Die Schoko- Seite des Fußball-Lebens

Fußball: Die Schoko-Seite des Lebens

Walter Schachner vor seinem größten Triumph

Drucken

Schriftgröße

Die schönste Rache ist die unvollendete. Ein wirklicher Könner begnadigt den Gegner kurz vor dem finalen Schlag. Er lächelt huldvoll, bedankt sich für die faire Auseinandersetzung, hilft dem Gestrauchelten wieder auf die Beine, klopft ihm den Dreck von der Hose, richtet einen schönen Gruß aus für die Mama daheim. So geht das, wenn man es richtig macht.

Walter Schachner sitzt an einem wackligen Gartentisch im Kaffeehaus vor dem Grazer Casino-Stadion. Die Vögel zwitschern, die Luft ist warm, hin und wieder blinzelt ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke. Schachner rührt langsam in seiner Melange. Die Gelegenheit erscheint ihm günstig, um Milde walten zu lassen. „Ich weiß jetzt, dass so etwas im Fußball passieren kann“, sagt er abgeklärt, „heute würde ich es viel leichter wegstecken.“ Dann schickt er seiner Weisheit eine kurze Pause hinterher, um Schwung zu holen für die nächste Erkenntnis: „Für mich war es sogar am besten so.“ Fehlte bloß noch, dass er sich in aller Form bedankt bei Frank Stronach, Peter Svetits, Andreas Rudas und den anderen alten Feinden.

Zumindest eine kleine Anerkennung hätten sich die starken Männer des Fußballvereins Austria Memphis Magna auch wirklich verdient. Ihrem segensreichen Wirken ist es zu verdanken, dass im österreichischen Fußball derzeit ein Märchen seinem glücklichen Ende zustrebt, wie es kitschiger auch in den Walt-Disney-Studios nicht erfunden werden könnte. Der Held heißt Walter Schachner, ehemaliger Nationalspieler und seit fünf Jahren Trainer. Mit etwas Glück wird er demnächst beweisen können, dass auf Erden manchmal doch die Gerechtigkeit siegt.

Im Oktober 2002 war Schachner vom Austria-Management gefeuert worden, obwohl die Mannschaft zu dem Zeitpunkt Tabellenführer war. Das Argument damals: Dem steirischen Nachwuchscoach fehle die Erfahrung, um das Team auch international zum Erfolg zu führen.

Tränen und Wut. Schachner litt wie noch kein geschasster Fußballtrainer vor ihm. Er weinte in aller Öffentlichkeit, er klagte („Das ist die größte Enttäuschung meines Lebens“), er drohte („Ich habe die Nase voll vom österreichischen Fußball. Ich weiß nicht, ob ich in diesem Land noch arbeiten kann“). Vier Tage später, als er sich geschneuzt und ansatzweise beruhigt hatte, heuerte er bei Liebherr GAK an, dem damaligen Tabellenletzten. Schachners erste Saison endete mit dem zweiten Platz in der Meisterschaft, dieses Jahr ist der Sieg greifbar.

Im spannendsten Bundesliga-Finale seit langem wird die Entscheidung zwischen dem GAK und Vorjahresmeister Austria fallen. Klarer Favorit ist der GAK, der in den letzten 18 Spielen ungeschlagen blieb. „Wir sind so knapp davor, diesmal wollen wir es unbedingt schaffen“, sagt Walter Schachner und lässt keinen Zweifel daran, dass seine jüngst erwachte Nachsicht mit dem Ex-Klub genau an diesem Punkt endet. „Gegen die Austria wäre das natürlich besonders schön“, sagt er grinsend. Er trage den Wienern zwar, wie gesagt, nichts nach. Nur besiegen will er sie. Und den Kollegen dann ganz artig zum zweiten Platz gratulieren.

Andreas Rudas, rechte Hand von Austria-Sponsor Frank Stronach, stellt sich diese Situation lieber nicht vor. Er denke positiv, sagt er. „Ich bin angespannt, aber zuversichtlich.“ Unabhängig vom Ausgang des Zweikampfs fühlt sich Rudas veranlasst, Schachner schon einmal vorsorglich zu loben. „Er ist ein toller Trainer, das haben wir ja nie bestritten.“

Aber dass der 47-Jährige so gut ist, konnte auch keiner ahnen. Viele Fußballer versuchen sich nach dem Ende ihrer aktiven Karriere als Trainer, die Mehrheit scheitert. Schachner war ein erfolgreicher Stürmer und erzielte in seiner langen Karriere fast 300 Tore. Anlässe, in ihm einen großen Strategen zu sehen, hat er aber nicht geliefert, eher im Gegenteil. Der Steirer war beispielsweise 1982 beim WM-Match gegen Deutschland in Gijon der einzige Spieler am Platz, der das Gekicke richtig ernst nahm. Die restlichen 21 Mann hatten sich in der Halbzeit darauf verständigt, es mit dem 1:0 für die Deutschen gut sein zu lassen, weil dieses Resultat beiden Teams den Aufstieg in die nächste Runde sicherte. „Ich weiß auch nicht, warum, aber bis zu mir ist das nicht durchgedrungen“, erzählt Schachner noch immer leicht gekränkt.

