Die besten Spiele der Geschichte

Fußball-Weltmeisterschaft Südafrika: Die besten Spiele der Geschichte

Südafrika. Über mediale Vorurteile und das verzerrte Bild des Schwarzen Kontinents

Drucken

Schriftgröße

Man hat es ihnen lange genug ins Gesicht geschrien. Kaum hatte die FIFA vor sechs Jahren Südafrika als Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft 2010 gekürt, machten vor allem in Europa ganze Chöre von Zweiflern ihrem Unmut Luft: Wie denn das größte Sportfest der Welt ausgerechnet auf dem Kontinent der Versager und Minderleister stattfinden könne, wollte man von den südafrikanischen Gastgebern wissen.

Erst waren es die Fußballstadien
, die – da waren sich alle sicher – niemals pünktlich fertig werden würden. Doch nicht nur, dass die Arenen alle im vorgegebenen Zeitrahmen gebaut wurden: Die meisten von ihnen können es in Eleganz und Funktionalität mit jedem hypermodernen Stadion in Europa locker aufnehmen.

Also kaprizierten sich die Unkenrufer auf das Transportsystem:
Die Südafrikaner würden es niemals schaffen, Zigtausende von Zuschauern zügig von Flughäfen und Hotels in die Stadien zu schaffen. Als auch dieser Einwand angesichts neu errichteter Flughäfen, Schnellbahnstrecken und städtischer Busverkehrssysteme nicht länger aufrechtzuerhalten war, griff man zum Evergreen unter den Vorbehalten gegen Afrika – der Gewalt: WM-Besucher müssten damit rechnen, von machetenschwingenden Farbigen zerstückelt zu werden, schrieb der Reporter eines britischen Boulevardblatts. Ein deutsches Sicherheitsunternehmen empfahl seiner Nationalmannschaft, ihr Hotel nur mit kugelsicheren Westen zu verlassen. Bayern-München-Präsident Uli Hoeness geißelte die Austragung der WM am Kap der Guten Hoffnung als „eine der größten Fehlentscheidungen, die FIFA-Präsident Sepp Blatter jemals getroffen“ habe.

Die 90.000 zum Eröffnungsspiel im spektakulären Johannesburger Soccer-City-Stadion erwarteten Zuschauer werden diese „Fehlentscheidung“ gebührend zu feiern wissen. Kaum jemand zweifelt noch daran, dass die begeisterungsfähigen Kap-Bewohner diese WM zu einem mindestens so eindrucksvollen Sportfest machen werden, wie es die Weltmeisterschaft vor vier Jahren in Deutschland war.

Gewiss wird die erste WM auf afrikanischem Boden nicht völlig reibungslos verlaufen. Mit Sicherheit wird der eine oder andere Fan irgendwann seinen Geldbeutel oder seine Kamera vermissen. Bestimmt wird auch so mancher Fan nach einem Match länger auf einen Bus zu warten haben.

„Wären wir nur an reibungslosen Weltmeisterschaften interessiert, würden wir sie nur noch in Deutschland stattfinden lassen“, meint FIFA-Chef Sepp Blatter. Doch es ist die afrikanische Erfahrung, die diesmal zählen soll. Wird ihr Erfolg an der Intensität des Erlebnisses gemessen, dann könnte diese WM tatsächlich, wie die Veranstalter versprechen, die „beste der Geschichte“ werden.

Leider werden das wesentlich weniger Menschen als erhofft miterleben. Gingen die südafrikanischen Veranstalter ursprünglich von einer halben Million Gäste aus, so müssen sie jetzt froh sein, wenn die Hälfte davon kommt. Für diesen Umstand machte die FIFA Journalisten vor allem britischer und deutscher Herkunft verantwortlich, die mit ihrer Horror-Berichterstattung über die Kriminalität am Kap der Guten Hoffnung zahllose Reisewillige verschreckt hätten – ein Vorwurf, der sich angesichts der ständig steigenden Touristenzahlen als blanker Unsinn erweist. Inzwischen kommen Jahr für Jahr rund zehn Millionen Besucher nach Südafrika, die sich von der Panikmache offenbar nicht schrecken lassen.

Eher haben wohl die Weltwirtschaftskrise und die teure Anreise ihren Tribut gefordert, wenn nicht ohnehin davon auszugehen ist, dass die ersten Schätzungen – absichtlich? – stark übertrieben waren. Vor acht Jahren reiste nämlich auch nicht mehr als eine Viertelmillion Besucher zur WM nach Japan und Südkorea an.

