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Für immer Bundeskanzler

Für immer Bundeskanzler

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Diese Kolumne ist keine Ethikstunde. Sie beschäftigt sich mit der Frage, wie einer mit Klugheit (notfalls freilich auch Anständigkeit) seine Stellung als Bundeskanzler länger bewahren könnte als alle Vorgänger. Länger als Alfred Gusenbauer zu amten ist kein Ziel. Das wird zu schaffen sein, falls man nicht gleich nach Amtsantritt stirbt. Der Rekord liegt derzeit bei dreizehn Jahren: Dr. Bruno Kreisky, 1970–1983.

II. Infrage kommen alphabetisch Werner Faymann und Wilhelm Molterer. Alle anderen Kandidaten werden „neunzig Minuten lang die Seitenlinie auf und ab laufen“ (Fußballtrainer Udo Lattek). Dass die Blauen gegen alle Umfragen einen Sieg erringen, wird kein Mensch wünschen, der das Wort „Zivilisation“ buchstabieren kann. Und Sympathler wie Van der Bellen und Heide Schmidt haben keine Chance auf das höchste Regierungsamt. Gleichwohl sehen viele Bürger auch die Wahl zwischen Faymann und Molterer als eine zwischen Pest und Cholera. Molterer hat viel zur Stimmungsverdüsterung der großen Koalition unter Gusenbauer beigetragen. Und Faymann hat mit seinem beispiellosen Kniefall vor „Krone“-Boss Hans Dichand, dem er per Leserbrief eine besorgniserregende EU-Politik versprach, zumindest alle Feingeister entsetzt, darunter sozialdemokratische Fundis wie Ferdinand Lacina und Erwin Steinhauer. Auch Gusenbauer-Freund André Heller meldete sich aus Italien. Er wolle nun lieber mit einer weißen Katze durch seine Gärten schnüren und sich von ihr die Welt erklären lassen (sein neues Buch „Wie ich lernte, bei mir selbst ein Kind zu sein“ will ich nebenbei empfehlen, er übergab es der Kritik des „Kameradschaftsbundes der Feuilletonisten“).

III. Als die Neuwahl per 28. September feststand, beobachteten wir von Stund an einen Stilwechsel, der verblüffte. Es hat etwas Possierliches, wenn Politiker mitten im Pferd die Flüsse wechseln. Wilhelm Molterer, der eher ein Wolf ist, fraß Kreide. Die neue Freundlichkeit strengt noch ein wenig an. Man sieht das beim Reden an den geweiteten Augen. Er gewinnt aber an Geschmeidigkeit. Faymann kann das besser. Er ist Erfinder des prinzipiellen Lächelns, eine Fehlbesetzung bei jedem Begräbnis. Bei den Vorwahlversprechungen entwickelte er eine Erfindungskraft, die ihn schon früher als Innovationsminister gut gekleidet hätte. Man darf sagen: Beide Kontrahenten zeigen in der Vorwahlzeit eine Elastizität, die bisherige Performances übertrifft.
Falls die Erfolgspsychologie, die in der Wirtschaft mein Lieblingsthema ist, auch für die Politik gilt, empfehle ich, nach der Wahl die neuen, noch ungelenken Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Der neue Reichtum an Höflichkeit & Ideen wird für den neuen Kanzler kein Schaden sein. Das gilt selbst dann, wenn zunächst mehr Berechnung als Wahrhaftigkeit dahintersteckt. Wir kennen Unternehmer, die drei Jahre lang künstlich den Ethiker spielten, weil es modern war. Sie blieben dann Erzengel, weil sie die Vorteile dieser Haltung erkannten.

Den grölenden Bodensatz der Bevölkerung ausgenommen, will die kluge, merkwürdig schweigsame Mehrheit der Österreicher lieber Gentlemen und Gentlewomen an der politischen Spitze. Schon aus Egoismus: Das Image der Spitze schlägt auf den Einzelnen zurück. Als Haider noch ein Faktor war, hatte jeder reisende Österreicher im Ausland zu leiden. Höfliche Contenance wird auch als Zwillingsschwester der Intelligenz begriffen. Und was neue Ideen betrifft, haben sie dem ewigen Wiederkäuen von altem Erbrochenem den Vorzug der Appetitlichkeit voraus. Ein Kanzler, der in diesen beiden Punkten reüssieren will, muss einiges verändern.

IV. Vorschlag für eine neue tonale Eleganz: Umschulung der politischen Ghostwriter. Das sind kluge und wichtige Leute. Kein Kanzler kommt ohne ihre Hilfe aus, er hätte denn alle Fakten aller Ministerien im Kopf. Sie sind bisher auf zweierlei trainiert: möglichst verständliche Übersetzung der Sachverhalte, verbunden mit vermeintlich schlauen Tritten in die Testikel der politischen Gegner. Letzteres war immer kontraproduktiv, mangels stilistischer Feinheit. Um das Gehalt der Ghostwriter kriegt man halt keinen Neil Simon als Autor. Schwieriger ist es mit neuen Ideen. Um den Kopf dafür freizukriegen, müsste man als Kanzler delegieren. Mein Radikalvorschlag: Wiedereinsetzung der Sozialpartnerschaft alten Stils, wo die Sozialpartner (Pflicht: Arbeiterkammer & Wirtschaftskammer; Kür: Gewerkschaft & Industriellenvereinigung) in tausenden Gratis-Jahresstunden gute Mittelwege ohne Klassenkampf anbieten. Augenmaß und Kontinuität sind für den Kernbereich Volkswirtschaft wichtiger, als jene Österreicher glaubten, die ab den neunziger Jahren lieber lustige Konflikte als fade Harmonie wünschten. Eines ihrer Hauptargumente: In der klassischen Sozialpartnerschaft, um die uns die ganze westliche Welt beneidete, spielte sich vieles hinter dem Vorhang ab, ehe es das Licht der Öffentlichkeit sah. Gott sei Dank, würde ich sagen. Der neue Kanzler, ob Molterer oder Faymann, sollte wieder begreifen, was repräsentative Demokratie heißt. Er sollte nicht liebedienerisch alles und jedes dem Wählervolk zur Begutachtung vorwerfen. In neun von zehn Fällen fehlt dem Volk der Sachverstand. Die Mehrheit mag Kanzler, die entscheiden – und gute neue Ideen präsentieren. „Themenführerschaft“ ist der einzige Weg, Politik aus der Volksverdrossenheit zu erlösen.