Viererkette. Schon auf den ersten Stationen seiner Trainerlaufbahn bewies er eine gute Hand. Mit dem GAK lieferte er jetzt sein Meisterstück. Keine andere Mannschaft spielte zuletzt so abgebrüht und effizient wie die Grazer. Zum Niederknien schön sind die Darbietungen häufig nicht, aber für Schönheit gibt es ja auch keine Punkte. Hauptsache, die Viererkette hält – jene Abwehrformation, über die Schachner seine Trainer-Diplomarbeit verfasst hat.

GAK-Präsident Rudi Roth kann sein Glück noch immer nicht fassen. „Es ist ein kleines Wunder, was der Walter aus der Mannschaft gemacht hat.“ In der 102-jährigen Vereinsgeschichte ist kein vergleichbarer Höhenflug aktenkundig. Bis vor kurzem waren nur die sehr treuen Fans von der Notwendigkeit dieses Klubs überzeugt. Stets hatte der Lokalrivale Sturm Graz mehr Fans, meistens mehr Erfolg und auf jeden Fall mehr Charme als der biedere GAK. Und jetzt darf Rudi Roth schon von der Champions League träumen, ohne dass ihn einer auslacht.

Es ist keine einfache Übung, eine Fußballmannschaft taktisch so durchzustylen, dass jeder Spieler genau weiß, was er wann tun muss, und sich auch noch daran hält. Der Durchschnittskicker tendiert zum Eigensinn, hält wenig von schlauer Theorie und mehr davon, die eigenen Künste in Szene zu setzen. Schachner will selbst nicht genau wissen, wieso ihm gelingt, woran so viele Kollegen scheitern. „Ich muss irgendetwas haben, das andere nicht haben“, vermutet er kokett.

Das gewisse Etwas wirkt sich nicht nur auf die Ergebnisse, sondern auch auf die Stimmung im Team aus. Roland Kollmann etwa, Sturmspitze beim GAK, galt lange Zeit als schwer erziehbar und psychisch auffällig. Seit er von Schachner betreut wird, ist er brav wie ein Ministrant und Führender in der Torschützenliste. „Der Trainer behandelt uns nicht von oben herab, er ist einer von uns“, erklärt Kollmann seine Wandlung. Die Fitness des Chefs kann er nur bewundern. „Jetzt ist er bald 50 und kann uns immer noch alles vorzeigen, was er von uns will.“

Traumland Italien. Schachners Wirken blieb auch im Ausland nicht unbemerkt. Vor kurzem war eine kleine Delegation des deutschen Erstligisten VfB Stuttgart in Graz, um mit Walter Schachner und seiner Ehefrau Conny zu Mittag zu essen. Die „Bild“-Zeitung enthüllte das Treffen, und der Hauptperson kommt diese Indiskretion äußerst gelegen. Es habe sich nur um eine Art Kennenlerntermin gehandelt, sagt Schachner geschmeichelt. „Außerdem wollten sie wissen, wie lange mein Vertrag mit dem GAK noch läuft.“ Sollte wirklich ein Angebot aus der deutschen Bundesliga kommen, wird er wohl nicht nein sagen. Obwohl: „Am liebsten möchte ich nach Italien, das wäre mein Traum.“

Walter Schachner ist nicht der Typ, dem die Herzen automatisch zufliegen. Irgendwie fehlen ihm dafür die Lockerheit und das Talent zum Schmähführen. Was er anpackt, schaut meist weniger nach Vergnügen als nach Schwerarbeit aus. In seiner Zeit als Stürmer pflegte er 90 Minuten wie um sein Leben zu rennen. Das coole Herumlungern vor dem gegnerischen Tor, die Lieblingsbeschäftigung vieler Goalgetter, widersprach seinem Naturell – und wohl auch den technischen Fertigkeiten. „Ich war schnell, und ich hab immer alles gegeben“, analysiert er heute seine Qualitäten als Spieler, „technisch bin ich wahrscheinlich nicht so gut gewesen wie zum Beispiel der Herbert Prohaska.“

Der Umstieg ins Trainerfach hat seine Kampfkraft nicht geschmälert und die Ambitionen nicht abgekühlt. Freunde erzählen, dass es mit Walter Schachner sehr lustig sein könne. Aber wenn er vor den ORF-Kameras ein Spiel analysiert, hat der Humor Pause. Wie ein Magengeschwür scheint der Ehrgeiz in ihm zu brennen und jeden Ansatz von Charme zu ersticken.

So einer ist nicht ganz einfach lieb zu haben. Trotzdem hofft mit Ausnahme der wirklich treuen Austria-Fans derzeit ganz Österreich, dass Walter Schachner den Meistertitel nach Graz holt. Die Wiener gelten als arrogant und von den Millionen des Sponsors über Gebühr verwöhnt. Und so gut wie Walter Schachner taugt selten jemand als Role Model für den Klassenkampf auf dem Fußballplatz.

333 Schilling Prämie. Als Schachner am 1. Februar 1957 in Leoben zur Welt kommt, ist sein Vater, ein pensionierter Eisenbahner, bereits 70 Jahre alt. Die Familie lebt in einer 2-Zimmer-Wohnung, die kleine Rente reicht kaum für das Nötigste. Mit zwölf Jahren spielt Schoko – der Spitzname kommt von seinem lebenslangen Heißhunger auf Schokolade – beim FC St. Michael und muss dort von Gönnern erst einmal eingekleidet werden. Schachner beginnt eine Lehre als Betriebselektriker bei Alpine Donawitz und spielt nebenbei in der gleichnamigen Werksmannschaft. Die erste Spielprämie hat er sich gemerkt: 333 Schilling für ein Unentschieden.

Mit 19 Jahren wird er als erster Zweitdivisionär ins Nationalteam berufen, zwei Jahre später schlägt seine Sternstunde: Bei der WM in Argentinien schießt Schachner im ersten Spiel gegen Spanien das erste Tor. Es folgen drei Jahre bei der Austria, sieben Jahre in Italien und am Schluss noch einmal sieben Jahre, in denen er einfach nicht aufhören kann. DSV Leoben, Kottingbrunn, Eintracht Wels: keine Degradierung ist schlimm genug, um Schokos Spielsucht zu therapieren. Kurz liebäugelt er sogar mit dem Wunsch, einmal gemeinsam mit seinem Sohn Walter Roberto in einer Mannschaft zu kicken. Aber mit 41 Jahren findet er endlich niemanden mehr, der ihn engagiert und wird Trainer.

Trotz seiner Erfolge hat Schachner ein klassisches Aufsteiger-Trauma bis heute nicht abgelegt: die Angst, unterschätzt, weit unter Wert geschlagen, zu wenig anerkannt oder einfach übervorteilt zu werden. Im Hinterkopf ist er nie das Gefühl losgeworden, dass nur er selber wirklich weiß, wie gut er ist. Als ihn die Austria gefeuert hatte, führte Schachner deshalb die so genannte Schoko-Tabelle ein, auf der die Siege des Trainers unabhängig von der jeweils betreuten Mannschaft nachzulesen waren. Ergebnis der Saison 2002/03: Von 35 Spielen verlor er nur vier – so gut war sonst keiner in Österreich, und das sollten ruhig auch alle wissen.

Ebenso offenherzig ging Schachner mit ein paar Details seines Vertrages beim GAK um. Eigentlich läuft der Kontrakt bis 2007, zwei Jahre früher gehen kann der Trainer nur, wenn ein Angebot aus dem Ausland kommt oder die Nationalmannschaft nach ihm ruft. Hans Krankl, derzeit Nationaltrainer, empfand das zu Recht als Angriff auf seine Souveränität und beschied dem Rivalen, „dass er bei mir sogar als Co-Trainer zu schwach wäre“. Seither herrscht Funkstille zwischen den beiden.

Wie ein Haubenkoch. Herbert Prohaska, einst Kollege der zwei Streithähne in der Nationalmannschaft, hält die ganze Debatte für verzichtbar. Krankl habe überreagiert, räumt er ein. Aber Schachners Vorgangsweise verstehe er noch weniger: „Wenn ich mir so was in den Vertrag schreiben lasse, dann sorge ich dafür, dass es keiner erfährt.“ Prohaska beobachtet interessiert die Laufbahn seines Ex-Kollegen. Bisher habe er als Trainer eine Traumkarriere gemacht, aber im Fußball endet jede Glückssträhne irgendwann. „Man wird sehen, wie er damit umgeht, wenn es einmal schlechter läuft.“

Walter Schachner ist an sich kein großer Grübler. Aber gelegentlich bezweifelt sogar er, dass sein aktuelles Hoch für die Ewigkeit gebaut wurde. Falls es jetzt doch nichts wird mit dem ersten Meistertitel des GAK, muss das Leben auch weitergehen. Deshalb baut er schon mal vor: Jeder Haubenkoch wisse, wie schwer es sei, das Niveau zu halten, analysiert er. „Wir haben auf jeden Fall eine Leistung gebracht, die ein Wahnsinn ist. Zweimal hintereinander so eine gute Saison, das muss man erst einmal schaffen.“

Ganz Fußball-Österreich weiß das ohnehin. Aber Walter Schachner will sich darauf nicht verlassen. Könnte ja sein, dass ihn sonst wieder jemand unterschätzt.