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Helmut A. Gansterer Lob des Papiers

Lob des Papiers

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"Bei der nächsten Sintflut wird Gott nicht Wasser, sondern Papier verwenden“, Romain Gary

Dieses Zitat ist ein merkwürdiger Einstieg, wenn es darum geht, das Papier zu verherrlichen. Und alle Papier-FreundInnen zu trösten, die den baldigen Tod der feinsten Erfindung der Menschheit befürchten.

Warum also diesen berühmtesten papierfeindlichen Satz der Weltliteratur anführen? Aus dem einfachen Grund, ihn aus dem Weg zu räumen. Das Elend aller Zitate liegt darin, dass sie nie die Umstände ihrer Entstehung mitliefern. Als Romain Gary über das Papier als Sintflutmedium herzog, war er nicht mehr Herr seiner Sinne. Er stand kurz vor seinem Selbstmord, besinnungslos vor Schmerz über den Freitod seiner Gefährtin Jean Seberg, und war aufgrund seiner verblassten Bedeutung als Literat ergrimmt gegen alles, was auf Papier gedruckt war. Ein zweiter papierkritischer Satz ist ernster zu nehmen. Er entspringt dem unendlichen Fundus der Volksweisheit. Demgemäß ist er gläsern formuliert: "Papier ist geduldig.“ Man versteht, was gemeint ist. Aber meint jeder das Gleiche zu verstehen?

Man wird es zunächst negativ auslegen. Als seelenlose Materie lässt Papier alles mit sich geschehen. Neureiche haben im "Buddenbrooks“-Lübeck Heringe in handgestrichenes Bütten gewickelt. Man hat das Papier für Briefbomben missbraucht. Man hat auf Offizialpapieren Todesurteile fixiert, auch schwachsinnige Gesetze. Neonazis sudeln auf Packpapiere ihre orthografisch interessanten Plakate (jüngstes Fundstück: neben dem Hakenkreuz der Satz: "Fuck you, beach!“). Und verdunkeln nicht täglich elende Zeitungen unseren Stern?

Gut beobachtet. Doch warum diese Larmoyanz? Warum diese Gravität zum Schattigen? Wird nicht jede Kriegserklärung, die man auf Papier druckte, tausendmal aufgewogen durch die Werke Shakespeares, jeder Intrigantenschrieb durch die Gedichte von H. C. Artmann, jedes misstönende Plakat durch die Partituren Schuberts, jede infame Hasstirade durch Milliarden von Liebesbriefen, die uns begleiten, seit Tsai Lun in China das Papier erfand, im Jahre 105 A. D.?

Um als Journalist das eigene Fach nicht zu vergessen: Neben den gewiss unzuübersehenden Schmuddelprodukten finden wir auch fantastische. Und nicht einmal nur solche von Profis, die immer genannt werden, wenn es um Qualität geht, bei Magazinen beispielsweise "New Yorker“ und "National Geographic“ (USA), "du“ (CH), "Geo“ und "Art“ (D) und vielleicht, bitte um Vergebung, profil (A), man schriebe ja sonst nicht gerne darin. Man findet, wenn man sucht und keinen Lebensekel vor dem Besseren hat, klasse Uni-Zeitungen und ambitionierte Firmenmagazine. Und man findet, zum Thema Papier passend, die Zeitschrift "zuschnitt“ der Interessengemeinschaft "Pro:Holz“, ein avantgardistisches Gesamtkunstwerk. Nicht einmal jedes sich selbst so bezeichnende Schundheftl ist Schund, wie "Moff“ beweist, legendär schon zu Lebzeiten seines Schöpfers und Cartoonisten Gerhard Haderer.

Auf Papier findet Schwarz und Weiß statt, technisch und inhaltlich. Ist es daher als Trägermedium der Info-Medien neutral zu sehen? Entschieden nicht. Papier ist krass positiv zu sehen, aus zwei Gründen. Erstens: Jeder darf das Medium seiner Wahl suchen, in fantastischer Vielfalt. Wer sich ausschließlich über Schmuddelmedien erregt, zeigt nur, wie gut er sich darin auskennt. Zweitens: Die Kritiker der Papiermedien mögen sich ihr Alltagsleben ohne diese vorstellen. Sie blickten unverzüglich in eine orientierungslose Finsternis. Und da war noch nicht die Rede von der Papier-Weltliteratur, deren Verfasser unser Leben tausendfach verlängern, weil sie uns gestatten, in tausend andere Schicksale einzutreten und nachher wieder ganz wir selber zu sein, vielleicht wissender und veredelt. Aber werden diese prächtigen Papiermedien nicht gänzlich durch Bildschirmmedien ersetzt? Damit kommen wir zum letzten Kapitel.

Erinnerung: Ich treffe Dr. Horst Pirker. Er ist zu dieser Zeit, die nicht lang zurückliegt, glänzender Styria-Group-Boss (heute Fixstern über den globalen Red-Bull-Medien). Er war zugleich Präsident des Verbands österreichischer Zeitungen. Er wünschte eine Festrede. Er gab nichts vor, aber man spürte, er wolle gerne was hören gegen die Hysterie, die Bildschirme würden alles Papierene killen.

Zufällig konnte ich in der Ansprache mit dem besten Zeugen dienen, Bill Gates, Gründer von Microsoft, im Nebenberuf reichster Mann der Welt. Er bekannte im Interview, gern vom Papier zu lesen. Seinen ersten Bestseller ("The Road Ahead“) versah er noch mit einer CD, den zweiten ("Digital Business“) nicht mehr. Seither haben die elektronischen Medien gleichwohl zugelegt. Die Vermutung von Medienwissenschaftern, Bildschirm und Papier würden zu einander ergänzenden und aufschaukelnden Welten werden, bewahrheitet sich dieser Tage. Ohne einen Grundvorteil der Papierwerke zu berühren: Texte, vom Bildschirm konsumiert, führen über das Auge direkt ins Hirn. Texte vom Papier führen im Wege der Osmose über die Haut ins Herz - und dann erst, tausendfach angereichert, ins Hirn. Dank seiner geheimnisvollen Haptik blieb das Papier die immergrüne Menschheitserfindung Nr.1.

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