„Dachte, ich hätte einen Stein geworfen“

Interview. Grünen-Vorkämpferin Freda Meissner-Blau über Existenzielles und Politisches

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Interview: Marianne Enigl

profil: Sie sind 85 geworden, setzt man sich da auf die Couch und analysiert Vergangenes?
Meissner-Blau: Bräuchte es ein Datum, um nachzudenken, wäre das so absurd wie Muttertag.

profil: Als politische Figur haben Sie einen eigenen Eintrag auf Wikipedia. Können wir über weniger Öffentliches reden, Ihre Erfahrung mit existenziellen Situationen?
Meissner-Blau: Warum nicht? Ich bin mehrmals am Tod angestreift, mit elf Herzstillständen, unglaubliche Erfahrungen.

profil:Was erfährt man in einem Herzstillstand?
Meissner-Blau: Das Zurückkommen ist so unglaublich. Das Wegkippen habe ich ja nie gemerkt, aber dieses Wieder-Heraufkommen war aufregend schön. Die Ärzte wollten epileptische Anfälle diagnostizieren, die wollten nicht, dass es mit dem transplantierten Herzen zu tun hat.

profil:Die Herzstillstände kamen nach ­Ihrer Herztransplantation?
Meissner-Blau: Ja. Das Herz bekam ich 1999. Das sind nun 13 Jahre, eine wunderbar lange Zeit. Bei der Transplantation rechnete man mit Überlebensraten von fünf bis zehn Jahren. Diese Herzstillstände begannen ein halbes Jahr nach der Transplantation.

profil: Sie sprachen vom Zurückkommen. Was erlebten Sie da?
Meissner-Blau:Es ist wie in Filmen aus der Arktis, wenn das Eis in diesem wunderbaren Blaugrün schimmert. Ich hatte das Gefühl, tief unten zu sein und plötzlich durch dieses blaugrüne Eis wieder in die Welt hinaufzutauchen. Während des Stillstands war ich natürlich nicht bei Bewusstsein, leider, ich hätte zu gerne gewusst, was sich da tut.

profil: Das erste Mal klappten Sie bei der Aubesetzung 1984 zusammen.
Meissner-Blau: Das war Erschöpfung. Ich wollte damals nicht wahrhaben, wie schwer mein Herz während des Kriegs von einer Diphtherie geschädigt worden war. Nach unserem Einzug ins Parlament 1986 hatte ich schon ziemliche Atemprobleme, der Transplantation habe ich aber erst zugestimmt, als die Lunge voller Wasser und mein Leben nach Ansicht der Ärzte nur noch eine Frage von Wochen war.

profil: Waren diese Ohnmachtsanfälle nach dem schweren Eingriff der Transplantation nicht erschreckend?
Meissner-Blau: Ja und nein. Ich hatte meinen Körper inzwischen wirklich kennen gelernt und spürte, es müsse etwas mit dem neuen Herzen zu tun haben. Im AKH hat man es mit allen Mitteln belastet, ich lief Treppen rauf und runter, aber es kam kein Aussetzer. Ich studierte alles an Literatur und bat, mir einen Event Recorder zu implantieren, der das registriert. Damit ich endlich Ruhe gab, bekam ich das Gerät – und es zeichnete tatsächlich den nächsten Stillstand auf. Ich werde das erstaunte Gesicht des Arztes nie vergessen, als er mir das Kardiogramm zeigte: Da war über 40, 50 Sekunden ein pfeilgerader Strich.

profil: Leben mit einem neuen Herzen braucht Durchsetzungskraft.
Meissner-Blau: Ich wurde damals direkt in den OP zur Implantation eines Herzschrittmachers gebracht. Leider. Nach der Transplantation war ich so froh, dass ich wenigstens dieses Ding los war, aber die Entscheidung zum zweiten Schrittmacher war goldrichtig. Seither sind die Stillstände vorbei.

