischen Medizin. Sie hat Bücher über das weibliche Herz geschrieben und biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau öffentlich gemacht.

Goldgräberstimmung. Anfang Juni, AKH Wien. Legato ist so etwas wie der Stargast beim zweiten internationalen Kongress über Gender-Medizin. Dutzende Fachleute präsentieren neue Ergebnisse in dem noch jungen Wissenschaftszweig. Legato eilt von Vortrag zu Vortrag. Sie hat einst einen Stein ins Rollen gebracht; jetzt muss auch sie sich schon anstrengen, um den Überblick über die geschlechtsspezifischen Forschungen zu bewahren.

In der Gender-Medizin herrscht „Goldgräberstimmung“, sagt die Wiener Sozialmedizinerin Anita Rieder. Auch wenn in vielen Bereichen noch Grundlagen für künftige Therapien geschaffen werden müssen und viele Antworten ausstehen, so werden doch brennende Fragen zu Beginn des 21. Jahrhunderts erstmals gestellt: Warum sind Bypassoperationen für Frauen gefährlicher? Warum haben Frauen, die an Migräne mit Aura leiden, einer besonders unangenehmen Form der Krankheit, die mit Sehstörungen, Geschmackstrübungen und Geräuschempfindlichkeit verbunden ist, ein fast dreimal höheres Infarkt- und Schlaganfallrisiko? Warum sind Belastungs-EKGs von Frauen weniger aussagekräftig? Was steckt hinter dem aggressiven Husten, der vor allem Frauen bei der Einnahme von blutdrucksenkenden ACE-Hemmern befällt? Und welche Mechanismen steuern die generell schlechtere Medikamentenverträglichkeit von Frauen, die im Übrigen fast zwei Drittel aller Arzneimittel schlucken? Die Berliner Kardiologin Vera Regitz-Zagrosek, die an der Charité-Klinik Deutschlands erste Professur für frauenspezifische medizinische Forschung bekleidet, findet es „schon erstaunlich, dass diesen Fragen bisher relativ wenig Aufmerksamkeit zuteil wurde“.

Jedenfalls macht Gender-Medizin in Labors und Kliniken anders Furore als bisher. Wer in der Gender-Medizin forscht, hat oft Gelegenheit, kursierende Stereotype, Vorurteile und Klischees zu widerlegen; manchmal müssen sie aber auch bestätigt werden. Natürlich steuert eine komplexe Mischung von Hormonen die Reproduktivität der Frau, aber eben nicht ausschließlich: Hormone entscheiden auch über Krankheitsrisiken abseits der phänotypischen Weiblichkeit und die Art und Weise, wie ein Frauenkörper Medikamente verarbeitet und verträgt. Ebenso unbestritten ist, dass Frauen anders kommunizieren. Aber das hat nicht nur Einfluss auf Partnerschaft und Beruf, sondern auch darauf, wie Mediziner auf ihre Schilderungen von Symptomen reagieren.

Jedenfalls scheint das Fach vorerst einmal jenen Frauenverstehern beider Geschlechter den Garaus zu machen, die den Ratgebermarkt mit pseudowissenschaftlichen Erklärungen, warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken, versorgen. Gender-Medizin erzählt eine andere Geschichte vom ewigen Kampf der Geschlechter. Es ist die Geschichte von der Beseitigung eines „androzentrischen Wissenschaftsbegriffs“, so die Innsbrucker Kardiologin Margarethe Hochleitner – eines Wissenschaftsbegriffs also, der den Mann zur Norm erhoben hat, „von der Zellkultur über den Tierversuch bis zum Homo sapiens“. Was Hochleitner im vergangenen Jahrzehnt an Daten über die medizinische Versorgung von Frauen in Tirol gesammelt hat, trägt beinahe Züge eines medizinischen Skandals. Die Kernaussage der Herzspezialistin: „Frauen haben bei Herzerkrankungen deutlich weniger Chancen, zur Spitzenmedizin vorzudringen.“ Und das, obwohl Herz-Kreislauf-Erkrankungen, so Hochleitner, „der Nummer-eins-Killer für Frauen sind“.

