Fight Clubs: gewalt-bereite Pseudofans

Fußball: Fight Clubs

Wie eine kleine Gruppe Rapid in Verruf bringt

Drucken

Schriftgröße

Die „Alte Garde“ Rapids hat für die Sportjournalisten nur Verachtung übrig: „Es war einer dieser Abende, an dem sich alle möglichen Leute das Maul zerreißen durften. Die so genannten Experten berichteten über einen ‚Abend der Schande‘“, steht auf ihrer Homepage.

Die radikale Fan-Truppe vermisst also offenbar die öffentliche Anerkennung für die Ausschreitungen im Wiener Horr-Stadion vom Samstagabend. Über eines werden die Hooligans aber doch erfreut sein: Ihre Attacken werden jedenfalls länger in Erinnerung bleiben als das Resultat des Spiels. Auch wenn ihre Exzesse nun von der Nachricht der Verpflichtung des neuen Rapid-Trainers Georg Zellhofer überlagert werden. Ein Spalier dutzender Kampfjackenträger in der ersten Reihe der Fans; Randalierer, die die eigens aufgestellte Absperrung niederrissen und am Zaun hängend hasserfüllt schrien und gestikulierten; Leuchtgeschoße, mit denen teils waagrecht auf die Spieler gezielt wurde, als Austria-Tormann Joey Didulica das Tor vor dem Rapid-Sektor beziehen wollte. „Hier heißt es momentan nicht Austria gegen Rapid“, stieß Premiere-Sportkommentator Martin Konrad ins Mikro. „Das ist nur noch Irrsinn gegen Wahnsinn.“ Didulica musste sich auf der Flucht aus seinem Tor immer wieder ducken, um nicht von Feuerzeugen, Schlüsselbünden oder Raketen getroffen zu werden. Währenddessen baumelte eine Puppe mit seinem Namen von einem Galgen im Rapid-Sektor: „Joseph Anthony Didulica 14.10.’77– 22.10.’05“ stand darauf.

„Es wäre ungerecht, den Sport für diese Fans verantwortlich zu machen“, sagt Rapid-Präsident Rudolf Edlinger, „oder alle Fans über einen Kamm zu scheren.“ Es waren auch diesmal einige wenige, die diese Randale anzettelten – und die sich ebenfalls als Fans bezeichnen.

Aggressionsventil. Action ist ihre Droge, der Fußballsport ihr Dealer. Und es gibt sie in allen Vereinen der größeren Städte: Rapid, Austria, Salzburg – egal wo, in ihrer Welt braucht es Vergeltung. Ein Ventil, durch das sich die aufgestaute Aggression entladen kann.

Die Ausschreitungen im Stadion der Violetten waren programmiert. Schon eine Woche zuvor, beim Spiel gegen Salzburg, waren Flugblätter verteilt worden, mit denen die grün-weiße Fan-Szene auf den Prolog zum Derby eingeschworen wurde. Es war eine offene Rechnung, die beglichen werden sollte. Die Parole: „Rache für Lawaree!“ Die Wut der Fans stammte aus dem Sommer dieses Jahres, vom letzten Derby der vergangenen Saison. Im Ernst-Happel-Stadion machte sich Austria-Tormann Joey Didulica dabei selbst, ohne Not, zur Projektionsfläche für den Hass der Rapid-Fans. Der Kroate griff nach dem grün-weißen Schal, den die Rapid-Fans bei jedem Heimspiel traditionell auf das Tor vor ihrem Fansektor hängen, trug ihn quer über den halben Platz und ließ ihn mit einer verächtlichen Handbewegung neben der Seitenoutlinie fallen. Ein Sakrileg in den Augen der Fans. Kein anderer Torwart vor ihm hatte es gewagt, diese Tradition infrage zu stellen. Auf derlei Provokationen reagieren die Fans empfindlich, im Block brodelte es. Keine halbe Stunde später sprang Didulica Rapid-Stürmer Axel Lawaree im Kampf um den Ball mit angezogenen Beinen und voller Wucht ins Gesicht. Eine lebensgefährliche Attacke. Lawaree schleppte sich mit einer Platzwunde und einem Nasenbeinbruch vom Platz. Didulica sah Rot, die Fans auch.

Danach versagten alle Beteiligten: Spieler, Trainer, Vereinsfunktionäre. Lawaree klagte Didulica auf dem Zivilrechtsweg und bezeichnete ihn in Interviews als „schlechten Menschen“. Der Kroate seinerseits mischte sich während seiner acht Spiele dauernden Sperre beim vorletzten Derby unter die Fans im Austria-Block und ließ sich als Held feiern. Beim Tag der offenen Tür posierte er sogar grinsend mit einem Schal, auf den die erschreckende Fotosequenz seines brutalen Fouls aufgedruckt war. Der Text dazu: „Er kam, sah und siegte!“ In den Internetforen und Fanklublokalen heizte sich die Stimmung inzwischen weiter auf.

