Weibsbilder

Soziales. Das niedrigere Pensionsalter schadet Frauen. Nun wird es ernsthaft infrage gestellt

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Frau S., Jahrgang 1951, werkte nach der Matura als Buchhalterin, blieb nach der Geburt ihrer vier Kinder ein paar Jahre zu Hause, kehrte in Teilzeit ins Berufsleben zurück. Dann begleitete sie ihren Mann ins Ausland, schloss dort ein Wirtschaftsstudium ab und arbeitete sich nach der Rückkehr in Österreich zur Abteilungsleiter-Stellvertreterin für Personalverrechnung in einem Mittelbetrieb hoch. Im Vorjahr wurde der Leitungsposten vakant. Frau S., mittlerweile 59, bewarb sich, ebenso wie ihr gleichaltriger Kollege. Das Ergebnis: Frau S. wurde in Pension geschickt – und ihr Kollege Abteilungsleiter.

Viele Fälle wie dieser landen auf dem Schreibtisch von Susanne Walpitscheker, der Vize-Generalsekretärin des Seniorenbunds. Als Walpitscheker vor zehn Jahren bei der ÖVP-Pensionistenorganisation zu arbeiten begann, traf sie auf ganz andere Anliegen: „Damals bekamen wir x Briefe von Frauen, die uns baten, ihnen zu helfen, in Pension zu gehen. Das hat sich völlig geändert. Seit zwei, drei Jahren beklagen sich viele Frauen, dass sie nicht bleiben dürfen.“ Mit den Mitgliedern vollzog der Seniorenbund einen Meinungsschwenk – und kämpft neuerdings für ein höheres Frauenpensionsalter.

Er ist nicht allein. Quer durch Parteien, Interessenorganisationen und Expertenköpfe setzt sich die Erkenntnis durch, dass das niedrigere Frauenpensionsalter lediglich ein Scheintriumph der Frauenbewegung war. Im Jahr 1992 wurde es von Johanna Dohnal ertrotzt und für vier Jahrzehnte als Verfassungsgesetz einzementiert. Erst 2033 sollen sich Frauen im selben Alter wie Männer, mit 65, in den Ruhestand verabschieden. Der kleine Unterschied hat große Folgen: Frauen verpassen dadurch Gehaltsvorrückungen, Beförderungen und gelten trotz ihrer höheren Lebenserwartung auf dem Arbeitsmarkt früher als „alt“ als Männer. Das summiert sich – die durchschnittliche Pension der Frauen liegt bei 808 Euro brutto und damit deutlich unter den 1329 Euro brutto, die Männer im Ruhestand ausbezahlt bekommen. Darum stellen mittlerweile nüchterne Pragmatiker wie Sozialminister Rudolf Hundstorfer offen infrage, ob es nicht sinnvoll wäre, das Frauenpensionsalter früher als geplant anzuheben: „Ich will das leidenschaftslos ausdiskutieren.“ Hinter dieser für Hundstorfer typisch vorsichtigen Formulierung verbirgt sich ein Tabubruch: Erstmals seit Jahrzehnten wird ernsthaft am scheinbaren Privileg des früheren Rentenantritts von Frauen gerüttelt.

Hundstorfer und seinen Unterstützern ist bewusst, auf welch heikles Terrain sie sich begeben. In aller Stille tüfteln daher derzeit Experten des Gewerkschaftsbunds, der Arbeiterkammer und des Ministeriums. Sie wollen ein Paket für mehr Frauenbeschäftigung schnüren, das zu höheren Erwerbsquoten und Pensionen führt.

