Garten-Boom: Grüne Aussichten

Garten-Boom: Grüne Aussichten

Noch nie ist in Österreich so viel gegärtnert worden

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Für Ex-ORF-Intendant Gerhard Weis ist es „eine kontemplative Arbeit“, bei der ihm „die besten Ideen“ kommen. Für SPÖ-Bundespräsidentschaftskandidat Heinz Fischer ist es „angenehm, ablenkend und beruhigend“, er kann sich „als Teil des Kreislaufes der Natur“ fühlen. Für Nationalratspräsident Andreas Khol ist es „ein Auslüften des Kopfs“, für Landwirtschaftsminister Josef Pröll „ein Rückzugsraum“, den er „selbst gestalten“ kann, für die „ZiB 3“-Moderatorin Birgit Fenderl eine „Spielerei“, die ihr Spaß macht, und für den Manager und Unternehmensberater Klaus Woltron eine „Relativierung der Blödheiten, die man sonst so den ganzen Tag hat“.
Die Rede ist von der Gartenarbeit.

Und nie haben sich die zitierten Prominenten aus Politik, Wirtschaft und Medien mit ihrer Gartenleidenschaft in größerer Gesellschaft befunden als heute. Denn in den vergangenen drei Jahren ist das Gärtnern in Österreich zum veritablen neuen Volkssport avanciert: So viel Auszug ins Grüne war noch nie. Lag der Anteil der gärtnernden Bevölkerung im Jahr 2000 noch bei 25 Prozent, so ist er seither auf ein Drittel angestiegen. „Eine beachtliche Steigerung“, sagt Peter Zellmann vom Wiener Institut für Freizeit- und Tourismusforschung der Ludwig Boltzmann Gesellschaft, der diese Daten erhoben hat. In Deutschland, wo der Boom ein paar Jahre früher eingesetzt hat, gärtnern mittlerweile sogar 40 Prozent der Bevölkerung. Das gute alte Gärtnern ist in Mode gekommen, und damit geht ein relativ neues, äußerst gut vermarktbares Image einher: „Mein Garten – ein Ort, an dem meine Lebenslust aufblüht“ lautet der Slogan, mit dem die Verbände der deutschen Landschaftsgärtner für „the green side of living“ werben, und zwar im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“. Das Foto zur Werbung zeigt ein junge Frau im schulterfreien Oberteil mit erdverklebten Fingern, die dem Betrachter durch eine große Frostschutz-Glasglocke hindurch ihre zu einem gut gelaunten Kussmund aufgeworfenen roten Lippen präsentiert. So weit, so unmissverständlich: Im Garten der Gegenwart geht es heiter und verspielt zu, er ist – so die Werbebotschaft – nicht nur „eine grüne Oase und ein kleines, privates Paradies“ und ein Ort, „an dem Körper und Geist Erholung finden“, sondern auch „genauso individuell wie Sie“. Alles sehr schick, sehr hip, Teil der Wellness- und Lebenskultur.

Lazy, lazy. „Irgendjemandem ist es offensichtlich gelungen, das Ganze zum Trend zu machen“, sagt Birgit Fenderl, die das Gärtnern seit vielen Jahren als „wunderbaren Kontrast“ zu ihrer stressigen Arbeit im ORF-Newsroom sieht. „Man braucht sich nur anzuschauen, wie sich Blumengeschäfte in den letzten Jahren verändert haben: Sie sehen zum Teil aus wie Künstlerateliers.“ Und das ist nur eines der Symptome für das neue Kreativ-Image des Gärtnerns. Die gesamte Gartenbranche befindet sich in einem dauerhaften Hoch: Die Gartenaccessoire-Palette wird immer umfangreicher, neue Gartencenter schießen wie Pilze aus dem Boden, Gartenzeitschriften boomen, und die einschlägige Hobby- und Fachliteratur wird immer umfangreicher.

Die Gartenbücher der Frühjahrssaison tragen so einprägsame Titel wie „Lazy Blumengarten“, „Balkon fix!“ oder „Die schönsten Balkone & Terrassen für intelligente Faule“ und wenden sich an alle, so ein viel sagender Untertitel, „die wenig tun und viel genießen wollen“. Sie bilden zwar nicht die erste Generation der Gartenfaultier-Fachbücher (die sind schon vor drei, vier Jahren erschienen), aber sie verweisen erneut eindringlich darauf, dass die neuen Gärtner mit kreuzlähmender Schufterei nichts mehr am Hut haben.

„Vor zwanzig Jahren ist noch die Großmutter mit der Gießkanne durch die Beete gegangen. Heute macht das die vollprogrammierte Gardena-Anlage“, erklärt Freizeitforscher Zellmann. Bequemlichkeit wird groß geschrieben – eine Entwicklung, die auch Nikolaus Thaller, einer der Geschäftsführer der heimischen Grün-

Supermarktkette Bellaflora, bestätigt: „Das Kaufverhalten verschiebt sich immer mehr in Richtung Fertigprodukte. Auch die Pflanzen, die gekauft werden, sind größer als früher.“ Während es bis vor einigen Jahren noch üblich war, sich im Frühling mit Stecklingen von Gemüse- oder Balkonpflanzen einzudecken und sie zu Hause aufzupäppeln, verkauft Bellaflora heute immer mehr vollentwickelte Pflanzen. „Die Kunden wollen sofort Ergebnisse sehen und sicher sein, dass das, was sie gekauft haben, auch etwas wird.“ Containerware, Zitruspflanzen mit Früchten, größere Übertöpfe, weniger Arbeit, weniger Risiko.

