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Forschung: Vom Verlust zum Gewinn

Vom Verlust zum Gewinn

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Peter Zoller galt schon lange als heißer Tipp für höhere Weihen. Der Leiter der Arbeitsgruppe Quantenoptik am Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck hält derzeit Vorlesungen an der Harvard University. Er tut das im Rahmen des Morris Loeb Lectureship, einer Vorlesungsreihe, in der unter anderem Physiker wie Stephen Hawking und die Nobelpreisträger Charles Townes und Steven Weinberg vortragen.

Aufgrund zahlreicher Publikationen in wissenschaftlich höchstrangigen Journalen wie „Science“ oder „Nature“ ist der Name Zoller unter Physikern heute ein Begriff. Er und seine Kollegen hatten in Experimenten wiederholt bewiesen, dass sich die Bewegungsenergie von Atomen durch extreme Abkühlung derart minimieren lässt, dass die Atome eine Verschränkung eingehen, ein quantenmechanisches Phänomen, das sich potenziell für den Informationsaustausch in einem künftigen Quantencomputer nutzen ließe.

Zollers Arbeiten sind ebenso wie jene des Quantenphysikers Anton Zeilinger Beweise dafür, dass Forschung auf Weltklasseniveau auch hierzulande möglich ist. Dennoch verlassen jedes Jahr viele talentierte Wissenschafter das Land, um an internationalen Universitäten und Forschungslabors zu arbeiten, wo sie oftmals bessere Bedingungen vorfinden.

Die Ursachen für diesen Exodus sind vielfältig: Zum einen ist Österreich schon aufgrund seiner Kleinheit nicht in der Lage, auf allen Gebieten der Wissenschaft und Forschung konkurrenzfähige Rahmenbedingungen zu bieten. Ähnlich wie besonders talentierte Fußballer irgendwann ein Angebot eines finanzkräftigen deutschen, italienischen oder spanischen Vereins erhalten, wechseln auch heimische Forscher oftmals zu Institutionen, die in der wissenschaftlichen Champions League spielen. Vor allem nordamerikanische Universitäten, die vielfach über beträchtlich höhere Finanzmittel verfügen und attraktivere Karriereaussichten bieten können, üben diesbezüglich eine beträchtliche Sogwirkung aus.

Doch auch im Vergleich mit annähernd gleich großen Staaten sind die in Österreich zur Verfügung stehenden Mittel eher gering. Während die Forschungsausgaben in Finnland und Schweden annähernd drei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts betragen, liegt der diesbezügliche Wert in Österreich unter zwei Prozent.

An die 400.000 europäische Wissenschafter seien in den vergangenen Jahrzehnten in Richtung USA oder Kanada abgewandert, berichtete kürzlich die Europa-Ausgabe des US-Nachrichtenmagazins „Time“. Diese klugen Köpfe und die Ergebnisse ihrer Arbeit leisten wesentliche Beiträge zur Entwicklung neuer Produkte und sind somit ein wichtiger Faktor für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Stimulierung von Wirtschaftswachstum und -dynamik. Die Europäische Kommission versucht, durch eigene Forschungsprogramme und durch Appelle an die Mitgliedsstaaten, ihre Forschungsausgaben zu erhöhen, gegenzusteuern.

Doch österreichische Forscher, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten, zumeist mit bereits abgeschlossenem Studium, in Richtung USA oder Kanada abgewandert sind, sehen noch weitere Ursachen für die Abwanderungstendenzen. Nicht bloß die Höhe der zur Verfügung stehenden Finanzmittel spiele aus Sicht von Wissenschaftern eine wichtige Rolle für die Attraktivität einer Region. Erhebliche Bedeutung hätten auch das Forschungsklima, die Atmosphäre und die prinzipiellen Rahmenbedingungen, unter denen die Arbeit stattfindet: In Nordamerika werde jungen Forschern auf vielfältige Weise signalisiert, dass jeder, der talentiert und gewillt ist, sich auf seinem Gebiet außerordentlich anzustrengen, willkommen sei.