Spitalslogistik. Zwar hatten, laut Hochleitners Studien über Gender-Unterschiede in der Notfallaufnahme und in der weiteren kardiologischen Versorgung, wesentlich mehr Frauen eine einschlägige medizinische Vorgeschichte (68 Prozent gegenüber 60 Prozent der Männer), dennoch wurden sie weniger oft mit avancierten kardiologischen Methoden wie etwa Ergometrie, Echokardiografie und Herzkatheter untersucht. Akute Infarktpatientinnen haben zudem auch längere Transportwege in die Klinik. Sie werden häufiger mit der Rettung eingeliefert und weniger oft als Männer mit dem Notarztwagen oder dem Rettungshubschrauber. Die dabei entstehenden Risiken sind, so steht es im österreichischen Frauengesundheitsbericht 2005/2006, in der Krankenhauslogistik begründet: Patienten, die mit dem Rettungswagen gebracht werden, müssen sich zuerst einem EKG und Laboruntersuchungen unterziehen, bevor eine Diagnose erstellt wird; solche, die mit dem Notarzt oder dem Helikopter kommen, landen sofort in der Intensivstation.

Im Frauengesundheitsbericht finden sich noch weitere Zahlen zur ungleichen Behandlung von Herzpatientinnen: Im Jahr 2000 etwa wurden an mehr als doppelt so vielen Männern wie Frauen Herzkatheteruntersuchungen durchgeführt; viermal so viele Männer erhielten Bypassoperationen. Der Bericht ortete sogar „eine Trendverschlechterung für Frauen“. Die Daten decken sich weitgehend mit internationalen Erkenntnissen: weniger High-Tech-Medizin, längere Wartezeit auf die richtige Diagnose und in der Folge eine höhere Mortalität im Akutfall.

Klischees. Die Ursachen dafür liegen in einer Fülle von positiven wie negativen Klischees über Biologie und Lebensstil von Frauen: So wird häufig postuliert, dass Frauen ohnehin durch ihre Östrogene vor ernsthaften koronaren Erkrankungen geschützt seien. Das ist nicht falsch, gilt jedoch nur bis zur Menopause. Das Hormon schützt die Blutgefäße vor Verengung; zu den Effekten, die durch exogen verabreichtes Östrogen erzeugt werden, zählt etwa auch die Reduktion des koronaren Risikofaktors LDL-Cholesterin. Mit dem Absinken des Östrogenspiegels nach der Menopause steigt das Herzerkrankungsrisiko für Frauen aber rasant an. Von Frauen wird generell auch erwartet, dass sie in das durch zahlreiche Studien erhärtete Bild des gesundheitsbewussteren Geschlechts passen. Sie ernähren sich gesünder und nehmen auch Präventionsprogramme eher wahr. Kann es also wirklich das Herz sein, an dem Frauen leiden? Sozialmedizinerin Rieder: „Diese Vorstellung fällt Frauen oft auf den Kopf. Sie erhalten in der medizinischen Kommunikation nachweisbar weniger Gesundheitsratschläge, weil angenommen wird, dass sie diesbezüglich das aufgeklärtere Geschlecht sind.“

Vor allem aber zeigen jüngere Forschungsberichte, dass die Symptome eines Herzinfarkts bei Frauen ganz anders verlaufen können als bei Männern, nämlich „weniger dramatisch und diffuser“, wie die Wiener Kardiologin Jeanette Strametz-Juranek, Organisatorin des Gender-Kongresses im Wiener AKH, erklärt. Die Ärztin forscht seit Jahren auf dem Gebiet der genderspezifischen Herzmedizin und macht auch hochschulpolitisch Stimmung für eine bessere entsprechende Ausbildung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Diese werden nämlich häufig als Erste mit dem bedrohlichen Krankheitsbild bei Frauen konfrontiert. Während Männer mit den auch in Kampagnen hinreichend kommunizierten typischen Infarktsymptomen sofort zum Fall für die Notfallmedizin werden, suchen Frauen oft wegen allgemeinen Unwohlseins den Hausarzt auf. Strametz-Juranek: „Bei Frauen kündigen sich Infarkte häufig durch Übelkeit und schwer zu bestimmende Brust- und Bauchschmerzen an. Das führt Ärzte immer wieder auf die falsche Spur.“ Die US-Ärztin Bernardine Healy nannte diese missglückte Form von Kommunikation 1991 das „Yentl-Syndrom“. So wie sich die junge Jüdin Yentl im Osteuropa der vorvergangenen Jahrhundertwende als Mann verkleiden musste, um den Talmud studieren zu können, müssen Frauen erst einmal beweisen, tatsächlich so herzkrank zu sein wie ein Mann, um zumindest eine annähernd gleiche medizinische Versorgung zu bekommen.

Schmerzsprachen. Die Ursachen dafür liegen aber auch in der Kommunikation. „Männer sprechen über ihre Beschwerden so, wie Mediziner es von ihnen erwarten.“ Zu diesem Schluss kam der Wiener Sprachwissenschafter Florian Menz in einer Studie über die unterschiedlichen „Schmerzsprachen“ der Geschlechter. Sie liefern in konkreterer Weise jene Daten, die Ärztinnen und Ärzte für eine Diagnose glauben wissen zu müssen, wie etwa Beginn und Dauer der Symptome. „Frauen“, so Menz, „bleiben diffuser und neigen dazu, ihre Schmerzen zurückzustufen oder gar als unwichtig darzustellen.“ Sie verwenden dabei auch mehr Metaphern und reflektieren über die möglichen Ursachen. Das mache Mediziner gelegentlich sogar ungeduldig.

Zum Dilemma in der authentischen Vermittlung von Schmerzen tragen neuerdings aber auch psychologische Studien bei. Demnach erscheinen die Ausführungen weniger attraktiver Frauen Medizinern und Pflegebediensteten glaubwürdiger als jene besonders gut aussehender Patientinnen; ganz nach dem Motto: Wer schön ist, kann nicht krank sein. Umgekehrt neigen Männer dazu, ihre Beschwerden im Angesicht attraktiver Ärztinnen herunterzuspielen.

Fehldiagnosen. Andere Studien jedoch belegen Healys eindringlich formulierte Yentl-These: Frauen, die mit identen Symptomschilderungen wie die Männer einer Vergleichsgruppe Ärzte konsultierten, wurden weniger intensiv behandelt und seltener zu Spezialisten überwiesen. Sie erhielten allerdings keineswegs weniger Medikamente, doch diese zielten nicht unbedingt auf das gefährdete Herz.

„Weibliche Erkrankungen werden überdurchschnittlich oft mit dem Reproduktionsapparat in Zusammenhang gebracht“, sagt die Wiener Psychiaterin Gabriele Fischer. „Ich halte die so genannte psychovegetative Dystonie, einen auf seelischen Ursachen beruhenden Schwächezustand, für eine der häufigsten Fehldiagnosen.“ Vor der Menopause ist demnach der weibliche Zyklus schuld an scheinbar mysteriösen Beschwerden, in späteren Jahren das fortgeschrittene Alter und der veränderte Hormonstatus. Das spiegelt sich weltweit auch in der Arzneimittelstatistik wider. Mit einem Anteil von mehr als zwei Dritteln der verschriebenen Antidepressiva befinden sich auch Österreichs Frauen im internationalen Durchschnitt.

Dabei sind „mother’s little helpers“, mit denen auch die Desperate Housewives so klischeehaft schnell zur Hand sind, nicht ganz so harmlos, wie lange Zeit geglaubt wurde. Die so genannten Benzodiazepine führen bei längerer Einnahme sehr wohl zu „einer gewissen Abhängigkeit“ (Fischer). Beim Konsum in der Schwangerschaft können die leichtfertig verschriebenen Medikamente bei Neugeborenen zu Missbildungen im Gesichtsbereich oder zum „floppy infant syndrome“ (Entzugserscheinungen beim Baby) führen.

Was die Proponentinnen und Proponenten der geschlechtsspezifischen Medizin dabei besonders erregt: Viele Medikamente, vor allem solche, die bereits länger auf dem Markt sind, wurden nur an Männern getestet. Ausgerechnet weil Frauen in den klinischen Testphasen hormonellen Schwankungen unterworfen sind und sogar schwanger werden können, mussten sie jahrzehntelang Medikamente schlucken, die gar nicht an ihnen erprobt wurden. Süffisanter Kommentar der Gender-Medizinerin Strametz-Juranek: „Verlangen Sie doch einmal von einem Mann, eine Pille zu nehmen, die an keinem einzigen Vertreter seines Geschlechts getestet wurde.“

Dabei ist die geschlechtsspezifische Wirkweise von Medikamenten seit Langem bekannt. Schon in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, erläutert Donald Mattison von den amerikanischen National Institutes of Health (NIH), zeigten Experimente mit Ratten, dass bei Weibchen nur halb so viele Barbiturate im Vergleich zu Männchen nötig sind, um den Schlaf einzuleiten: „Pharmakologische Geschlechtsunterschiede sind sogar bei Hasen, Ziegen, Hamstern und Forellen lange bekannt“, erklärt Mattison pointiert. Doch bis 1993, als die US-Zulassungsbehörde FDA geschlechtsspezifische Richtlinien für die Testphasen erließ, waren Frauen in klinischen Pharmastudien deutlich unterrepräsentiert. Zum Teil hat dies auch historische Gründe. Das bis in die fünfziger Jahre verwendete Östrogen Diaethylstilbestrol (DES), ein im Übrigen nicht sehr wirkungsvolles Medikament zur Vermeidung von Fehlgeburten, führte Jahrzehnte später zu signifikanten Häufungen einer seltenen Form von Scheidenkrebs bei Töchtern jener Frauen, die zur Zeit der Einnahme mit ihnen schwanger waren. Und dann geschah der Contergan-Skandal, der – wie Gender-Ärztin Legato formuliert – „zu einem so sorgfältigen Schutz von Frauen führte, dass sie aus vielen Studien ganz herausgehalten wurden“.

