Helmut A. Gansterer

Helmut A. Gansterer Endzweck Buch

Endzweck Buch

Drucken

Schriftgröße

„Der Endzweck der Welt ist ein Buch“
Stéphane Mallarmé

Die literarischen Salons, die mit dem Aufkommen der ­Republiken niedergingen, waren eine gute Einrichtung. Sie wurden von Müßiggängern beider Geschlechter bespielt, die sich von heutigen Faulenzern unterschieden wie Libellen von Wanzen. Die Männer beherrschten die Kunst, nachdenklich zu rauchen, was Lady Bracknell in Oscar Wildes The Importance of Being Earnest erfreulich fand: „Ein Mann sollte immer eine gewisse Beschäftigung haben.“ Die Frauen der Salons, sofern sie nicht literarische Konkurrentinnen ­waren, entboten den Poeten Bewunderung – bis heute das einzige Mittel, um intime Beziehungen auf ewig zu sichern.
Gefällig auch die Grundregel der Salons, unter keinen Umständen sofort zur Sache zu kommen. Peinlich Beflissene, die unverzüglich das Tagesthema des Salons ­anschnitten, wurden als Leute begriffen, die irgendwann auch mit nacktem Hintern in Gesichter springen. Die Höflichkeit des Umwegs hat sich heute nur noch im Tratsch und im Schuhkauf der Frauen erhalten, und männlicherseits nur in meiner Kolumne „Good News“. Sie wird als Ein-Meter-Sprung mit hundert Metern Anlauf von den klugen Leserinnen und schönen Lesern herzlich gelobt.

Bei Buch-Themen fallen Umwege leicht. Eine Assozia­tion gibt die andere. Man kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Nehmen wir als Startlinie das geheimnisvolle Einstiegszitat. Der Dichter und Kritiker Stéphane Mallarmé, der es schrieb, führt auf direktem Weg zum großen Romancier und Dramatiker Victor Hugo. Beide sind Leuchtfeuer des französischen Esprits. Beide starben Ende des 19. Jahrhunderts. Monsieur Hugo führt wiederum zu Jean-Paul ­Sartre und dessen witzigstem Satz: „Mein Großvater war ein Mann des 19. Jahrhunderts, der sich wie viele Männer seiner Zeit – Victor Hugo nicht ausgenommen – für Victor Hugo hielt.“
Mit Jean-Paul Sartre betreten wir die existenzialistische Zeit der Schreibmaschine. Sie galt als Teufelszeug. Sie ­mache die Arbeit zu leicht für hohe Texte, hieß es. Später hieß es das Gleiche für PC und Notebook. Heute sieht man hinter jedem Schriftsteller, der fürs TV interviewt wird, einen HP, Acer, Toshiba oder Apple-Mac.

Die Arbeitsweise der einst bestverdienenden Schreiber Europas (früher: Stefan Zweig; später: Georges Simenon) ist heute undenkbar: Diktat und/oder Handschrift, dann erste Schreibmaschinen-Reinschrift (Sekretariat), dann handschriftliche Verbesserung des Autors, dann zweite Reinschrift, dann Blei-Hand-Satz, dann Fahnenkorrektur (unleserlich, Autor), dann Fahnenkorrektur (leserlich, Sekretärin), dann abschließende, kreativ erweiterte Korrektur der Fahnenkorrektur, mit der alles von vorn begann.

Heute darf praktisch nur noch Peter Handke mit dem Bleistift schreiben. Und auch er nur, weil er so viel Schönes übers Bleistiftschreiben geschrieben hat und über die ­Zedernholzspiralen, die beim Bleistiftspitzen in die Wehrgräben seines Hauses fallen. Lohnschreiber wie Sachbuch­autoren und Journalisten müssen makellose, per Rechtschreib-Software korrigierte Datensätze liefern, die zeilen­genau in die vorgegebenen Layout-Töpfe fließen.

Die freie Assoziation führt uns vom Schreibgerät zum Lesegerät. Papierbuch oder E-Reader? Fast alle Autoren ­sagen: Papierbuch. Ich auch, bin aber im Zwiespalt. Als Hi-Tech-Kolumnist im „trend“ verwende ich auch E-Reader. Aber nur im Urlaub, auf Befehl meiner Herzallerliebsten. Sie sieht ­darin die einzige Chance, das Fluggepäck auf das Gewicht zu reduzieren, das die Airlines vorschreiben.

Zu 90 Prozent bleibe ich der Buchhandlung treu. Erstens aus geschichtlicher Dankbarkeit: Sie ist die wichtigste ­Wiege der Zivilisation. Zweitens aus persönlicher Dankbarkeit: Die besten Lesetipps erhielt ich von gebildeten BuchhändlerInnen. Kein E-Kauf-Portal à la ­Amazon kann das. Soll ich ­diese Kompetenz im Stich lassen? Soll ich eine Kathedrale beschädigen, weil eine moderne Kapelle Polstermöbel fürs Gebet bereitstellt? Und eine Schrifttypenvergrößerung, falls ich meine Brille verlor?

Anstoß zu dieser Kolumne war das Aufglänzen eines Satzes von Stéphane Mallarmé: „Der Endzweck der Welt ist ein Buch.“ Und die Frage: Was meinte er damit?
Ich spekuliere wie folgt: „Ein Buch schließen“ gilt als ­ordentliches Ende von allem. Als Ende eines Geschäfts, ­eines Unternehmens, eines Lebens, der Welt. Vielleicht wollte er uns sagen: „Macht alles Wichtige zu Textbüchern und Bildbüchern. Was in Stahl steht, verrostet. Was in Stein gehauen ist, wird zu Staub. Was auf gutem Papier steht, bleibt erfahrungsgemäß ewig. Macht dies im Alter von 30, 40, 50 und 60. Dann habt ihr das Wichtigste versammelt und den ­inneren Frieden einer Ordnung geschaffen. Die Jahre bis zum 100er dürft ihr dann umso lustiger verplempern.“

Wenn es so gemeint war, war es seherisch. Der Poet Mallarmé konnte nicht ahnen, dass einst ein Urururur-­Enkel 1000 Texte und 5000 digitale Fotos auf CDs verlieren würde, deren angeblicher 30-Jahre-Lebensdauer er vertraut hatte. Dieser Enkel nützt heute den Wolken-Tresor („Cloud“) des österreichischen Sicherheitspioniers Fabasoft. Und, als Hosenträger zum Gürtel, für das Wichtigste immer noch die besten Printer mit dem besten Papier.■

[email protected]