FPÖ: Die Wunde der Patrioten

Der rechte Parteiflügel droht zu putschen

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Hall bei Admont, Sonntag Früh: Als Hans Kronberger, Spitzenkandidat der Freiheitlichen, beim Frühstück die „Kronen Zeitung“ in die Hand nimmt, überkommt ihn, wie er später sagt, ein mulmiges Gefühl. Die Schlagzeile: „Schlussattacken auf H.-P. Martin“.

Bad Hall im Bezirk Steyr-Land, Sonntag Früh: Ursula Haubner, geschäftsführende Obfrau der FPÖ, hat das Kleinformat ebenfalls schon gelesen: „Bei der Schlagzeile habe ich mir bereits gedacht, dass es für uns nicht gut aussehen wird.“

Wien, Sonntag knapp nach 17 Uhr im „Meeting-Room III“ des neu eröffneten Hotels Hilton am Stadtpark: Hans Kronberger, FPÖ-Obmann Herbert Haupt und knapp ein Dutzend treuer blauer Fans starren fassungslos auf die Bildschirme, über die die ersten Hochrechnungen des ORF flimmern.

Jeder in der FPÖ-Spitze hatte mit einer Ohrfeige bei den EU-Wahlen gerechnet. Doch dass die Partei nahezu pulverisiert wurde, traf die inzwischen niederlagen-erprobten Blauen ins Mark.

Nur noch 6,3 Prozent stimmten am Sonntag für die Freiheitlichen, im Vergleich zu 1999 hat die FPÖ 500.000 Wähler verloren, nur mehr jeder sechste Wähler von damals machte diesmal sein Kreuz bei den Freiheitlichen. Statt wie bisher mit fünf wird die FPÖ in Zukunft nur mehr mit einem Mandat in Brüssel und Straßburg vertreten sein.

Schon bei den Nationalratswahlen 2002 waren die Freiheitlichen um 16,9 Prozentpunkte abgesackt, diesmal büßten sie 17,1 Prozentpunkte ein. Das ist der größte Verlust, den eine Partei in der Geschichte der Zweiten Republik bei Bundeswahlen je hinnehmen musste.

Die FPÖ ist nun wieder jene Kleinpartei, die Haider vor beinahe 20 Jahren übernommen hatte.

Parteichef Haupt wandte sich Sonntagabend in einer kurzen Ansprache an die deprimierte Schar: „Ich habe seit zwei Jahren die traurige Aufgabe, an Wahltagen zu euch zu sprechen. Auch ich habe schon schönere Stunden erlebt. Wir sind an einem Tiefpunkt in der Wählergunst angelangt, den wir zum letzten Mal 1983 gehabt haben.“

Weg aus der Krise. Die operative FPÖ-Chefin Ursula Haubner machte neben der Konkurrenz durch Hans-Peter Martin die geringe Wahlbeteiligung für das Fiasko verantwortlich: „Die Nichtwähler wollten der EU einen Denkzettel verpassen, und dieser Denkzettel hat in erster Linie uns getroffen.“ Laut Wählerstromanalyse blieben 60 Prozent der freiheitlichen Wähler von 1999 am Sonntag zu Hause.
Nur eines wollten die blauen Spitzen nach der Wahlschlappe nicht weiter öffentlich erläutern: eventuelle personelle Konsequenzen an der FPÖ-Spitze und im Parteimanagement.

Doch schon in den vergangenen Wochen soll Haubner intensiv über Wege aus der Krise nachgedacht haben. Für den EU-Wahlkampf waren zwar der frühere Bundesgeschäftsführer Gernot Rumpold und Jörg Haiders langjähriger Sprecher und Berater Karl-Heinz Petritz verantwortlich, dennoch dürften die Tage von Magda Bleckmann als Generalsekretärin der Partei gezählt sein. Als Favorit für ihre Nachfolge gilt der Kärntner Abgeordnete Uwe Scheuch.

Doch im Mittelpunkt der Beratungen der FPÖ-Spitze am Wahlabend und im Vorstand am Dienstag dieser Woche stehen weniger parteiinterne Personalien und Umbildungen der Regierungsmannschaft, sondern die Frage, wer eigentlich das Kommando in der Partei über haben soll.

Die bisherige Führungsstruktur hat sich als zu zerfleddert und damit ineffizient erwiesen: Da ist Herbert Haupt als Parteiobmann, dem die geschäftsführende Parteichefin Ursula Haubner zur Seite steht. Vizekanzler Hubert Gorbach kann bei Entscheidungen ebenso wenig übergangen werden wie der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider. Freiheitliche Mitarbeiter stöhnen immer wieder über die Vielzahl von Telefonaten, die geführt werden müssen, um endlich einmal alle Meinungen auf einen Nenner zu bringen. Überdies droht ständig die Gefahr unterschiedlicher Aussagen in den Medien, wodurch der Eindruck einer zerstrittenen Partei noch mehr verstärkt wird.

Parteitag im Juni? Herbert Haupt wird nachgesagt, schon seit längerem der Parteiführung überdrüssig zu sein. Damit kommt wieder einmal Jörg Haider ins Spiel. Auf einem vorgezogenen Parteitag könnte er noch im Juni als Parteiobmann inthronisiert werden. Haiders Schwester Ursula Haubner genießt zwar viel Sympathie in der Partei, so manchem Spitzen-Blauen gilt die Sozialstaatssekretärin allerdings als zu wenig durchschlagskräftig und entscheidungsschwach. Ihr Plus: Haider hat seiner großen Schwester gegenüber eine „Beißhemmung“, was die Zusammenarbeit Kärnten-Wien wesentlich erleichtern würde.

