Harald Krassnitzer, Gastkommentar

Freundschaft????

Freundschaft????

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Wer wirklich glaubt, dass man diesen alten und mit Pathos behafteten Gruß der Sozialdemokratie noch arglos in die Runde der Gleichgesinnten schmettern darf, muss entweder am Mars aufgewachsen sein oder er hat sich den Magen abbinden lassen, damit ihn der Brechreiz nicht mehr plagt. Denn das, was in diesen Wochen passiert, ist so ziemlich das unerträglichste Schauspiel, das die Sozialdemokratie in den letzten Jahren hingelegt hat. Der öffentliche Watschentanz am Kanzler gepaart mit billigsten Propagandalügen wird umso grausiger, weil er unter dem Motto „Man muss das soziale Profil der Partei stärken“ stattfindet. Gratuliere meine Damen und Herren, ist wirklich gelungen!
Vor wenigen Tagen erst hat ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer noch verlautbaren lassen, dass in den vergangenen 15 Monaten mehr sozialpolitische Erfolge zu verzeichnen waren als in den vergangenen 15 Jahren. Und jetzt sitzt er erste Reihe fußfrei mit den anderen Königsmördern und freut sich über die öffentlich entbrannte Kanzlerhatz. Gusenbauer ist so ziemlich an allem schuld. Hochwasser im Mississippi, Ölpreis, die Unwetter der letzten Tage, das Ausscheiden der Fußball-Nationalmannschaft und, wie demnächst gemeldet wird, ein umgefallenes Fahrrad in China. Gusenbauer, der personifizierte Schmetterlingseffekt.
„Die Suche nach dem Sündenbock“ – das ist eines der beliebtesten und vielleicht ältesten Gesellschaftsspiele in Österreich, auch weil’s so schön ablenkt von der eigenen Inkompetenz, Ahnungslosigkeit und mangelnder Lösungskompetenz, vor allem aber davon, dass man an den Konzepten und Entwürfen, die jetzt tagtäglich wieder zerfetzt werden, mitgearbeitet oder sie sogar entworfen hat.
Insofern wirft dieses Schauspiel ein sehr bezeichnendes Bild darauf, worum es wirklich geht: nicht um die Menschen, sondern um alte Machtstrukturen, die man mit dem billigen Gießkannensozialismus der siebziger Jahre erhalten will, nach dem Motto „Kriagts eh a bissl was“. Nur die Welt dreht sich schneller als damals. Die Menschen sind verunsichert. Täglich werden ihnen die Probleme um die Ohren gedroschen. Klimawandel, Ölpreis, Nahrungsmittelpreise, Inflation, Heizkosten, Zweiklassenmedizin. Die Reichen werden immer reicher. Und so weiter und so fort.
Nur: Wer jetzt glaubt, er müsste nur den Kopf des Kanzlers fordern und schon wären die Sorgen der Menschen gelindert, der täuscht sich. Dem Ziel, einen klareren sozialpolitischen Kurs zu definieren, kommt man durch das Opfern des Kanzlers nicht näher.
Damit, so schreibt Armin Thurnher („Falter“ 26/08), hat „man das Werk der ÖVP vollendet“ und darüber hinaus die SPÖ vollkommen desavouiert. Wie recht er hat. In diesem Zusammenhang sei auch einmal die Frage erlaubt, gerichtet an all diejenigen, die jetzt Alfred Gusenbauer an den Pranger stellen: Wo sind denn die Konzepte und Lösungsansätze, die die Arbeit der SPÖ in dieser Regierung akzentuierter und transparenter darstellen? Pendlerpauschale, Heizkostenzuschlag, ist ja alles richtig, aber eben nur kurzfristig. Was machen wir denn im nächsten Jahr, wenn die Öl- und Energiepreise weiter gestiegen sind? Es muss doch jedem klar sein, dass wir mit solchen Maßnahmen die Not der betroffenen Menschen nur für den Moment lindern, dabei aber indirekt das Geld wieder den Spekulanten in den Rachen schmeißen. Also: Wo sind die nachhaltigen Konzepte, deren Halbwertszeit über die Jahresfrist hinausgeht?

Ja, stimmt schon: Alfred Gusenbauer hat manches falsch gemacht. Hat sich obendrein ungeschickt benommen. Geschenkt. Richtig ist auch, dass er viel ernsthafter kommunizieren müsste: Es reicht nicht, gute Ideen zu haben. Man muss sie gerade auch jenen verständlich machen, die an ihrer Umsetzung beteiligt sein sollen.
Aber all das lässt sich aufrechnen: Seine Verdienste seit der Übernahme der Partei im Jahr 2000, die damals geschockt und paralysiert war, sind groß: Parteifinanzen
saniert, erstmals wieder inhaltliche Diskussion (Netzwerk Innovation), Wahlsiege, die man nicht für möglich gehalten hätte (Salzburg, Steiermark) und 2006 das Kanzleramt zurückgewonnen (trotz von der Gewerkschaft verursachter Bawag-Bombe), woran am 6. Oktober bis zu den ersten Hochrechnungen niemand geglaubt hat. Wer einen Strich unter diese Rechnung macht, müsste sich – so er einigermaßen fair bleibt – aufgrund dieses Ergebnisses vor Gusenbauer stellen und ihn auf seinem Weg unterstützen.
In diesem Sinne appelliere ich: Wir brauchen Diskussionskultur statt Streit. Statt der fehlgeleiteten Kanzler- und Führungsdebatte brauchen wir vor allem Mut. Mut, innovative Ideen zu formulieren. Mut, tragfähige Lösungsansätze zur Modernisierung unseres Gesundheits- und Pensionssys­tems zu entwickeln. Mut auch, einen unpopulären Alfred Gusenbauer als Kanzler in einer Situation zu unterstützen, in die er gerade auch durch die Feigheit, die Bräsigkeit und die Fantasielosigkeit so mancher Genossen geraten ist. Wir brauchen Mut zu gestehen, dass wir es verabsäumt haben, in unserer Partei Personalreserven zu entwickeln, die erlauben würden, auf die bekannten Herausforderungen mit größerer Zuversicht zu reagieren. Wir müssen erkennen, dass es nicht aufwärtsgehen wird, nur weil Gusenbauer geopfert wurde.
Wir müssen arbeiten. Wir müssen kämpfen. Wir müssen nach vorne schauen. Und zwar alle gemeinsam. Mit Alfred Gusenbauer, der die SPÖ ins Kanzleramt geführt hat.
PS: Lieber Gusi! Die EU-Geschichte ist politisch der richtige Ansatz, aber leider wieder der falsche Zeitpunkt und der falsche Adressat.