profil: Herztransplantationen sind, auch wegen des riesigen Aufwands, immer wieder etwas Außerordentliches. Dass der frühere amerikanische Vizepräsident Dick Cheney vor Kurzem ein Spenderherz bekommen hat, wurde ausführlich berichtet. Was ist wichtig für Transplantationspatienten?
Meissner-Blau: Sich über die Chance eines zweiten Lebens zu freuen, wieder frei atmen zu können. Ich habe gelernt, dass ich nicht meine Krankheit bin.Vor zwei Jahren war ich bei einem internationalen Medizinerkongress eingeladen, den Eröffnungsvortrag zu halten. Es ging um Herztransplantationen und Hautkrebs. Bei Transplantierten steigt das Krebsrisiko aufgrund der Eingriffe ins Immunsystem. Dort habe ich gestanden, dass ich die Dosis meiner Immunsuppressiva nach meinem Bedarf reduziert habe. Damit wollte ich auf die Verantwortung des Patienten für sich selbst hinweisen und deutlich machen, dass Ärzte ihre Patienten als den ganzen Menschen sehen sollten, nicht als „die Leber“ oder „das Herz“ oder was auch immer. Wir sind auch in existenziellen Situationen Menschen mit einem Potenzial und Ressourcen, das sollten Ärzte unterstützen.

profil: Woher haben Sie Ihr Durchhaltepotenzial?
Meissner-Blau: Eine gute Frage. Vermutlich kommt dieses Durchhalten daher, dass ich sehr früh durch Zeiten gewaltiger Zusammen- und Aufbrüche gegangen bin. Als junges Ding mit 17 musste ich mich als Flüchtling vor Kriegsende quer durch Deutschland durchschlagen, kam nach Dresden, als die Stadt bombardiert wurde. Ich glaube, es ist einfach der Überlebenswille. Ich habe an Erlebnissen von Not und Leid gelernt, etwa als ich in den 1950ern mit meinem damaligen Mann während der blutigen Aufstände und dem Ende der Kolonialherrschaft in Belgisch-Kongo war.

profil: Bezieht sich das auch auf die Politik? Wie hoch war der Politikanteil an Ihrer Entwicklung zur agilen 85-Jährigen?
Meissner-Blau: Eigentlich war der Anteil der Politik gering. Es war mir klar, dass ich zu sensibel und empfindsam für dieses Geschäft bin, also eigentlich ungeeignet. Obwohl – und das ist mir sehr wichtig – ich mir wünschte, wir hätten Politiker mit der Sensibilität zu spüren, was notwendig und was unmöglich ist. Die endlich einmal ­bekennen würden, was sie falsch gemacht haben. Dieses Korsett macht Politik ja so schablonenhaft.

profil: Mit den Grünen wollten Sie vor 25 Jahren eine aktive, junge, rebellische Gruppe gegen diese Versteinerung. Jetzt kommen Internetgruppierungen und Piratenparteien und zitieren Begriffe wie Aufrichtigkeit und Respekt.
Meissner-Blau: Ich habe mir vergangenen Sonntag die Diskussion im ORF angesehen. Dieser Mann von der Piratenpartei hat mir eigentlich gut gefallen. Er ist sich ihrer Mängel bewusst, dass sie kein Programm haben. Er wollte nicht mehr scheinen, als er ist. Die Piraten drücken aus, was viele wollen, und ihr Projekt ist ein interessanter Versuch. Wir sollten nicht darüber lächeln, dass sie keine Experten sind. Denn Experten gibt es genügend.

profil: In Deutschland sind die Piraten bereits in zwei Landesparlamenten.
Meissner-Blau: Das sehe ich etwas schwärzer. Ich bin ja auch mit einer Menge Rosinen im Kopf ins Parlament gegangen und dachte, wenn man nur ernsthaft arbeitet, überzeugen kann und endlich Alternativen aufzeigt, muss man die Herzen und Köpfe verändern können. Das war eine nai­ve Idee, blauäugig. Aber ich habe schnell gelernt, dass es nicht darum geht.

profil: Worum geht es im Parlament?
Meissner-Blau: Um die Partikularinteressen der einzelnen Parteien. Mein erster großer Auftritt samt Antrag im Parlament ist mir unvergesslich. Sechs Wochen hatte ich an dem umfassenden Waldsterbenantrag gearbeitet, 60 Fragen an den Bundeskanzler gestellt. Die Regierung war irritiert, dass sie wegen der dummen neuen Abgeordneten so lange da sitzen musste. Als ich geendet hatte, blieb es bis auf den dünnen Applaus der Grünen still. Da fiel mir der junge britische Abgeordnete aus einer der verelendeten Bergwerksregionen ein, der herzzerreißend von den hungernden Kindern und arbeitslosen alkoholischen Vätern erzählt hatte, um etwas Geld für die Region zu bekommen. Einziger Kommentar des Vorsitzenden im House of Commons war, man sei sehr interessiert, ein anderes Mal wieder eine dieser anrührenden Geschichten zu hören. Der Abgeordnete flüsterte nur: „I thought I threw a stone, but it was a ­sponge“ („Ich dachte, ich hätte einen Stein geworfen, aber es war ein Schwamm“). Genau so ging es damals mir. In den Couloirs sprachen mir dann drei steirische ÖVP-Abgeordnete Anerkennung aus, auf meine Frage nach ihrer Unterstützung im Plenum meinten sie: „Aber Sie sind doch eine politische Gegnerin!“ Da war mir klar, wie das läuft. Es hat nichts zu tun mit richtig oder falsch, nötig oder unnötig, sondern ausschließlich mit Parteiräson. Da sind wir wieder bei den Piraten. Ich würde ihnen raten, dass sie APO bleiben.