Bei den Freiheitlichen dürfte nun eine harte Hand gefragt sein. Denn nicht alle Blauen waren an diesem Wahlabend deprimiert. Andreas Mölzer, Nummer 3 auf der FPÖ-Liste, gab sich bei Redaktionsschluss von profil sicher, genug Vorzugsstimmen erhalten zu haben, um Hans Kronberger zu verdrängen und statt des formalen Spitzenkandidaten das verbliebene blaue Mandat für das EU-Parlament zu übernehmen. Mölzer am Sonntagabend gegenüber profil: „Das Ergebnis ist für die Weiterentwicklung der FPÖ ein wichtiger Schritt, weil die freiheitlichen Kernwähler jetzt wissen, dass ihre Ideale nicht vergessen werden.“

In einer selbst für FPÖ-Verhältnisse einmaligen Kommandoaktion hatte Mölzer in den vergangenen Wochen einen Persönlichkeitswahlkampf auf Kosten von Hans Kronberger geführt. Herbert Haupt und Ursula Haubner war es nicht gelungen, den Störenfried von seinem Vorhaben abzubringen. Selbst Jörg Haiders Weigerung, Mölzer zu unterstützen, irritierte den früheren Berater des Kärntner Landeshauptmanns nicht weiter. Im Gegenteil, am Wahlabend strotzte Mölzer vor Selbstvertrauen: Ohne die „rechten Kernwähler“, so seine Analyse, hätte die FPÖ am Sonntag noch schlechter abgeschnitten.

Machtverschiebung. Damit haben sich die Kräfteverhältnisse in der FPÖ deutlich verschoben. Das Rechts-außen-Lager innerhalb der Partei ist stark im Aufwind. Hinter Mölzers Kandidatur standen Volksanwalt Ewald Stadler, Bundesrat John Gudenus, Senioren-Chef Paul Tremmel sowie der Ex-FPÖ-Abgeordnete Otto Scrinzi, allesamt stramme Deutschnationale. Die Parteijugend um den in seiner eigenen Organisation umstrittenen Chef des Rings freiheitlicher Jugend, Johann Gudenus, warf sich für Mölzer ebenso ins Zeug wie Teile der niederösterreichischen und Wiener Landesgruppe der Freiheitlichen. Bei der Abschlussveranstaltung der FPÖ in Wien waren kaum Plakate für Hans Kronberger, sondern Transparente à la „Mölzer nach Brüssel“, „Jugend für Mölzer“ oder „Senioren für Mölzer“ zu sehen.

Das Aushängeschild der neuen und alten Rechten in der FPÖ ist Heinz Christian Strache. Der frisch gekürte Landesobmann von Wien ließ am Wahlabend mit scharfen Tönen aufhorchen: „Die heutige FPÖ ist nicht mehr die FPÖ, die sich die Menschen herbeisehnen.“ Die Partei brauche einen „völligen Neubeginn“ und „eine totale Regeneration“. Dies, so Strache, könne bis zu einer „Neugründung der FP֓ gehen. An der Spitze der Partei erwartet sich der Wiener Veränderungen: „Wenn Jög Haider die Verantwortung übernehmen will, dann soll mir das recht sein.“ Zusatz: „Aber damit wird’s nicht getan sein. Wir brauchen mehr, damit die Partei wieder den Erfolgsweg einschlägt.“

In der Parteiführung beobachtet man die Umtriebe der Rechten mit wachsender Unruhe – und Missmut. Ein blaues Vorstandsmitglied: „Diese Herrschaften ziehen es vor, mit sechs Prozent in der Opposition zu sein, Hauptsache, sie selbst haben in der Partei das Sagen.“

Es war Jörg Haider, der einst den Einfluss des national-liberalen Lagers in der FPÖ zurückstutzte. Zwar hatte ihn diese Gruppe aus Burschenschaftern, Akademikern und Vertretern freier Berufe mit auf den Schild gehoben, doch deren elitärer Ansatz war zu eng für eine breite Protestbewegung, wie sie ihm vorschwebte.

Schon seit Wochen wird parteiintern gemunkelt, Heinz Christian Strache stünde der Sinn nach mehr. Der Wiener FPÖ-Chef könnte vom rechten Flügel als Obmann-Kandidat aufgebaut werden.

Befremden in der ÖVP. Die Renaissance der Rechten – ein Horrorszenario nicht nur für die FPÖ-Parteispitze, sondern auch für den Koalitionspartner. Die EU-kritischen Aussagen von Strache, Mölzer & Co in den vergangenen Wochen wurden beim Koalitionspartner ÖVP mit Befremden aufgenommen.

Allein der Kärntner Landeshauptmann, so glaubt man in der FPÖ, könnte die aufstrebenden Rechten zur Räson bringen. Was Haiders Partei diesmal so kläglich misslungen ist, gelang Hans-Peter Martin umso besser. Der ehemalige Journalist – und nicht die FPÖ – war diesmal erste Anlaufstelle aller politisch Frustrierten und EU-Gegner. Wie die Blauen in besseren Tagen konzentrierte sich Martin auf ein leicht fassbares Thema, in seinem Fall das „Spesenrittertum in Brüssel“ – eine Diktion, die man eigentlich von Jörg Haider gewöhnt ist.

Ob dieser bereit ist, wieder Obmann zu werden, wird auch in der derzeitigen Führungsriege bezweifelt. Am Wahlabend gab sich der Landeshauptmann wortkarg. Kein Wunder: Auch in Kärnten haben die Blauen fast 15 Prozentpunkte verloren.
Der sichtlich mitgenommene FPÖ-Klubobmann Herbert Scheibner kommentierte die Katastrophe am Ende des Wahltages in Haupt’scher Sprachmusik: „Wir haben eine Niederlage errungen.“