Die überzogenen Prognosen dienten aus Sicht der FIFA wohl auch als Anreiz für die Gastgeber, sich in immer höhere finanzielle Vorlagen zu begeben. Die Veranstalter scheuten keine Kosten, um den hochtrabenden Ansprüchen des Weltfußballverbands zu entsprechen: Selbst als Sepp Blatter für Kapstadt statt einem bloß runderneuerten ein nagelneues, zwischen Tafelberg und Ozean gelegenes Stadion verlangte, nickten die Südafrikaner artig mit dem Kopf und leerten ihre Taschen.

Allein für Um- und Neubau der zehn Arenen blätterten sie umgerechnet mehr als zwei Milliarden Euro hin – für die Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur kamen weitere zwei Milliarden hinzu. In einem Land, in dem rund 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben und mehr als eine Million Menschen in Bretterhütten hausen muss, sind solche Ausgaben nur schwer zu rechtfertigen – vor allem, wenn abzusehen ist, dass viele der Stadien nach dem vierwöchigen Ereignis verloren in der Landschaft stehen werden wie weiße Elefanten.

Zumindest finanziell wird sich die Weltmeisterschaft für den Entwicklungsstaat nicht auszahlen: Wie hoch das Schwellenland nach dem Abpfiff am 11. Juli verschuldet sein wird, darüber streiten sich die Experten jetzt schon. Selbst Ökonomen räumen allerdings ein, dass es bei solchen Großveranstaltungen nicht nur auf kurzfristig erwirtschafteten Gewinn ankommen kann. Was das Ereignis für das Selbstbewusstsein der Südafrikaner und das „Branding“ des gesamten Kontinents bedeutet, ist mit nackten Zahlen nicht einmal ansatzweise auszudrücken. Dass die Gastgeber den Mega-Event trotz aller Unkenrufe überhaupt auf die Beine stellen konnten, ist nach Auffassung von Afrika-Kennern das wichtigste Ereignis auf dem Kontinent seit der Entkolonialisierung: Der Erdteil ist im Begriff, sein zweifelhaftes Renommee als reiner Katastrophenschauplatz abzustreifen.

Für Südafrika selbst hat die WM noch eine weitere, nicht weniger einschneidende Bedeutung. Der einstige Apartheidstaat ist noch immer tief gespalten, was sich zuletzt in den Vorgängen um die Ermordung des rechtsradikalen Burenführers Eugene TerreBlanche und den Umtrieben des Chefs der Jugendliga des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), Julius Malema, erwies. Der populistische Schreihals Malema pflegt die Animositäten schwarzer Habenichtse gegenüber den mehrheitlich noch immer weißen Alleshabern genauso rücksichtslos für seine politischen Zwecke auszunützen wie die Rechtsradikalen die Furcht der weißen Minderheit: Sollten die Brandstifter erfolgreich sein, wäre Nelson Mandelas Vision von der Regenbogennation perdu.

Auch im Sport herrscht noch immer die Apartheid.
Cricket und Rugby gelten als die Sportarten der Weißen, während in einem Fußballstadion gewöhnlich kaum ein weißes Gesicht auszumachen ist. In einem politischen Hasardeurstück, von Hollywood-Regisseur Clint Eastwood im Film „Invictus“ jüngst in Szene gesetzt, gelang es Nelson Mandela während der Rugby-Weltmeisterschaft 1995, die schwarze Bevölkerung hinter den weißen Symbolen des einstigen Rassistenstaats zu vereinen. Als die fast ausschließlich burischen „Springböcke“ ein Jahr nach den ersten demokratischen Wahlen den Weltmeistertitel im Rugby holten, feierte die Nation zum ersten Mal in ihrer 100-jährigen Geschichte gemeinsam einen Sieg. Ein ähnlich identitätsstiftendes Erlebnis hätte das labile Land heute wieder dringend nötig, nur dass sich dieses Mal die weiße Minderheit hinter den schwarzen Kickern zu versammeln hätte.

Vertraut man der Zahl der südafrikanischen Flaggen, die schon vor dem Turnier überall im Land selbst aus schweren Limousinen hängen, erscheint das durchaus möglich – vorausgesetzt, das „Bafana, Bafana“ (Jungs, Jungs) genannte Nationalteam scheidet nicht als erste Gastgebermannschaft in der WM-Geschichte bereits in der Vorrunde aus. In diesem Fall würde von den weißen Kapländern noch ein weiterer Schritt in der Verbrüderung mit ihren dunkelhäutigen Landsleuten verlangt: Sie müssten statt England oder den Niederlanden eines der anderen afrikanischen Teams unterstützen. Zehntausende von weißen Afrikanern, die bei einem Sieg Ghanas über England während der ersten afrikanischen WM jubelnd auf die Johannesburger Straßen strömen: Das wäre eine Premiere für das Selbstverständnis eines sich aufrappelnden Kontinents, für die sich jeder Euro lohnte.