An Goodies wird gebastelt, so soll etwa bei Sozialleistungen wie der Notstandshilfe das Partnereinkommen nicht mehr angerechnet werden. Damit könnte, so die Überlegung, ein höheres Frauenpensionsalter schmackhaft gemacht werden. Ein Mitglied der Expertengruppe bleibt skeptisch, ob die Angst vor der eigenen Courage nicht noch um sich greift: „Ich weiß nicht, ob das Papier je das Licht der Welt erblickt.“

An Erich Foglar, dem Präsidenten des ÖGB, würde es nicht scheitern, im Gegenteil. Er ist nach sorgfältigem Studium aller Statistiken zum Schluss gekommen: „Das niedrigere Frauenpensionsalter schadet Frauen mehr, als es ihnen nutzt. Ihnen fehlen wichtige Erwerbsjahre für die Pension.“ Als Startschuss für eine Pensionsreform, das ist Foglar wichtig, will er die Überlegung keineswegs verstanden wissen – sondern als einen Schritt, Frauen zu Pensionen zu verhelfen, die über kümmerliche Beträge knapp jenseits der Armutsgrenze hinauskommen.

Denn ein typisch weibliches Berufsleben weist ohnehin mehr Lücken auf. Einerseits die Karenzzeiten, bei jeder zweiten Frau kommt noch zumindest eine Phase der Teilzeitarbeit dazu – und diese Teilzeitgehälter schlagen sich seit der Pensionsreform 2003 deutlicher in der Pensionssumme nieder, weil nicht mehr nur die besten Verdienstjahre zählen. Wenn Frauen dann noch am Ende des Arbeitslebens jene Jahre verpassen, in denen männliche Kollegen schon allein wegen der Vorrückungen in den Kollektivver­trägen gut verdienen und die Früchte einer durchgehenden Karriere ernten, kommen sehr niedrige Pensionen ­heraus. „Den Frauen fehlen wichtige Versicherungsjahre“, resümiert Christine Mayrhuber, Pensionsexpertin des Wirtschaftsforschungsinstituts. Auch sie plädiert dafür, das Pensionsantrittsalter früher anzuheben – aber mit Augenmaß: „Damit Frauen davon profitieren, braucht es auch Integration auf dem Arbeitsmarkt.“

Daran hapert es. Kaum bergen Frauen, aus Sicht mancher Arbeitgeber, nicht mehr das permanente Risiko in sich, wegen Schwangerschaft auszufallen, tappen sie in die Altersfalle. Denn Frauen leben zwar durchschnittlich um sieben Jahre länger als Männer, gelten aber paradoxerweise dennoch früher als „alt“. Sozialforscher Bernd Marin ist überzeugt, dass dieser Alterungsprozess vor der Zeit auch mit dem frühen Pensionsantrittsalter zu tun hat: „Schon ab 40 bis 45 Jahren werden Frauen viel seltener Fortbildungsmaßnahmen oder Kurse bewilligt. So verpassen Frauen viel, etwa die bei männlichen Angestellten besonders hohen Gehaltszuwächse zwischen 50 und 56. Das niedrige Frauenpensionsalter ist ein vergiftetes Bonbon.“

Und zudem teuer: Frauen erleben ihre Pension 27, Männer 22 Jahre. Wenn das durchschnittliche Pensionsantrittsalter um nur ein Jahr stiege, ersparte sich der Staat eine Milliarde Euro jährlich. Marin plädiert dafür, einen Teil dieses Geldes in „das größte Gleichbehandlungspaket der Geschichte“ zu investieren: „Wenn die Frauenorganisationen jetzt über einen Anstieg des Pensionsalters verhandelten, hätten sie einen Trumpf in der Hand.“

Es deutet wenig darauf hin, dass der SPÖ-Frauenflügel bereit ist, diese Karte auszuspielen. Generationen sind mit der Darstellung aufgewachsen, dass das niedrigere Frauenpensionsalter ein Privileg ist, welches Johanna Dohnal einst den Männern abringen konnte. In der Tat bedurfte es damals, im Jahr 1992, vieler harter Verhandlungswochen, bis Dohnal ihr Ziel erreicht hatte: Der Verfassungsgerichtshof hatte das unterschiedliche Pensionsalter aufgehoben, SPÖ und ÖVP beschlossen aber ein neues Verfassungsgesetz. Bis zum Jahr 2024 sollen (mit der Ausnahme von Beamtinnen) Frauen früher in Pension gehen, erst dann wird das Antrittsalter schrittweise angehoben, bis es im Jahr 2033 gleich wie jenes der Männer bei 65 Jahren liegt.

