Helmut A. Gansterer

Helmut A. Gansterer Hi-Tech-Blech

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"Das Internet ist ein riesiger Misthaufen, in dem man auch Perlen finden kann“ Joseph Weizenbaum

Diese Kolumne wird geschrieben, weil der Bestseller "Digitale Demenz“ allein schon durch seinen Titel wieder viele Computerhasser ermutigt, zur eigenen Erleichterung auf alles einzuschlagen, was ihnen neu und mühsam ist. Ich versuche, meine 30 Jahre an Digital-Erfahrung dagegenzuhalten.

Bill Gates, heute 57, war immer der Auffassung, das Richtige zu tun. Ich glaube ihm, dass er dies glaubt. Er hat 1981 mit seinem knöchernen Betriebssystem DOS für den ersten IBM-Großserien-PC alles ins Rollen gebracht.

Eines seiner Geheimnisse lag darin, dass er keine Selbstzweifel kannte. Dass er also, soweit ich es beurteilen kann, niemals lügen musste. Er lebt in Übereinstimmung mit dem Bild, das sich die US-Mehrheit von ihm macht: Hero! One of the richest men in the world! Es ist das Bild eines Wunderkinds. Er hat 1981 mit 26 Jahren dem ersten Massencomputer die Verfassung geschrieben, war damit in ähnlichem Gründerrang wie Thomas Jefferson, der 205 Jahre zuvor federführend die US-Unabhängigkeitserklärung verfasst hatte. In den Anfängen fehlte Gates jede Raffinesse. Als ich ihn zum ersten Mal interviewte, hatte er zwar schon Leibwächter, aber noch keinen persönlichen Coach, der sich um seine Körpersprache kümmerte.

Das machte, wie sich zeigen sollte, meine Arbeit für profil & "trend“ nicht leichter. Beim ersten Rendezvous in den frühen 1980er-Jahren schlug er bei meinem Anblick die Hände kreuzweise vor die Brust. Umso schöner, wie er sich fünf Minuten später entspannte. Da warf er sich wie ein Sänger der Beach Boys ins Sofa, die Arme weit gespreizt auf den Lehnen. Seine PR-Lady gab mir später eine Lehre fürs Leben: "Amerikanische Interviewer lächeln bei ihrem Auftritt von einem Ohr zum andern und sagen Bill. Du bist ernst aufgetreten und sagtest Mr. Gates, noch dazu mit der tiefsten Stimme, wie ein Wikinger. Genau dies baute dann aber Vertrauen auf.“ So viel als Tipp für jüngere Kollegen, die ihn oder seinesgleichen demnächst verhören.

Die nächste Hürde: Er antwortete seltsam. Er sagte Nein, wo man ein Ja erwartete, und Ja, wo man ein Nein erwartete. Nein, das Betriebssystem DOS sei nicht hölzern. IBM habe 1981 schon das richtige System gemietet. Und ja, die Asiaten seien durchaus gute Softwareschreiber. Sie seien durch ihre Bildsprache vielleicht jetzt im Nachteil, würden aber bei künftigen Spiele-Softwares schwer zu schlagen sein. Zunächst, so Gates damals abschließend, ginge es aber darum, jene zu überzeugen, die alles Digitale als Weg in die Grube sehen.

Heutige Kritiker des Digitalen haben es schwer. Sie finden keine primitiven Digitalverherrlicher als Gegner. Und die Vorzüge der Digitaltechnik sind dokumentiert. Sie sind abgespeichert unter Stichworten wie "Effizienz“, "Automatisierung des Banalen“ und "hohe Nettozeit für kreative Arbeit“.

Es gab aber eine Zwischenphase mit erstklassigen, philosophischen Digitalkritikern. Zwei der Besten waren Joseph Weizenbaum und Neil Postman. Von Weizenbaum, einem aus Deutschland gebürtigen US-Informatiker (1923-2008), sind uns schöne Sätze überliefert, die mit Recht nachklingen. Hier zwei davon.

"Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen.“

"Jeder ist immer erreichbar. Die ganze Welt beschleunigt sich, alles ist dringend, und wo alles dringend ist, ist nichts mehr dringend, und damit schlittern wir in eine Bedeutungslosigkeit hinein.“

Der Zweite war der US-Medienwissenschafter Neil Postman (1931-2003), ein Fernsehhasser und Digitalfeind der ersten Stunde. Er schrieb die Weltbestseller "Wir amüsieren uns zu Tode“ und "Wir informieren uns zu Tode“. Er opferte einen Nachmittag im Wiener Palais Schwarzenberg. Wir tauschten analoge Füllfedern. Seine waren US-Mittelklasse, meine europäische Spitze, darunter eine limitierte Montblanc. Ich ging dennoch beschenkt. Neil Postman verriet mir 1987 das künftige Idealmedium: "On Air die aktuelle Information, auf Papier deren kluge, archivwürdige Interpretation und literarische Beiträge, die für den PC-Bildschirm zu schade sind.“

Wovon er selbst bei Portwein und Brandy nicht abließ, war sein Hass auf das bewegte Bild: "Jeder spürt doch, dass Fernsehen nervös und schwach macht. Man will den flüchtigen Bildern hinterhergreifen, um sie in Ruhe studieren zu können. So wie einer den Erinnerungen an seine Mutter nachgreift und sie nicht fassen kann. Und am Ende froh ist, wenn er ein stillstehendes Bild der Mutter im Fotoalbum findet und einen Brief, den sie ihm geschrieben hat.“ Apropos Schreiben: Gedichte, Liebesbriefe und Kondolenzschreiben per Maschine sah er als Argument für die Todesstrafe.

Postman litt als Mahner unter millionenfachem Beifall von falscher Seite. Er wünschte keinen Applaus von Gestrigen, die sich aus Trägheit dem Fortschritt entziehen. Er ließ für sich auch Kompromisse zu. Er würde heute, zehn Jahre nach seinem Tod, keinen Unglücklichen verachten, der vor Zeugen seine Wichtigkeit ins Handy brüllt oder Pferdewetten in Paris-Longchamp per Smartphone platziert. Er würde dies gut finden, als Erleichterung einer armen Seele. Er war in der Schale ein Zyniker, im Kern ein herzlicher Christ.

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