Der Biochemiker Günter Lepperdinger, 37, zum Beispiel hatte nach dem Chemiestudium in Wien und seiner Habilitation im Bereich Molekularbiologie in Salzburg den Eindruck, dass seine Karrierechancen in Österreich limitiert waren. Daher beschloss er, nicht zuletzt aufgrund mehrerer kürzerer Forschungsaufenthalte in den USA, ein Angebot der National Institutes of Health (NIH) in Bethesda, Maryland, anzunehmen. Das NIH ist die größte medizinische Forschungseinrichtung der USA.

Lepperdinger übersiedelte samt Ehefrau und drei kleinen Kindern und fand am NIH im Bereich Entwicklungsbiologie eine „extrem spannende, unheimlich beflügelnde“ Forschungslandschaft vor. Er beschreibt den Campus mit seinen 20.000 Beschäftigten als „Kochtopf mit einem pulsierenden wissenschaftlichen Leben“, wo unter anderem jeden Monat ein Vortrag eines Nobelpreisträgers stattfinde. In einem eigenen Supermarkt könne man das benötigte Laborzubehör kaufen, alles sei „bestens organisiert“ gewesen.

Professionalität. Nach zwei Jahren in den USA ist Lepperdinger erst kürzlich wieder nach Österreich zurückgekehrt, weil er „ein tolles Angebot“ bekam, am Innsbrucker Institut für biomedizinische Alternsforschung der Akademie der Wissenschaften zu arbeiten. „Ohne dieses Angebot wäre ich in den USA geblieben“, meint der Biochemiker. Und er hätte dieses Angebot nicht bekommen, hätte er nicht in den Jahren davor in den USA gearbeitet und dort wissenschaftliche Leistungen erbracht, die ihm in Österreich während dieser Zeit nie möglich gewesen wären.

„Einer der Unterschiede zu Österreich ist die Professionalität“, konstatiert auch der gebürtige Wiener Boris Mizaikoff, Chemiker am Georgia Institute of Technology in Atlanta (GIT). Genehmigungsverfahren und Berufungsverhandlungen, die sich in Deutschland oder Österreich über zwei oder mehr Jahre erstrecken, wären in den USA undenkbar. „In drei Monaten ist das hier erledigt“, so Mizaikoff, alles laufe sehr flexibel und pragmatisch ab. Notfalls würde man die Infrastruktur komplett ummodeln oder ein neues Center of Excellence schaffen.

Gleichzeitig sind allerdings auch Konkurrenzkampf und Wettbewerb erheblich schärfer. An der Harvard University beispielsweise ist es üblich, fünf jüngere Forscher zeitlich befristet parallel arbeiten zu lassen – und nur der beste der fünf erhält dann eine fixe Stelle. Wer es dann geschafft hat, muss selbst aktiv die Akquisition so genannter „Grants“ (Forschungsgelder) betreiben und derart einen maßgeblichen Beitrag zur Finanzierung der eigenen Arbeiten leisten. Überdies muss ein nicht unerheblicher Teil der aufgetriebenen Mittel – die Quoten liegen je nach Universität zwischen 50 und 80 Prozent – an die Universität abgeliefert werden. Darüber hinaus sind auch für Forscher bei einer Übersiedlung in die USA bürokratische Hürden zu überwinden: So gilt es, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen oder die Übertragbarkeit der dortigen Sozialversicherung bei einer eventuellen Rückkehr nach Österreich zu klären. Deshalb fordern in den USA ansässige Wissenschafter die Möglichkeit einer Doppelstaatsbürgerschaft, die Österreich bisher nicht gewähren wollte. Auch ein regerer Austausch von Wissenschaftern würde dadurch erleichtert.

Um bei der Lösung solcher und ähnlicher Probleme behilflich zu sein und gleichzeitig als Lobby der in den USA tätigen Wissenschafter zu agieren, wurde kürzlich eine Vereinigung namens Austrian Scientists and Scholars in North America (AsciNA, www.ascina.at) ins Leben gerufen. Initiator dieser Vereinigung ist Philipp Steger, Wissenschaftsattaché an der österreichischen Botschaft in Washington D. C. „Wir wussten lange nicht, wer sind die Leute, die hinübergegangen sind, und was machen sie aus der Chance, die ihnen geboten wird“, beschreibt er sein Motiv.