Dohnals Nach-Nachfolgerin im Frauenministerium, die langjährige SPÖ-Frauenvorsitzende und heutige Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, sieht keinen Grund, von Dohnals Pfad abzurücken: „Mich überzeugen die Argumente für ein vorzeitiges Anheben des Frauenpensionsalters nicht. Immerhin gibt es in Österreich ein stilles Agreement für einen frühen Ruhestand, von dem auch die Wirtschaft gut gelebt hat.“ Daher befürchtet Prammer, dass ein höheres Frauenpensionsalter nur zu mehr Arbeitslosigkeit älterer Frauen führen würde. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek ist auch dieser Meinung: „Ich sehe keine Vorteile für Frauen, wenn das Frauenpensionsalter früher angehoben wird“.

Prammer will aber die Debatte nutzen, um auf den zweiten Teil der Vereinbarung von 1992 hinzuweisen. Damals wurden Verbesserungen für Frauen beschlossen, etwa die Anrechnung von Kinderbetreuungszeiten, in der Hoffnung, dass bis zum Jahr 2024 Frauen und Männer gleichgestellt sein würden und nichts mehr gegen ein gleiches Pensionsantrittsalter spreche. Das war deutlich zu optimistisch. Von Gleichstellung kann keine Rede sein, im Gegenteil. Österreich liegt bei allen Kriterien – Lohnschere, Frauen in Führungsfunktionen, Vereinbarkeit von Beruf und Familie – auf beschämenden hinteren Plätzen im EU-Vergleich. Prammer hält die Diskussion über das Frauenpensionsalter daher für eine gute Gelegenheit, „die Benachteiligung von Frauen anzusprechen“.

Der „offene Dialog mit den Frauenorganisationen“, den sich ÖGB-Präsident Foglar wünscht, scheint eine knifflige Angelegenheit zu werden. Bei konservativen Frauen rennt er offene Türen ein, da sagt ÖVP-Abgeordnete Christine Marek stellvertretend für viele: „Natürlich soll man das Frauenpensionsalter anheben.“ Bei der SPÖ und bei den Grünen sind die Widerstände aber beträchtlich, auch Grünen-Bundessprecherin Eva Glawischnig kann keinerlei Vorteile in einem höheren Frauenpensionsalter erkennen.

In der Realität sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen ohnehin geringer als im Gesetz: Frauen gehen im Schnitt mit 57, Männer mit 59 Jahren in Pension. Winfried Pinggera, Direktor der Pensionsversicherungsanstalt, ist überzeugt, dass das frühere Antrittsalter die Frauen „zumindest zehn Prozent an Pension kostet“.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass das Sonderpensionsalter für Frauen zum Volltreffer der Frauenbewegung verklärt wurde. Denn von seiner Entstehung her hat es damit nichts zu tun – sondern war im Grunde der Bequemlichkeit und der Absicherung der Arbeitsplätze von Männern geschuldet.

Schon in der ausgehenden Monarchie war das Thema ein Aufreger. Auslöser damals war ein schnödes versicherungsmathematisches Dilemma: Männer erhielten für ihre Pensionsbeiträge zwei Ansprüche, eine eigene und eine Witwenpension für ihre Gattinnen, Frauen bekamen für ihre Einzahlungen aber nur eine, die eigene Pension. Kurz wurde als Lösung für diese Schieflage diskutiert, die Beiträge für Frauen zu senken. Diese Vorstellung löste bei den Herren im Parlament blankes Entsetzen aus, weiß Ingrid Mairhuber zu berichten, die für ihre Dissertation Nationalratsprotokolle durchforstete: „Mit niedrigeren Beiträgen wären Frauen die Arbeitgeber billiger gekommen. Die Männer fürchteten die Konkurrenz am Arbeitsmarkt.“ Also einigte man sich auf eine andere Variante: Kaiser Franz Joseph regelte im Jahr 1914 mit einem Erlass, dass Frauen um fünf Jahre früher in Pension gehen können.

