Der Mythos Franz Fuchs

Franz Fuchs: Mythos und Realität

Titelgeschichte. 20 Jahre nach Beginn des Briefbombenterrors bleiben viele Rätsel ungelöst

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Zuletzt gebärdete er sich nur noch wie ein Verrückter: „Ausländerblut, nein danke! Minderheitenprivilegien, nein danke! Reinrassige Tschuschenregierung, nein danke! Scholten, Vranitzky und Busek, nein danke! Deutschfeindlicher Rassismus, nein danke!“ So lange brüllte sich Franz Fuchs gleich am ersten Verhandlungstag seine verlorene Seele aus dem Leib, bis ihn der Richter aus dem Saal führen ließ. Das Urteil – lebenslange Haft – wurde dem Briefbomber dann in der Zelle vorgelesen. Der 49-jährige Steirer habe es „regungs- und emotionslos“ zur Kenntnis genommen, erzählte danach sein Anwalt.

In den folgenden elf Monaten lehnte Fuchs jeden Kontakt mit der Außenwelt ab, mit dem Gefängnispsychiater sprach er nicht. Er wollte nicht arbeiten und weigerte sich, die für ihn angefertigten Handprothesen zu tragen.

Elf Monate nach dem Urteil erhängte er sich in der Strafanstalt Graz-Karlau. Als die Justizwachebeamten kurz zuvor seinen Haftraum kontrolliert hatten, war er wie meist teilnahmslos auf seiner Pritsche gelegen und hatte gegen die Decke gestarrt.

Fast vier Jahre lang hatte dieser Mann das Land in Atem gehalten. Vier Menschen wurden durch die von ihm gebauten Sprengkörper getötet, 13 weitere zum Teil verstümmelt. Dutzende entgingen nur knapp dem Tod.
Letztlich hat er sich selbst zur Strecke gebracht.

Am 1. Oktober 1997 rufen zwei Frauen im oststeirischen Gralla die Polizei, weil sie sich von einem weißen Kombi verfolgt fühlen. Als die Beamten den Lenker stellen, lässt dieser beim Aussteigen eine Höllenmaschine detonieren. Ihmwerden beide Hände abgerissen. Am Ende seiner Nervenkraft hatte Franz Fuchs in den Frauen Ermittlerinnen vermutet, die hinter ihm her seien.

Jahrelang hatte es den Anschein, als stecke eine Bande hinter den Anschlägen. In Bekennerbriefen gab sich eine „Bajuwarische Befreiungsarmee BBA“ als Schaltzentrale für den Bombenterror aus. Franz Fuchs behauptete bis zuletzt, er sei nur ein kleines Mitglied einer großen Organisation gewesen. Unsinn, wie Sachverständige, Psychologen und Ermittler beim Prozess meinten.

Und doch bleibt vieles bis heute offen. „Unterliegen Sie bitte nicht der Illusion, dass wir es mit einem aufgeklärten Verbrechen zu tun haben“, riet Fuchs-Verteidiger Gerald Ruhri in seinem Plädoyer den Geschworenen. Selbst Michael Sika, damals Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, meinte nach dem Prozess in einem Interview für das Briefbomber-Buch von profil-Redakteur Thomas Vasek: „Ich halte es natürlich für möglich, dass er zumindest Teil-Mitwisser hat. Ich glaube allerdings immer noch, dass die BBA nur im Gehirn des Fuchs existiert.“

Die erste Anschlagserie im Dezember 1993 war in eine politisch sensible Zeit geplatzt. Im Jahr zuvor hatte Bundespräsident Kurt Waldheim nach nur einer Amtsperiode die Segel gestrichen, in Österreich wurde erstmals über die Mitverantwortung an den Verbrechen des Nationalsozialismus diskutiert. Gleichzeitig stieg am rechten Rand des politischen Spektrums ein neuer Star raketenhaft auf: Jörg Haider hatte es seit seinem innerparteilichen Putsch von 1986 geschafft, die FPÖ in denUmfragen über die 20-Prozent-Marke zu pushen. Wenige Monate vor Beginn desBriefbombenterrors hatte Haider ein Anti-Ausländervolksbegehren gestartet.

Die Staatspolizei hatte gerade unter den Köpfen des österreichischen Rechtsradikalismus aufgeräumt. Zwei Neonazi-Größen, Gerd Honsik und Walter Ochensberger, waren zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Der Chef der rechtsextremen VAPO, Gottfried Küssel, wurde verhaftet, sein Jünger Hans Jörg Schimanek jun. nach „Wehrsportübungen“ in Langenlois festgenommen.

