Die grüne Revolution rollt durch die USA

Frühlings-Erwachen

Plötzlich erwacht das Umweltbewußtsein

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Vergangene Woche wartete das US-Nachrichtenmagazin „Newsweek“ mit seltsam anmutenden Tipps auf. Die Leser sollten darauf achten, ihre „Autoreifen ordentlich aufgepumpt zu halten“, oder sich, noch besser, ein Dieselauto besorgen. Auch ein neuer Kühlschrank und ein Satz moderner Glühbirnen seien auf die Einkaufsliste zu setzen. Vorsichtsmaßnahmen für den nächsten Terroranschlag? Eine Konsumoffensive zur Ankurbelung der amerikanischen Wirtschaft? Mitnichten: Es geht um konsequentes Energiesparen.

In den USA ist eine Öko-Euphorie ausgebrochen, die nicht so bald wieder abflauen dürfte. Im Land der gigantischen Geländewagen, der knatternden Klimaanlagen und der Papp- und Plastikteller macht sich auf einmal in unvermuteten Ecken und Winkeln Umweltbewusstsein breit. Mit einem Mal gilt es als hip und cool, auf Nachhaltigkeit zu achten. „Grün ist das neue Schwarz“, proklamieren die Lifestyle-Magazine unter Anspielung auf die unverwüstliche Modefarbe der urbanen Trendsetter; und Klimaschützer Al Gore, der nach seiner Wahlniederlage gegen George W. Bush zeitweilig in der Versenkung verschwunden war, erlebt eine Wiedergeburt als Retter des Planeten.

Selbst Präsident Bush kann die Zeichen der Zeit nicht länger ignorieren. In den vergangenen Jahren hatte er stets in Abrede gestellt, dass der Mensch etwas mit dem Klimawandel zu tun habe und dass man irgendetwas dagegen unternehmen müsse. Doch in seiner Rede zur Lage der Nation am 23. Jänner, seiner sechsten, erwähnte er zum ersten Mal die Erderwärmung, so beiläufig, dass es nur aufmerksamen Zuhörern auffiel: „Technologische Durchbrüche … werden uns helfen, der ernsten Herausforderung des globalen Klimawandels entgegenzutreten.“ Die Erderwärmung ist damit auch in den USA endlich vom Rang der Theorie in jenen der Fakten erhoben worden. Für Klimaschützer sind das gute Nachrichten: Schließlich sind die USA jenes Land, das mit fast einem Fünftel des weltweiten Treibhausausstoßes der größte Umweltsünder ist.

Dem Gesinnungswandel beim Präsidenten ist ein Klimawandel in Washington vorangegangen. Das Blatt begann sich langsam zu wenden, nachdem der Hurrikan Katrina 2005 New Orleans verwüstet hatte – auch wenn ein direkter Zusammenhang mit der globalen Erwärmung nicht einwandfrei hergestellt werden kann. Dann kam der Rekordsommer 2006 mit seinen dutzenden Hitzetoten, gefolgt von einem ungewöhnlich warmen Winter. 2006 ist als das wärmste Jahr der Geschichte in die Annalen der amerikanischen Meteorologie eingegangen. Die im Jänner vor den Fenstern von Washingtons Elite sprießenden Blumen mögen die politischen Entscheidungsträger genauso zum Umdenken gebracht haben wie die durch die US-Medien kursierenden Geschichten von Eisbären der Arktis, deren schmelzende Schollen zu klein zum Jagen geworden sind.

Ölsucht. Am meisten Schwung erhält die Öko-Debatte aber durch die Lage im Irak. Amerika erfährt derzeit schmerzhaft seine Abhängigkeit von den massiven Ölimporten aus der Region. Die Aussichten auf einen stabilen, US-freundlichen Nahen und Mittleren Osten, der anstandslos den amerikanischen Öldurst löscht, sind schlechter denn je. Das Schlagwort der „Energie­unabhängigkeit“ ist daher in aller Munde. Durch alternative Energieträger wollen die USA von Erdölimporten unabhängiger werden – plötzlich überlappen sich Umweltpolitik und Sicherheitspolitik. Es sind nicht mehr nur verschrobene Außenseiter wie der linke Konsumentenschützer Ralph Nader, die sich für grüne Themen starkmachen, sondern auch Spitzenpolitiker von Hillary Clinton bis Arnold Schwarzen­egger. Schon in seiner Rede zur Lage der Nation vor einem Jahr erklärte Präsident Bush, Amerika sei „süchtig nach Öl“. Ist das Land nun bereit für eine Entziehungskur?
Immerhin hat George W. Bush nun eine neue Initiative angekündigt: Amerika werde seinen erwarteten Benzinverbrauch innerhalb von zehn Jahren um 20 Prozent senken – durch die Entwicklung effizienterer Autos und durch die Beimischung von aus Mais gewonnenem Ethanol zum Benzin. Dadurch würden auch die CO2-Emissionen durch den Verkehr gesenkt. Kritiker und Kommentatoren waren damit jedoch nicht zufrieden: Zum einen blieb Bush Details schuldig, zum anderen hatten sie auf einen großen Wurf gehofft. Doch Bush verlor kein Sterbenswörtchen über die Emissionen und den Energieverbrauch der Industrie. „Er hatte die Gelegenheit, Amerika auf einen völlig neuen Pfad zu sauberer, effizienter Energie zu bringen“, meint „New York Times“-Kolumnist Thomas Friedman. „Die Richtung stimmt, aber es geht nicht annähernd weit genug.“