In der Zwischenkriegszeit stand das Frauenpensionsalter, quer durch Europa, erneut zur Disposition. Auch die Frauenbewegung, vor allem die starke englische, machte sich für einen frühen Rentenantritt stark. Dominant war aber ein ganz anders gelagertes Argument, warum sich Frauen um fünf Jahre vor den Männern vom Arbeitsplatz verabschieden sollten: Es schwang die Angst mit, dass die Männer, aufgrund des Altersunterschieds, womöglich vor ihren Frauen in Pension wären und sich um den Haushalt kümmern müssten. „Das hätte das damalige bürgerliche Modell völlig über den Haufen geworfen“, schildert der Wirtschaftshistoriker Josef Ehmer.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs drängte dann die Internationale Arbeitsorganisation ILO auf ein Senken des Pensionsalters – getragen vom Gedanken, dass hohe Arbeitslosigkeit als eine der Wurzeln des Faschismus auf jeden Fall zu vermeiden sei. Konsequent wurde in den fünfziger Jahren in Deutschland und Österreich das Pensionsalter für Frauen, das die Nazis angehoben hatten, wieder gesenkt. Damals nahm man sich vor, auch Männer früher in Pension gehen zu lassen – sobald genügend Geld vorhanden war. Das fand sich nie.

Die Sonderregelungen für Frauen waren Mitte des vorigen Jahrhunderts in vielen Staaten gang und gäbe. Der Prozess der Angleichung ging von Skandinavien aus und ist fast überall vollzogen. Österreich befindet sich mit seiner langsamen Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters mittlerweile nur mehr in der illustren Gesellschaft von Staaten wie Albanien, der Türkei oder Usbekistan.

„Vor drei Jahrzehnten waren 60-jährige Frauen alt. Rein biologisch hat sich seither viel verändert. Ich werde bald 71 und fühle mich überhaupt nicht alt“, bricht Ingrid Korosec eine Lanze dafür, das Pensionsalter zu modernisieren. Sie hat seinerzeit als ÖVP-Generalsekretärin gemeinsam mit Johanna Dohnal das niedrigere Pensionsalter durchgeboxt und sagt heute: „Das war ein Fehler. Es erweist sich als Diskriminierung, zumindest für qualifizierte Frauen.“

Der Ansicht sind auch die Höchstgerichte, bis hin zum Europäischen Gerichtshof. Im vergangenen Jahr prozessierten sich mehrere Frauen, die gegen ihren Willen mit 60 Jahren in Pension geschickt worden waren, ins Arbeitsleben zurück. Der pikanteste Fall ist der einer Ärztin, die ausgerechnet bei der Tiroler Pensionsversicherungsanstalt tätig war und gegen ihre Pensionierung geklagt hatte. Unisono entschieden die Gerichte: Es widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz, Frauen früher als ihre männlichen Kollegen in den Ruhestand zu verabschieden.

Diese Urteile und andere Entscheide des EuGH bringen Andreas Khol, Obmann des Seniorenbunds und Verfassungsjurist, zur Überzeugung, dass es für die vorzeitige Anhebung des Frauenpensionsalters gar kein Verfassungsgesetz brauche. Andere Rechtsgelehrte vertreten mit Vehemenz die entgegengesetzte Meinung.

Doch das ist derzeit fast noch die kleinste Hürde, um den Sonderstatus der Sonderpensionen für Frauen vorzeitig zu beenden.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin