Helmut A. Gansterer

Helmut A. Gansterer Antidepressiva

Antidepressiva

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"Man fühlt, wie man sich füllt“ Lois Wisenrand

Ich frage mich, was uninteressanter ist: dass jüngst in Peking ein Fahrrad umfiel oder dass ich in den Journalismus hinein-scheiterte. Ich erzähle es trotzdem, in der vagen Hoffnung, es könnte für die jüngsten meiner klugen Leserinnen und schönen Leser den nützlichen Tipp transportieren, lieber auf Zurufe des Schicksals zu hören, als auf vorgefasste Pläne zu starren.

Also es war so: Ich hatte als HTL-Musterschüler einen Vorvertrag mit der Ford Motor Company in Dearborn (USA) unterschrieben, da lockte die Wirtschafts-Uni. Dort, als Student der Nationalökonomie, wollte ich ein Alan Greenspan oder Ewald Nowotny werden, da lockte die Werbung. Dort, als Ogilvy-Texter, wollte ich meinen Ober-Boss David Ogilvy übertreffen, da lockte der Journalismus. Oscar Bronner, Gründer von "trend“ und profil, machte ein Angebot, das ein wankelmütiger Berufswechsler nicht ausschlagen konnte.

Herrschaften, die weder Werbeleute noch Medienleute mögen, könnten darin einen Sinkflug erblicken, einen gleitenden Untergang, doch führte dieser, wie ich frei bekenne, in ein glückliches Leben. Belastend war damals allenfalls, dass mir bald als jungem "trend“-Chefredakteur öffentliche Reden abverlangt wurden.

Auch diese Last wurde leichter und schließlich zur Freude. Irgendwann war es egal geworden, ob man mit Brigitte Ederer vor 3500 Hörern im Austria Center gegen Jörg Haider und für einen EU-Beitritt sprach oder, wie unlängst im Wiener Heurigen "Schreiberhaus“, mit sieben Papierindustriellen das Papier rettete, samt allen haptisch greifbaren Zeitungen, Magazinen und Büchern.

Dazu kamen zwei fühlbare Vorteile. Hinter dem Mikrofon lernt man so viel wie jene, die zuhören, weil man immer auch ein Sprechlernender ist, dem beim Reden mehr neue Gedanken zufallen als im Schweigen. Zweitens profitiert man von den Diskussionen danach, auf die nur törichte, hagestolze Redner verzichten.

So auch zuletzt in einem neunköpfigen Privatissimum, das besonders ergiebig war. Es war eine gute Runde von Führungskräften, und neun ist die ideale Zahl, wie ich glaube. Andreas Salcher hält zwölf Teilnehmer für gruppendynamisch erträglich, ohne Absplitterung von Randzellen. Er wird wohl Recht haben, da er als glänzender Bestsellerautor alles darüber weiß.

Jenes Privatissimum war unüblich schattig, zugleich aber auch heiter. Es zeigte einerseits eine hohe Sorgen-Vergiftung über den üblichen beruflichen und familiären Kummer hinaus, als Spiegel des bisher unfreundlichen neuen Jahrhunderts mit all seinen Krisen und Wenden.

Heiter war die Diskussion, als es darum ging, wie man sich vor Depression und also Leistungsverlust bewahren könne. Die Vielfalt der als günstig gelobten Antidepressiva war verblüffend und zum Teil verwegen. Eine der Damen, deren Mut ich bewunderte, empfahl Partnerwechsel für den Fall, dass jener schon jetzt den Humor und die Lebensfreude verliere, wo es uns, objektiv gesehen, noch immer gut gehe. Noch mutiger ihr Ratschlag, es einmal mit Curling zu versuchen, jener merkwürdig-technoiden Fortsetzung des ehrwürdigen Dorfteich-Eisstockschießens. Dieser Sport fordere den Geist und filtere alles andere aus. So blieb ihr die Kritik nicht erspart, sie sei wohl nicht so freizügig-liberal, wie ihr Partnerwechsel-Tipp suggeriere. Das Curling zeige vielmehr eine Sehnsucht, endlich wieder einmal brav das Beserl schwingen zu dürfen, das bei diesem Sport eine undurchsichtige Rolle spielt (ich vermute als Ur-Techniker eine Beeinflussung der Gleitfähigkeit des Eises).

Neun Menschen sind lächerlich wenig und als Stichprobe wirklich zu klein, doch zeigte sich dank Mehrfach-Nennmöglichkeit aller subjektiv bewährten Antidepressiva gleichwohl ein verblüffend deutliches Bild, das Trauerweiden als Orientierungshilfe dienlich sein kann.

Erstens: Sport. Ist in Führungskreisen nicht mehr neu. In den Wirtschaftswunderjahren der Nachkriegszeit waren die Leaders fett wie afrikanische Stammeshäuptlinge, als Maßstab für Leistung und Wohlstand. Das Volk war mager. Schon vor dem Millennium drehte sich der Trend um. Heute ist der Boss schlanker als der Portier. Allerdings sind die beliebtesten Sportarten Konjunkturen unterworfen. Momentan sind Joggen, Tennis und Alpinski tendenziell rückläufig gegenüber altmodischen, verletzungsärmeren Disziplinen wie Bergwandern, Skilanglauf und dem großen Trendgewinner Fahrrad. Speziell das nun ausgereifte Elektrofahrrad verspricht zugleich Bewegungsfreude und Schadenfreude. Mollige Wiedereinsteiger treiben damit drahtige Rennradler auf Bergstrecken in den Freitod.

Zweitens: Fasten. Als Segen für Körper und Geist. Macht leichter und heller. Esoterik hat damit zu tun. Aber auch kluge Asien-Gläubigkeit wider manche Schulmedizin. Ein Monat Japan-Küche kann psychosomatisch sensible Manager vom Schwarzmaler zum Draufgänger wandeln. Als derzeit gelobteste Diät gilt "10in2“ des Seminarkabarettisten Bernhard Ludwig, siehe Internet.

Drittens und viertens: Musik und Belletristik. Beide geliebt und gelobt in der Stichprobe, trotzdem weiter hinten als vermutet. Glänzende Erklärung einer Stichprobantin: "Wird meist daheim genossen, zu nah an der Familie, zu nah am Notebook, in dem heute überall, wo man ist, der halbe Beruf steckt.“

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