Der Gemüsegarten als Medium zum Geldsparen hat sowieso ausgedient. Unternehmensberater Klaus Woltron witzelt über die Kosten-Nutzen-Rechnung der von ihm aufwändig gepflegten Gemüsebeete in seinem niederösterreichischen Garten: „Vom betriebswirtschaftlichen, neoliberalen Standpunkt aus ist mein Gärtnern eine Entartung.“

Laut einer Untersuchung von Regioplan Consulting belief sich das österreichische Gesamtmarktvolumen für Pflanzen, Gartenbedarf und Blumen im Jahr 2003 auf 542 Millionen Euro, 1998 lag es noch bei 322 Millionen. Die Baumärkte begrüßen diese Entwicklung naturgemäß und überziehen das Land mit neuen Filialen, in denen der Freizeitgärtner von der Gartensprenkelanlage über den Rosenbogen und Blumensamen bis hin zum Gartenhütterl alles unter einem Dach findet. „Es gibt jetzt Gartencenter mit einer Auswahl, von der man vor fünfzehn Jahren nicht einmal träumen konnte“, sagt Ex-ORF-Intendant Gerhard Weis, der seit seiner Kindheit ein leidenschaftlicher Gärtner ist und gleich zwei Gärten unterhält: einen Stadtgarten mit vielen einheimischen Blütenpflanzen und einem Trockenbachbeet sowie einen mediterranen Garten bei seinem Haus auf der kroatischen Insel Brac.

Garten als Gegenwelt. Die Baumax-Kette erwirtschaftet mit ihren Garten-Abteilungen inzwischen ein Viertel des Gesamtumsatzes. Bellaflora hatte 2001 16 Standorte, inzwischen sind es 22, in denen zuletzt 67,5 Millionen Euro Jahresumsatz gemacht wurde. Im kommenden Jahr sollen es 7,5 Millionen mehr sein, weitere Filialen – etwa eine im steirischen Liezen – sind fix geplant.

Freizeitforscher Zellmann weiß, wen genau es mit solcher Macht hinaus in den Garten treibt. „Im Prinzip bleibt der Garten ein Interesse der über 50-Jährigen, allerdings ist es mittlerweile auch für Mittdreißiger nicht mehr out, sich mit dem Garten zu beschäftigen.“ An dieser Tendenz, so Zellmann, wird sich auch so bald nichts ändern. Die Hauptursache für den Boom ortet er in der Zunahme von Zweitwohnsitzen im Grünen und Reihenhäusern mit Garten. „Das eigene Stückchen Grün hat man heute im Alltag und in der Freizeit mehr als vor zwanzig Jahren.“ Damit, so Zellmann, ist es auch normal geworden, das neu erworbene Grün in Schuss zu halten, und zwar möglichst umstandslos und ohne allzu großen Aufwand. „Sobald es in Arbeit ausarten würde, würde es mir keinen Spaß mehr machen“, sagt Birgit Fenderl, die seit einem Jahr einen Zweitwohnsitz mit kleinem Bauerngarten im Burgenland besitzt.

Und da wäre noch, nicht zuletzt, das Motiv Wellness. Gestresst und hektisch betritt man den Garten und verlässt ihn frisch und gestärkt, so die These vom Garten als Gegenwelt. Für Nationalratspräsident Andreas Khol etwa ist der Weg in den Garten der kürzeste Weg zu geistiger und körperlicher Gesundheit (siehe Interview). Peter Pieler, Vize-Dekan des Juridicums, Professor für römisches Recht und Kenner der Geschichte der Gartenkunst, hält „die Sucht nach Natürlichkeit“ für eine zentrale Triebfeder des aktuellen Gartenbooms. Allerdings, sagt Pieler, der als langjähriger Gärtner unter anderem eine umfangreiche Kakteensammlung besitzt, sei der Garten, historisch gesehen, nicht immer eine Gegenwelt zum aufreibenden Alltag gewesen, sondern dessen Ergänzung. Das gelte vor allem für barocke Gärten, in denen sich der fürstliche Wille in die Gestaltung der Natur fortsetzte.

Dass aber die Wahrnehmung des Gartens als Gegenwelt heute eine durchaus wichtige Rolle spielt, ist unbestritten. „Der Garten bietet sich als idealer Übergang aus der Beschleunigung der Arbeitswelt an. Der ausgleichende, entschleunigte Lebensstil, für den er steht, wird grundsätzlich der Lebensstil der Zukunft sein“, ist Freizeitforscher Zellmann überzeugt. Für SPÖ-Bundespräsidentschaftskandidat Heinz Fischer, der auf der Hohen Wand ein Haus mit Garten besitzt (siehe Interview), ist die Arbeit im Garten „ein Ruhepol und gegenläufiges Phänomen zur Hektik des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens“.

Allerdings, erklärt Fischer, kann die Hektik des Lebens draußen so stressig werden, dass das Gärtnern das Nachsehen hat. Jetzt im Wahlkampf, sagt Fischer, habe er keine Zeit für seine Bäume, und zwar „null Komma null“.