Trainer und Vereine zogen bis zum Derby keine Konsequenzen aus der schmutzigen Affäre. „Wir haben die Situation unterschätzt“, sagt Rapids Sicherheitsbeauftragter und Stadionsprecher Andi Marek. „Sie hätten ja nicht miteinander kegeln gehen müssen. Aber ein Handshake-Foto in den Zeitungen wäre sinnvoll gewesen.“ Im Nachhinein sind alle klüger. Auch die Ultras, Rapids eingefleischteste Fangruppierung. Im profil-Gespräch räumt einer von ihnen ein, dass er von der Intensität des Krawalls überrascht war: „Das mit den Raketen war wirklich blöd“ (siehe Kasten rechts). Der einzige Verletzte laut Spielbericht war am Ende nämlich Axel Lawaree.

Der Sozialwissenschafter Roman Horak untersuchte Sozialstruktur von gewaltbereiten Fans. „Es klingt klischeehaft, aber die meisten hatten keine besonders gute Biografie. Soziale Deklassierung in Familie und Job – so vorhanden – und ein gewisser rechtslastiger Hintergrund.“

Ausschreitungen wie jene vom vergangenen Wiener Derby haben in Österreich Seltenheitswert. In der laufenden Saison zeigte die Polizei bisher 88 Rapid-Fans, 78 Salzburger und 49 Austrianer wegen Ordnungsstörung oder verbotener Pyrotechnik an. Durch die 2003 bei Rapid eingeführte Videoüberwachung weiß jeder Fan auf der Westtribüne, was ihm bei Ausschreitungen droht: Stadionverbot. Mit dieser Strafe wird aber maßvoll umgegangen. Letzteres schon wegen der komplizierten Vollziehung. „Je mehr Stadionverbote verhängt werden, umso mehr Wickel sind zu befürchten“, sagt ein Exekutivbeamter. Anders gesagt: Je mehr man die Fans reizt, umso schwieriger wird die Lage. Den Sicherheitsberater Michael Zoratti, der die zivilen Ordner für die EM 2008 schult, ärgern die Kleinigkeiten: „Die Austria verlangt von Gastfans zwei Euro mehr pro Karte als von den eigenen, in Innsbruck wurde zeitweise kein Alkohol an die gegnerischen Anhänger ausgeschenkt. Das sind unnötige Provokationen. So was heizt die Stimmung noch mehr auf.“

Andere Länder greifen mittlerweile hart durch: Wer in englischen Stadien eine Barriere übersteigt, steht vor dem Schnellrichter und verliert sein Abo. Wer in Deutschland Stadienverbot ausfasst, muss sich während jedes Spiels seines Heimvereins auf der örtlichen Wachstube melden.

Erlebnisorientiert. Österreich bleiben klassische C-Fans, die reinen Hooligans ohne großes Interesse am Fußball, momentan erspart. Dennoch finden sich „erlebnisorientierte Gruppen“, denen es mehr um die Schlägerei als das Match selbst geht.

So brüstet sich die „Alte Garde“ (Beiname „Dritte Halbzeit“), die sich auch als Rapid-Fans bezeichnet, auf ihrer Homepage mit Folgendem: „90 Members fuhren nach Kapfenberg, um sich zuerst gegen den GAK und anschließend gegen einige Romanisti zu messen. Die Auswärtsfahrt nach Manchester endete für die meisten vorzeitig in einem Londoner Knast.“ Später „wurden wieder Partys gefeiert, und auch unsere Gegner kamen nicht zu kurz :-)“

Die Schlachtfelder solch kampfbereiter Fans kennen keine Staatsgrenzen. Als die deutsche Nationalmannschaft Anfang September zu einem freundschaftlichen Vorbereitungsspiel in der Slowakei gastierte, stoppten ihre Fans zuvor noch in Wien, um sich einer Auswahl von Rapid- und Austria-Fans zu stellen. Sportdisziplin: Faustkampf, klassischer Stil. „Durch das enorme Polizeiaufgebot rund um die Stadien suchen sie sich geheime Plätze weitab vom Spiel“, sagt Wiens oberster Fanpolizist Peter Jedelsky. Die Grundregeln sind simpel und blutig: Zwei Fronten zu je 30 Kämpfern Mann gegen Mann – solange, bis einer am Boden liegt. Ein vorher bestimmter Schiedsrichter überwacht die Einhaltung dieses eigenwilligen Fair Play.

„Das sind glücklicherweise Randerscheinungen“, sagt Günther Marek, der Sicherheitsbeauftragte des Innenministeriums für die EM 2008, die in Österreich und der Schweiz stattfinden wird. Während der EM wird dafür gesorgt, dass derartige Fans gar nicht erst an Karten kommen.

Auch auf Seiten der Austrianer gab es im Übrigen ebenfalls Krawallmacher. Zwei ansonsten sicherlich honorige Herrschaften aus dem VIP-Klub hatten aus Zorn über die drohende 0:2-Niederlage der Austria ihre Sandwiches aufs Spielfeld geworfen. Sie mussten es sich gefallen lassen, des Stadions verwiesen zu werden.

Von Josef Barth