Sonnenende: FPÖ im Gewittersturm

FPÖ: Sonnenende

Ursula Haubners Antritt als FPÖ-Chefin

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Donnerstagmittag vergangener Woche bestieg Dieter Böhmdorfer seinen Dienstwagen und ließ sich zur Wiener Adresse Franz-Josefs-Kai 51 kutschieren, einer Außenstelle des Sozialministeriums. Im Amtsgebäude erwartete ihn Ursula Haubner, seit einer Woche designierte Parteiobfrau der FPÖ. Wie es seine Art ist, kam Böhmdorfer rasch zur Sache. Später wurde noch einige Male telefoniert, Freitagvormittag fand ein Krisengespräch der FPÖ-Spitze statt, zu Mittag wurde es offiziell: Dieter Böhmdorfer, 61, seit Februar 2000 Justizminister, tritt zurück. Jeder Widerstand wäre zwecklos gewesen, erklärte er in einer Pressekonferenz: „Ich habe es der Staatssekretärin so gesagt, dass an der Bestimmtheit meines Beschlusses kein Zweifel bestand.“

Der Rücktritt des Justizministers ist der vorläufige Höhepunkt der Nachbeben des desaströsen EU-Wahlergebnisses. In der Vorwoche durchlebten die Blauen ein Déjà-vu: Panik bei den Funktionären, stundenlange Sitzungen der Gremien und öffentliche Ankündigungen, „neu durchzustarten“. Und – mittlerweile ein freiheitlicher Klassiker – ein Sonderparteitag: Am 3. Juli wird Ursula Haubner zur Parteichefin gewählt. Seit dem Regierungseintritt der Blauen hatten dieses Amt Jörg Haider, Susanne Riess-Passer, interimistisch Herbert Scheibner, danach Mathias Reichhold und Herbert Haupt inne.

Böhmdorfer betonte nach seiner Rücktrittsankündigung, aus freien Stücken aus dem Amt zu scheiden. Er wolle Haubner „einen Generationenwechsel ermöglichen“.

Kein Platz im Dream-Team. Böhmdorfer konnte sich wohl ausmalen, dass er ohnehin nicht dem von Haubner angekündigten neuen blauen Dream-Tream angehören würde. Die Erklärung der Parteichefin, kein Regierungsmitglied habe ein sicheres Ticket, soll „Böhmi“ arg gekränkt haben. Die Lust an seinem Job hatte er schon vor längerer Zeit verloren. Gegenüber Parteifreunden erklärte Böhmdorfer vor Wochen, nicht mehr lange Justizminister bleiben zu wollen. Und nun wollte der profilierte Rechtsanwalt wenigstens Herr des Verfahrens bleiben.

Der Abschied des Justizministers kommt seinen Parteikollegen durchaus gelegen. Denn in der FPÖ hatte er fast keine Freunde mehr. Vor allem die Beziehung zu Vizekanzler Hubert Gorbach wurde in den vergangenen Wochen strapaziert. Böhmdorfer war auf FPÖ-Seite für die Koordination der Regierungsarbeit verantwortlich, eine Funktion, die ihm Gorbach zunehmend streitig machte.

Beim Koalitionspartner findet sich niemand, der Böhmdorfer nachtrauern würde, zu sehr hatte der Justizminister seine schwarzen Regierungskollegen in den vergangenen Monaten – etwa bei der letztlich gestrichenen Steueramnestie oder jüngst bei Novellen im Medienrecht – genervt.

Kein Wunder, dass Böhmdorfers Abschied FPÖ-intern auch als Goodwill-Signal der neuen Parteichefin an die ÖVP interpretiert wird.

Dafür erwarten sich die Blauen Gegenleistungen – und zwar schon nächste Woche: Erster Profiteur soll der FPÖ-Kandidat für den Rechnungshofpräsidenten, der frühere Klubdirektor Josef Moser, sein (siehe Seite 28). Mit Moser könnte die ÖVP durchaus leben.

Seit der Neuauflage der Koalition werden blaue Personalentscheidungen nicht mehr ausschließlich in den FPÖ-Vorstandsetagen gefällt, sondern zunehmend auch im Bundeskanzleramt. So soll Jörg Haider schon im März einen Austausch des FPÖ-Regierungspersonals urgiert haben, doch Kanzler Wolfgang Schüssel legte sich quer und ermahnte die Blauen, wenigstens personell Kontinuität zu zeigen.

Damit ist es nun vorbei. Dieter Böhmdorfer war das erste, aber nicht das letzte Opfer des Debakels bei den EU-Wahlen. Als Ablösekandidat Nummer eins gilt Sportstaatssekretär Karl Schweitzer.

Und auch Herbert Haupts Tage als Sozialminister sind gezählt. Anders als Böhmdorfer nimmt Haupt aber nicht leichten Herzens den Hut, denn im Gegensatz zum Parteivorsitz hängt Haupt mit Hingabe an seinem Regierungsamt. Ursula Haubner wird nachgesagt, vor einer Entlassung Haupts gegen dessen Willen zurückzuschrecken. Doch der Druck auf ihn dürfte in den kommenden Wochen so stark werden, dass er von sich aus das Handtuch wirft.

Als am Freitagnachmittag die Austria Presse Agentur in einer „Eilt-Meldung“ die später von Haider dementierte Nachricht verbreitete, der Landeshauptmann hätte Haupts Rückzug für Sommer angekündigt, reagierte der Sozialminister im ersten Moment defensiv: „Ich will meinem Landeshauptmann nicht widersprechen.“ Ein FPÖ-Grande zürnte: „Damit hätte der Jörg die Uschi gleich am Anfang ruiniert.“

Rochaden. In der FPÖ wird kolportiert, Haupt könnte auf den Posten des Dritten Nationalratspräsidenten Thomas Prinzhorn wechseln. Dem Papierindustriellen wird Amtsmüdigkeit nachgesagt, beim Sonderparteitag will er nicht mehr als stellvertretender FPÖ-Chef kandidieren.