Sprechverbot. Vom Präsidenten war wohl nicht viel mehr zu erwarten. Sein Verhältnis zur Umwelt ist seit jeher belastet, Bush trägt nicht grundlos den Spitznamen „toxischer Texaner“. Er ist in den staubigen texanischen Ölstädten Odessa und Midland aufgewachsen, wo die Natur nichts Schönes oder Schützenswertes ist, sondern wo man ihr mit Gewalt ihre Schätze entreißen muss. Auf Urlaubsbildern von seiner Ranch in Crawford zeigt sich Bush bis heute am liebsten mit Motorsäge im Kampf mit fiesem Buschwerk. Schon an seinem ersten Tag als Präsident am 20. Jänner 2001 ließ Bush mehr als ein Dutzend umweltpolitischer Gesetze und Erlässe stoppen, die Bill Clinton noch in die Wege geleitet hatte – von der Senkung des Arsengehalts im Trinkwasser bis zum Fahrverbot für Schneemobile im Yellowstone-Nationalpark. Kurze Zeit später ließ er die USA aus dem Kioto-Klimaschutzprotokoll aussteigen, und in die Spitzen der amerikanischen Umweltbehörden entsandte er wiederholt Vertreter just jener Industrien, die von den Ämtern eigentlich reguliert werden sollten.
Der neuerdings demokratisch geführte Kongress nimmt die Sache nun selbst in die Hand. Vergangene Woche fand im Repräsentantenhaus eine Anhörung von Wissenschaftern statt, die über angebliche ­Manipulationsversuche vonseiten des Weißen Hauses berichteten. Nicht weniger als 43 Prozent von 308 in einer Umfrage befragten Forschern gaben an, ihre Ergebnisse zur Erderwärmung seien von höheren Instanzen abgeschwächt oder ­verfälscht worden. (Dass sie die „Erderwärmung“ stets nur „Klimawandel“ nennen dürfen, ist noch das geringste Problem.) In Einzelfällen erteilte ihnen das Weiße Haus sogar ein Sprechverbot gegenüber den Medien. Damit ist unter den Demokraten nun Schluss.

Zeitgleich mit den Anhörungen fand im Senat eine Debatte über Emissionsbegrenzungen für die amerikanische Industrie statt. Eine ganze Reihe von Gesetzesentwürfen unterschiedlicher Radikalität kursiert, alle sehen ein Emissionshandelssystem vor, das dem europäischen ähnelt. Präsident Bush hat sich immer gegen ein solches Gesetz ausgesprochen und könnte ein Veto einlegen, sollte es tatsächlich von beiden Häusern des Kongresses beschlossen werden. Doch spätestens nach Bushs Abgang wird sich Amerikas Klima auch im wörtlichen Sinn ändern: Praktisch alle Präsidentschaftskandidaten für die Wahl 2008 haben sich bereits für Emissionsbegrenzungen ausgesprochen. Der Gesetzesentwurf, der derzeit die meiste Aufmerksamkeit erhält, stammt aus den Federn zweier Favoriten: John McCain und Barack Obama.

Weite Teile der amerikanischen Wirtschaft wissen sie dabei auf ihrer Seite, darunter Unternehmen wie Ford, General Electric oder den Ölproduzenten BP. Das überrascht nur auf den ersten Blick. Denn während Washington untätig blieb, haben einige grüner gesinnte Bundesstaaten und Großstädte das Heft in die Hand genommen und ihre eigenen Emissionsbeschränkungen eingeführt – wie etwa Kalifornien oder ein Verbund aus neun Staaten im Nordosten. Den Unternehmen droht ein Fleckerlteppich unterschiedlicher Regulierungen, was das Wirtschaften für sie schwierig machen würde. Sie plädieren daher für landesweit einheitliche Regeln. Sogar der Paradefeind aller Umweltorganisationen, der texanische Ölkonzern Exxon Mobil, gibt seine Fundamentalopposition gegen alle Klimagesetze langsam auf – auch wenn er weiterhin mit Millionenbeträgen erderwärmungskritische Think Tanks fördert.