Steger warnt allerdings vor überzogenen Erwartungen. Es sei „eine verkürzte Betrachtungsweise“, beständig den Verlust des Geisteskapitals zu beklagen und zu postulieren, die Auslandsösterreicher mit allen Mitteln wieder heimzuholen: „Wir können nicht jeder Spitzenkraft ein eigenes Institut bauen“, meint der Diplomat. „Viele Leute sind dort, wo sie sind, für Österreich sehr wertvoll und tragen außerdem dazu bei, unseren Ruf als Land mit vielen klugen Köpfen zu fördern.“

Steger plädiert daher dafür, die Dinge realistisch zu betrachten und den österreichischen Forschern in Nordamerika das Gefühl zu geben, auf die Unterstützung Österreichs zählen zu können, auch wenn keine konkrete Absicht zur Rückkehr in die Heimat besteht. Bisher wurden 600 der von Steger auf insgesamt 1500 geschätzten, in Nordamerika tätigen österreichischen Wissenschafter erfasst – längst Etablierte genauso wie erst kürzlich Graduierte oder Promovierte. 70 davon sind mittlerweile wieder nach Österreich zurückgekehrt, aber die meisten wollen laut Steger in den USA bleiben.

Innerhalb ihres Netzwerks wollen die Auslandsösterreicher Erfahrungen austauschen und zum besseren Verständnis der Unterschiede der Forschungslandschaften diesseits und jenseits des Atlantiks beitragen. Nahezu alle von profil befragten, in den USA tätigen österreichischen Forscher zollen der fachlichen Ausbildung in Österreich höchstes Lob. Kritik wird allenfalls an überladenen Lehrplänen geübt – und am mangelnden Bewusstsein vom eigentlichen Wesen der Wissenschaft. „In Österreich fehlt oft das Verständnis dafür, dass es ein wichtiger Aspekt der Wissenschaft ist, neue Ideen zu entwickeln und diese dann in der Zusammenarbeit mit anderen Kollegen zu überprüfen und fachlich kritisieren zu lassen“, mokiert sich etwa Reinhard Heinisch, Politikwissenschafter an der University of Pittsburgh. Auch sei den Österreichern die Rolle der Universität als Schöpfer von wirtschaftlichen Leistungen nicht in ausreichendem Ausmaß bewusst: „Die an den Universitäten geleisteten Arbeiten werden zu wenig unter dem Blickwinkel potenzieller Auswirkungen auf den eigenen Arbeitsplatz betrachtet.“

Ein weiterer Kritikpunkt ist die in Österreich vorherrschende Meinung, Universitäten müssten alles machen, anstatt sich gemäß den gegebenen Ressourcen auf Gebiete zu fokussieren, in denen besondere Expertise vorhanden ist und in denen Nachfrage nach Absolventen herrscht. Heinisch: „Wenn ich mir keinen Gedanken mache, was die Leute später machen werden, und am Ende alle akademisch ausgebildete Taxifahrer sind, so ist das Verschwendung von Volksvermögen.“

Positive Ansätze, die bestehenden Strukturen zu verändern, werden allerdings ebenfalls registriert und gewürdigt. Manche nennen als Beispiel die Universitätsreform, andere das Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) von Boehringer-Ingelheim sowie das am Wiener Biotech-Campus im Aufbau begriffene Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Die dort bereits existierende beziehungsweise im Entstehen begriffene Infrastruktur schaffe Forschungsbedingungen, welche auch für Weltklassewissenschafter reizvoll sei. Für manche der ausgeschriebenen Stellen melden sich bis zu 100 Bewerber aus allen Weltteilen.

Freilich sind diese Beispiele nicht auf andere Institute oder Universitäten umlegbar, denn die geschaffenen Strukturen und die dafür eingesetzten Mittel sind für österreichische Verhältnisse absolut außergewöhnlich. Aber vorstellbar ist, dass diese Institute und mit ihnen der sie umgebende Campus eine neue Dynamik entfachen, die befruchtende und motivierende Wirkung auch auf andere Sektoren des heimischen Wissenschaftsbetriebs entwickeln könnte.

Über kurz oder lang wäre dann ebenso vorstellbar, dass sich auch die Geschichte vom österreichischen Forscherstar an der Harvard University umkehrt: Wissenschafter von Rang könnten sich geehrt fühlen, wenn sie eingeladen werden, im Rahmen einer international renommierten Vorlesungsreihe an einem österreichischen Forschungsinstitut vorzutragen.