gastkommentar: Fritz Hausjell

Wie schlecht darf ein Kommentar sein?

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Lingens fragt: „Lässt sich mit einem Sparbudget gutes Fernsehen machen?“ Die Antwort bleibt er jedoch schuldig. Er macht sich Gedanken zum Zustand des ORF, denen ich an etlichen Stellen durchaus zustimme. Ja, es ist richtig, dass das ORF-Fernsehen sich mittlerweile gegen eine durch die Digitalisierung dramatisch gewachsene private Konkurrenz behaupten muss. Dann allerdings orakelt Lingens, die Zufriedenheit des ORF-Publikums sei gesunken. Auf eine Meinungsumfrage kann er zwar nicht verweisen. Aber die kommt schon noch, darf man prognostizieren. Nämlich dann, wenn der ORF von den Printmedien ausreichend runtergeschrieben sein wird. Doch ich hege berechtigte Hoffnung, dass nicht alle Printjournalisten den Eigeninteressen ihrer arbeitgebenden Medienkonzerne willfährig folgen. Aber noch einmal zur Zufriedenheit zurück, auch weil Lingens die Informationsqualität der Bacher-Ära hochleben lässt: Wären Vergleichsmessungen der Zustimmung zum Programm über große Zeiträume hinweg, wenn wir sie denn hätten, aussagekräftig? Ist das Publikum nicht insgesamt kritischer und wählerischer geworden und das Medien­bouquet von früher mit dem heutigen nicht zu vergleichen? Und die erinnerte Vergangenheit, reden wir uns die nicht oft schöner, als sie war?

Lingens behauptet: „Sendungen mit Tiefgang lassen sich angesichts vergleichsweise geringer Einschaltquoten nur durch die Werbeeinnahmen finanzieren, die man bei erfolg­reichen Breitensendungen generiert.“ Würde das stimmen, dann wäre seine Frage, ob „ein einziger Kanal mit erstklassiger Qualität in der Breite wie in der Tiefe nicht die bessere Lösung“ sei, zwar schlüssig, aber noch lange nicht mit Ja zu beantworten. Das Modell funktioniert bloß so nicht, weil Lingens zwischendurch den wesentlichen Finanzierungsfaktor Gebühren vergisst.

Doch die von ihm vorgeschlagene Reduzierung des ORF auf ein einziges Vollprogramm ignoriert die Entwicklungen zu einem immer stärker segmentierten, an spezifischen Interessen orientierten Publikum. Wer dem ORF in dieser Situation empfiehlt, nicht selbst mehrere spezielle Kanäle anzubieten, sondern sich auf ein General-Programm zu reduzieren, tut dies entweder in medienkundlicher Unkenntnis oder mit Absicht. Nachdem Lingens sich als Mitglied der angeblichen Minderheit outet, die den Bestand des öffentlich-rechtlichen Fernsehens für unverzichtbar hält, sind seine Vorschläge wohl aus Sorge formuliert. Wenn ORF-Freunde den von Lingens geäußerten Ratschlägen folgen würden, wären ihnen mehr Sorgen gewiss. Er schlägt nämlich auch vor: niedrigere Gebühren (wer will das nicht) kombiniert mit einer Steuerfinanzierung. Damit treibt er den ORF noch mehr in die Hände der Parteipolitik, die er im Übrigen zu Recht beklagt. Ein Blick auf die ORF-Politik der Regierungen in den Jahren 2000 bis 2006 macht nur zu deutlich, dass Regierungsnähe im Rundfunk am einfachs­ten über den Finanzierungshebel erpresst wird: Wegnahme der Gelder, die der ORF davor als Ersatz für die aus sozialen Gründen gebührenbefreiten Rundfunknutzer bekommen hatte, neue Werbebeschränkungen und die Verpflichtung, freie Mitarbeiter anzustellen. Garniert wurde diese ORF-feindliche Politik nicht nur mit Interventionsversuchen am laufenden Band und mit positiver Politik für private Fernseh- und Hörfunkbetreiber, die in der Folge den Druck auf den ORF via Markt erhöhten.

Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist in Kleinstaaten wie Österreich ein tatsächlich immer schwierigeres Unterfangen. Kurzfristig wäre dem ORF natürlich geholfen, wenn nicht nur der Entgang der Gebühren durch die staatlich gewünschte und sinnvolle Gebührenbefreiung dem ORF wieder substituiert würde, sondern auch die kompletten Gebühren ihm zugute kämen. In den meisten Bundesländern fließt ein markanter Teil der Gebühren bekanntlich in die Landeskultur-Budgets. Die Ge­bührenzahler indes meinen, den ORF zu finanzieren.

2008 wird für den ORF kein „Schicksalsjahr“, wie Lingens meint, aber es wird sicher ein schwieriges. Wobei an der Lingens’schen Diagnose überrascht, dass sie so eng ist. Die europäische Medienpolitik spielt – so scheint es – keine Rolle. Wer wie er schon lange in Spanien lebt, sollte wissen, dass die Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht nur hausgemachte sind. Die anstehende Prüfung des ORF durch die EU, welche Leistungen öffentlich-rechtlichen Charakter haben und durch Gebühren finanziert werden dürfen, sollte nicht nur Lingens’ Blick in dieser Causa auch einmal nach Brüssel richten.

Das zusammenwachsende Europa braucht dringend eine europäische Öffentlichkeit. Derzeit existiert in den meisten EU-Ländern eine auf Eigentümerebene zwar international verschränkte Medienlandschaft. Doch diese Medien thema­tisieren die EU-Entscheidungen fast ausschließlich aus nationalen, einzelstaatlichen Perspektiven. Da kommt Europa in der öffentlichen Wahrnehmung rasch unter die nationalen Medienräder. Privatwirtschaftlich betriebener Rundfunk hat – wie Lingens auch festhält – wenig substanzielle Informationsangebote. Wenn die EU weiterhin die Rahmenbedingungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in ihren Mitgliedstaaten verschärft, statt zu verbessern, schadet sie Europa. Denn der Europäisierungsprozess braucht auch einen gemeinsamen öffentlichen Raum der Debatte.