Nach Haupts Abgang wird Ursula Haubner zur Sozialministerin aufsteigen. In der FPÖ war auch diskutiert worden, Haubner zur Vizekanzlerin ohne größeren Aufgabenbereich zu machen, sodass ihr auch genügend Freiraum bliebe, sich um die Parteiführung zu kümmern. Doch dieser Plan traf auf doppelten Widerstand. Hubert Gorbach fühlt sich als Vizekanzler pudelwohl und sonnt sich gern im Glanz seines Amtes und der damit verbundenen hohen Erscheinungsfrequenz im ORF. Jüngster Höhepunkt der Vizekanzler-Allüren, die in der Partei mit steigender Skepsis beobachtet werden: Der Vorarlberger plant, eine Briefmarke mit dem eigenen Konterfei auflegen zu lassen.

Auch die ÖVP sträubt sich gegen Haubners Beförderung zur Vizekanzlerin. Zu gut funktioniert die Achse zwischen Kanzler Schüssel und Gorbach. Überdies, so die Befürchtung der Schwarzen, könnte Haubner als nur bedingt ausgelastete Vizekanzlerin zu viel Zeit finden, sich mit ihrem Bruder zu besprechen.

Zur Entlastung Gorbachs soll neben ÖVP-Mann Helmut Kukacka nun ein weiterer, blauer Staatssekretär im Infrastrukturministerium bestellt werden. Im Gespräch für den Posten ist Barbara Kappel, Büroleiterin von Thomas Prinzhorn.

Mit etwas Glück könnte Gesundheits-staatssekretär Reinhart Waneck auch die kommenden Personalrochaden unbeschadet überstehen. Sein Plus: Er kann mit allen drei Lagern in der FPÖ – dem Haider-Flügel, der Regierungsfraktion und der Burschenschaftertruppe um den frisch gewählten EU-Mandatar Andreas Mölzer und Volksanwalt Ewald Stadler. Auch Klubchef Herbert Scheibner wird – mangels Alternative – im Amt bleiben.

Ursula Haubner wehrte sich in der Marathonsitzung des FPÖ-Vorstands am Dienstag vergangener Woche zunächst heftig gegen ihr Avancement zur Parteichefin. Jörg Haider hatte schon vor Sitzungsbeginn klargestellt, nicht wieder FPÖ-Chef werden zu wollen. Schließlich ließ sich Haubner weich klopfen, beharrte allerdings – wie weiland Susanne Riess-Passer – auf weit reichenden Kompetenzen: Sie wolle absolute Handlungsfreiheit und ihr – wie sie es nannte – „Team der besten Köpfe“ in Eigenregie zusammenstellen. Zu Haubners Wunschmannschaft könnte Günther Steinkellner zählen. Der oberösterreichische FP-Obmann ist ein Vertrauter der neuen Parteichefin und gilt als durchaus ministrabel. An der Gerüchtebörse wird er als möglicher neuer Justizminister gehandelt.

Die Personalrekrutierung für das neue Parteimanagement nach dem Abgang von Generalsekretärin Magda Bleckmann ist ebenfalls schon angelaufen: In Zukunft sollen zwei Generalsekretäre die operative Führung der FPÖ innehaben. Als Fixstarter gilt der Kärntner Abgeordnete Uwe Scheuch. Der Zweite könnte der langjährige Sprecher und Berater Jörg Haiders, Karl-Heinz Petritz, sein.

In der Volkspartei, die vom Böhmdorfer-Rücktritt überrascht wurde, beobachtete man die Vorgänge beim Koalitionspartner in der Vorwoche mit wachsendem Entsetzen. ÖVP-Klubobmann Willi Molterer forderte Haubner am Freitag auf, eine „Gesamtplanung“ vorzulegen und mitzuteilen, wie die Regierungscrew der FPÖ aussehen werde.

Regiefehler. Die neue FPÖ-Chefin wollte ihr Regierungsteam erst zum Parteitag präsentieren. So weit die Planung. Dieter Böhmdorfers voreiliger Weg an die Öffentlichkeit machte die Regie zunichte. Haubners Wunsch, die Partei möglichst schnell wieder zu befrieden, ging damit nicht in Erfüllung. Im Gegenteil: Eine Woche nach der EU-Wahl präsentiert sich die FPÖ konfuser denn je.

Beim Parteitag droht weiteres Ungemach. Die erstarkten Rechtsausleger in der Partei könnten, wie mancher in der FPÖ fürchtet, die Versammlung zu einem Tribunal über die Führungsriege umwandeln. Zwar wurden die neuen Rechten wie der Wiener FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bei der Vorstandssitzung von Haider persönlich elegant ausgebootet, die Gefahr, die von ihnen ausgeht, ist der Parteichefin durchaus bewusst. Haubner soll sich ausbedungen haben, Quertreiber aus den eigenen Reihen, die öffentlich Kritik üben, sofort disziplinieren zu können – notfalls sogar mit der Androhung des Parteiausschlusses.

Dieter Böhmdorfer gab sich in seiner Pressekonferenz am Freitag trotz seines Rücktritts gut gelaunt: Die Arbeit sei durchaus erfolgreich gewesen. Zum Beweis ließ er Unterlagen über die Ergebnisse seiner Regierungstätigkeit verteilen – von der Reform der Strafprozessordnung bis zum Gefängnisprojekt in Rumänien. „Damit Sie sich“, so der Justizminister in Richtung der Berichterstatter, „nicht nur an die sieben Misstrauensanträge erinnern, wenn Sie an Böhmdorfer denken.“