profil: In der außerparlamentarischen Opposition.
Meissner-Blau: Ja, von außen können sie mehr Druck ausüben.

profil: Sie wollten damals aber mit den Grünen ins Parlament?
Meissner-Blau: Ich selbst wollte eigentlich nicht, ich habe mich eher als Vertreterin der Civil Society, von Bürgerinitiativen, gesehen. Und im Nachhinein gebe ich dem Günther Nenning (Nenning war Präsident der Journalistengewerkschaft und an der Formierung der Grünen maßgeblich beteiligt, Anm.) ein Stück weit Recht. Er hat immer betont, eine Partei ist eine Partei ist eine Partei, eine Bewegung sollte sich bewegen. Andere argumentierten, die Partei werde das Standbein und die Bewegung bleibe das Spielbein. Das hat sich aber nicht bewahrheitet.

profil: Weil die Bewegung verloren ging?
Meissner-Blau: Das Spielbein ging nicht verloren, aber die Grätsche zur Partei als Standbein wurde zu groß. Das ist nicht ein Versagen der Grünen, es ist dem System immanent. Und ein Zweites: In dem Moment, in dem wir im Parlament waren, wurde erwartet, dass wir die Welt retten, und das möglichst binnen sechs Wochen. Dass es im Parlament einen langen Atem und viele Wählerstimmen braucht, ist vielen nicht bewusst. Sie erwarten, dass sofort etwas geschieht.

profil: 1988, zwei Jahre nach der Gründung der Grünen, haben Sie sich verabschiedet, so richtig weg sind Sie bis heute nicht.
Meissner-Blau: Merkwürdig, aber es ist so. Die mich ansprechen oder mir schreiben, spüren vermutlich, dass sich in mir nichts geändert hat. Dass ich genau so rebellisch bin, wie ich war, dass mir immer noch an der Änderung des Unerträglichen liegt.

profil: Wie kann das Unerträgliche geändert werden?
Meissner-Blau: Die Welt zerreißt es zwischen obszönem Reichtum und ebenso obszöner Armut. Zu glauben, das Heil komme von oben, ist Illusion. Wirkliche Veränderung kann nur von unten kommen. Ob dazu ein Zusammenbruch des jetzigen versagenden Systems nötig ist, sei er ökonomisch, sozial oder ökologisch, hoffe ich nicht. Je mehr Menschen betroffen sind, je mehr sich damit auseinandersetzen, desto mehr Aktivität entsteht. Sie könnten viel bewirken, durch die Kraft ihrer Masse und Entschlossenheit, ohne zu zerstören. Das ist eine Hoffnung.

profil: Wie schafft man es, gut alt zu werden?
Meissner-Blau: Indem man das Altwerden ignoriert, einigermaßen diszipliniert und nicht zu wehleidig ist. Und es gibt eindeutig Vorteile des Alters. Man wird mehr Zuschauer des Lebens, braucht so vieles nicht mehr. Die Angst, nicht gut genug zu sein, die uns Frauen noch immer verfolgt, ist weg. Ich bin jetzt so frei, wie ich noch nie war.

profil: Was soll von Ihnen bleiben? Der Mut einer Frau, die als damals knapp 60-Jährige eine Partei gründete?
Meissner-Blau: Meine Geschlechtsgenossinnen sagen mir immer wieder, sie hätten an meinem Beispiel gesehen, dass Frauen ihre Überzeugungen leben und nach der Hälfte des Himmels greifen können. Bliebe nur das von mir, hätte es dafür gestanden. Alles an konventioneller Anerkennung und Auszeichnung ist dagegen so ephemer wie das Leben selbst.

profil: Ist das Leben ephemer?
Meissner-Blau: Historisch gesehen, ja. Das hat auch etwas Beruhigendes: die Sinnlosigkeit des Machtgerangels, der Gier, der Eitelkeiten.

Foto: Monika Saulich für profil