Nebenwirkungen. Aber immer noch werden reichlich spät Gefahren für Patientinnen bekannt. Von zehn Medikamenten, die zwischen 1997 und 2000 in den USA aus dem Verkehr gezogen wurden, bargen acht, darunter Antihistaminika und Appetithemmer, schwere Risiken für Frauen; fünf davon waren erst nach 1993 zugelassen worden.

Frauen haben allgemein ein 1,5- bis 1,7-fach höheres Risiko, schwer unerwünschte Nebenwirkungen zu erleiden, betont der Wiener Pharmakologe Hubert Wiener. Zwei Drittel der Fälle von Torsades de pointes, einer besonders gefährlichen Herzrhythmusstörung, betreffen Frauen. „Was wir brauchen, sind Daten über Frauen“, sagt Wiener. Und diese dürfte die Zukunft nun endlich bringen. Bis 1975 erschienen kaum Arbeiten über Wirkungen und unerwünschte Wirkungen von Medikamenten bei Frauen. Seit Ende der neunziger Jahre waren es mehr als 3000. Doch immer noch widersprechen manche Studien einander. So sprechen jüngere Arbeiten der weit verbreiteten Acetylsalizylsäure, dem Wirkstoff von Aspirin, die infarktpräventive Wirkung bei Frauen weitgehend ab. Allerneueste Forschungen der Johns Hopkins University in Baltimore jedoch deuten darauf hin, dass die Substanz doch geschlechtsneutral wirkt.

Pharmakodynamik und Pharmakokinetik, also Wirkweise, Verteilung und Ausscheidung, sind im weiblichen Körper besonders komplexe und multifaktorielle Prozesse, die in unterschiedlichen Zyklusphasen, aber auch vor beziehungsweise nach der Menopause unterschiedlich verlaufen. So ist etwa die Magenentleerungszeit ein östrogenabhängiger Effekt. Manche Medikamente werden in bestimmten Zyklusphasen schneller von den Nieren ausgeschieden. Besonders deutlich wird der hormonelle Einfluss auf die Pharmakokinetik bei Frauen, welche die Antibabypille nehmen. Beta-Blocker etwa, eine Gruppe von Blutdruck- und Herzmedikamenten, reichern sich im Blut von Frauen um 30 bis 40 Prozent mehr an als im Blut von Männern. Die Folgen sind naturgemäß stärkere unerwünschte Wirkungen.

Ethnische Unterschiede. Pharmakologe Wiener verweist aber noch auf einen weiteren, bisher vernachlässigten Risikofaktor. Es gibt in der Pharmakologie nämlich nicht nur geschlechtsspezifische, sondern auch ethnische Unterschiede. Bei asiatischen Frauen beispielsweise zeigt das System der Zytochrom-P-450-Enzyme, die Arzneimittel so aufspalten, dass sie über die Leber metabolisiert werden können, eine geringere Aktivität, was Nebenwirkungen ebenfalls verstärken kann. „Diese ethnischen Unterschiede müssen wir auch in unserer Gesellschaft zunehmend berücksichtigen“, sagt Wiener.

Erste Zyklusphase? Zweite Zyklusphase? Prämenopause? Postmenopause? Europäerin oder Asiatin? Antibabypillen-Konsum oder nicht? Der Gender-Medizin steht jedenfalls noch eine Menge Forschungsarbeit bevor. „Wenn man alle Faktoren berücksichtigt, explodiert der Aufwand“, sagt Wiener. Dass die Geschichte der Medizin deswegen jedoch neu geschrieben werden muss, glaubt er nicht: „Es macht wenig Sinn, alte Medikamente jetzt neu zu untersuchen, weil sie ohnehin durch neue ersetzt werden. Die Therapien der Zukunft aber werden ohne geschlechtsspezifische Perspektive nicht mehr denkbar sein.“

Von Klaus Kamolz