Grüne Avantgarde. Anti-Klimawandel-Propaganda, wie sie von Exxon Mobil und vom Weißen Haus gefördert wurde, war in den USA zumindest teilweise erfolgreich. Laut Umfragen machen sich die Amerikaner noch immer deutlich weniger Sorgen um das Weltklima als Europäer oder Japaner. Besonders ruhig schlafen republikanische Wähler. Nur ein Viertel der Republikaner meint, der Präsident und der Kongress sollten Maßnahmen gegen den Klimawandel zur Priorität erklären; bei den Demokraten ist es die Hälfte. (Republikanisch dominierte Bundesstaaten verbrauchen im Schnitt auch viel mehr Energie, .)
Doch selbst unter Bushs Parteifreunden wird es einigen langsam zu warm. Ausgerechnet im Lager der evangelikalen Christen, seinem treuesten Wählersegment, regen sich grüne Gedanken. Das Wort „Umweltschutz“ ist in diesen Kreisen zwar verpönt, weil zu links konnotiert; „Schöpfungspflege“ erhält den Vorzug. Websites der grünen Christen fragen: „Was würde Jesus fahren?“ Ihr prominentester Vertreter ist Reverend Richard Cizik, Vizepräsident einer evangelikalischen Dachvereinigung von 45.000 Kirchen. Er zitiert derzeit gern Kapitel 11, Vers 18 der Offenbarung, wonach Gott jene „zerstören wird, die die Erde zerstören“.
Die grüne Avantgarde bildet aber Kalifornien, wie auf so vielen anderen Gebieten auch. Gouverneur Arnold Schwarzen­egger fällt mit geradezu europäisch anmutendem Umweltbewusstsein auf. Einen seiner Straßenpanzer Marke Hummer hat er auf Wasserstoffantrieb umgerüstet. Im Wahlkampf um seine Wiederwahl zum Gouverneur vergangenen Herbst schwenkte er auf eine radikale Klimaschutzpolitik um, was ihm einen Kantersieg bescherte. Bis 2020 will Kalifornien seine CO2-Emissionen trotz rapidem Wirtschaftswachstum auf das Niveau von 1990 gesenkt haben. Im vergangenen September verklagten Schwarzenegger & Co sechs Autoproduzenten, weil sie das kalifornische Klima beschädigt hätten, sowie die Bundesumweltbehörde EPA in Washington, weil sie Treibhausgasemissionen nicht reguliert habe. „Kalifornien hat den Muskel, Veränderungen herbeizuführen“, sagt Schwarzen-egger. „Also sage ich: Verwenden wir ihn!“
In Kalifornien sitzt natürlich auch Hollywood mit seiner ganzen symbolischen Macht. Einige Schauspielstars widmen sich publikumswirksam dem Kampf ums Weltklima, allen voran George Clooney und Julia Roberts, die grün gewandet und gemeinsam mit Al Gore und Umweltanwalt Robert F. Kennedy jr., einem Neffen von JFK, das Titelblatt der letztjährigen Mai-Ausgabe der Hochglanzillustrierten „Vanity Fair“ zierten. Julia Roberts hat stets ein Metallhäferl dabei, wenn sie ein Café betritt – ein Pappbecher weniger in der Müllbilanz. George Clooney fährt einen Elektroflitzer namens Tango und hat seinen Ölfilm „Syriana“ klimaneutral produziert. Soll heißen: Um die während der Produktion des Films entstandenen CO2-Emissionen zu neutralisieren, hat Clooney in zwei Projekte mit erneuerbarer Energie investiert.

Oscar-Nominierung. Ex-Vizepräsident Al Gore, die grüne Eminenz Amerikas, wurde kurzerhand von Hollywood adoptiert. Seine Dokumentation „Eine unbequeme Wahrheit“, die sich mit den Gefahren der Erderwärmung befasst, ist heuer für zwei Oscars nominiert. Gore, ein Prophet auf dem Klimasektor, musste lange warten, bis der Berg endlich zu ihm kam. Schon in den achtziger Jahren, als das Wort Treibhauseffekt noch neu und seltsam klang, organisierte Gore die erste Anhörung zu diesem Thema im Kongress. Doch in einer Gesellschaft, die so sehr auf dem Mythos der Grenzenlosigkeit und der Mobilität gründet, war mit Anti-Autofahrer-Politik kein Staat zu machen.
Nach seiner Niederlage gegen Bush tingelte er mit seiner Powerpoint-Präsentation über den Klimawandel durch die Welt. Aus der Slideshow entstand im vergangenen Jahr der Film, der schließlich doch noch den Nerv Amerikas traf: Er ist bereits der dritterfolgreichste Dokumentarstreifen aller Zeiten.
Familie Gore lebt klimaneutral: Für jene Emissionen, die sie im Alltagsleben nicht vermeiden kann, lässt sie Bäume pflanzen, die eine entsprechende Menge CO2 absorbieren. Ihr Beispiel macht langsam Schule: Eine kleine, aber wachsende Gruppe Entschlossener lässt sich im Internet regelmäßig die persönliche CO2-­Bilanz errechnen und pflanzt per Maus­klick Bäume. Seine alten Glühbirnen hat Al Gore bereits gegen Sparlampen ausgetauscht.

Von Sebastian Heinzel, New York