Logisch, dass der oder die Attentäter in dieser Ecke vermutet wurden, worauf auch die Auswahl der Adressaten der ersten Bombenserie hindeutete: Der Hartberger Pfarrer August Janisch hatte sich für Ausländer engagiert, Wiens Bürgermeister Helmut Zilk war für Zuwanderer eingetreten; die Minderheitenredaktion des ORF, die Caritas-Zentrale, der „Slowenische Kulturverein“, die grüne Migrationssprecherin Terezija Stoisits und ihre Klubobfrau Madeleine Petrovic, Johanna Dohnal, ein Anwalt, der einen Ausländerverein vertrat – sie alle passten ins „Beuteschema“ neonazistischer Gruppierungen.

Schon drei Tage nach dem Anschlag scheint es, als wären die Täter gefasst: Am Nikolaustag 1993 wird der Küssel-Gefolgsmann Peter Binder, ein 26-jähriger Elektroingenieur, an der tschechischen Grenze verhaftet. Im Kofferraum seines Wagens werden 13 Gewehre, fünf Pistolen und Ingredienzen von Nitroglyceringefunden. Im Haus seiner Schwiegereltern entdeckt die Polizei neben weiteren Waffen zehn Kilogramm TNT, genug, um mehrere Häuser in die Luft zu sprengen. Eine Trafikantin meldet, Binder habe einen Bogen Sieben-Schilling-Briefmarken gekauft, wie sie auf den Bombenbriefen verwendet wurden.

Und noch einen Verdächtigen gibt es: den ebenfalls amtsbekannten Franz Radl jun., der wenige Wochen vor den Anschlägen aus der Haft in Graz entlassen worden war (vier Monate wegen NS-Wiederbetätigung). In Radls Wiener Wohnung hatten die Ermittler einen Laptop sichergestellt, auf dem vier der Briefbomben-Adressaten vermerkt waren: „Zilk – Jude – SPÖ – Geburtstag; Petrovic – die Grünen – Jude; Stoisits; Schüller – Jude.“ Außerdem hatte Radl 24 Beiträge der Sendung „Heimat, fremde Heimat“ gespeichert.

Aber so dicht die Indizien auch scheinen – Binder und Radl sind nur „Beifang“. Am 20. Dezember 1993, da sitzen die beiden schon, wird in Perchtoldsdorf ein Bekennerbrief zu den Anschlägen eingeworfen, den das Innenministerium eineinhalb Jahre lang geheim hält. Man habe die Öffentlichkeit „nicht verunsichern“ wollen, erklärt Sicherheitsdirektor Sika, als die Existenz des Briefes im Februar 1995 bekannt wird. Auch ihn zeichnete ein „Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg“.

Zu diesem Zeitpunkt hat der Briefbomber schon wieder grausam zugeschlagen: Im Klagenfurt reißt es einem Polizeibeamten beide Arme ab, als er eine bei einer zweisprachigen Schule deponierte Rohrbombe entschärfen will. Auch vier weitere, allerdings nicht hochgegangene Briefbomben wurden verschickt.
Binder und Radl sind aus dem Schneider. Die Existenz des ersten Bekennerbriefes lässt sich nun auch nicht mehr leugnen, denn im September 1994 war ein Schreiben der „Salzburger Eidgenossenschaft. Bajuwarische Befreiungsbewegung“ an den slowenischen Außenminister Loize Peterle bekannt geworden, in dem sich dieTruppe zum Anschlag in Klagenfurt bekennt. Im Anhang heißt es: „Wir vermuten, dass die inhaftierten Verdächtigen Binder und Radl nicht einmal von der Existenz einer BBA wissen ... Die BBA bekennt sich zum wiederholten Male zur Briefbombenserie vom Dezember 1993.“ Zum wiederholten Male. Also war auch der erste Bekennerbrief authentisch, was von den Ermittlern stets bezweifelt wurde – eine der Fahndungspannen jener Monate.
Elf weitere Briefbomben – fünf davon gehen hoch und verletzen die Empfänger – und die fürchterliche Rohrbombe von Oberwart sollten folgen: Der Anschlag auf die Roma-Siedlung vom 4. Februar 1995, bei dem vier Männer regelrecht zerfetztwerden, löst einen nationalen Schock aus.
Nach dem Brief an Peterle werden noch weitere fünf umfangreiche Depeschen aufgeben: an die Rechtsanwälte Michael Graff und Rudolf Mayer und an FPÖ-Landesrat Hans Jörg Schimanek. Zwei Briefe sind an profil adressiert. Neben Details des Briefbombenbaus und Hohn für die Ermittler legt der Briefbomber sein Weltbild dar. Es unterscheidet sich klar von den üblichen Neonazi-Fantasien: Auf den insgesamt 72 Seiten gibt es praktisch keine antisemitische Anspielung, der Name Hitler kommt nur einmal vor – und nicht unbedingt positiv. Jörg Haider wird eher abfällig kommentiert „weil er sich einbildet, dass er die Tschuschen-Diktatur mit demokratischen Mitteln zu Fall bringen kann“, wie es in einem der Briefe an profil heißt.

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