Gastronomie: Träu- men von Schäumen

Gastronomie: Träumen von Schäumen

Eine neue Generation am- bitionierter Köche tritt an

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Ein Gespenst geht um in Europa, und es droht mit der chemischen Keule. Zu Beginn des neuen Jahrtausends verhalf der katalanische Spitzenkoch Ferran Adrià, der sich mit seinem Restaurant El Bulli im kleinen Fischerdorf Roses an der spanischen Costa Brava zum meistbeachteten Koch der Gegenwart emporexperimentiert hat, der so genannten „Molekularküche“ zu internationalem Aufsehen. Was ursprünglich als Versuch begonnen hatte, die physikalischen und chemischen Grundlagen der Speisenzubereitung zu erkunden, wurde von Adrià ins Kreative gewendet: In seiner Laborküche köchelt seither die Avantgarde der Kulinarik, die Essen nicht nur als reine Geschmacksfrage, sondern als hoch-technologisch unterfüttertes, gesamtkunstwerkliches Erlebnis begreifen will. Seine Degustationsmenüs, die gut und gern dreißig Gänge umfassen (von denen manche aber nicht zum simplen Genuss taugen, sondern – etwa per Riechfläschchen – bloß die Sinne schärfen sollen), enthalten gastronomische Undenkbarkeiten wie Parmesaneis, Bonbons aus Olivenölen, allerlei Gelees und Schäume oder, ganz einfach: vier Mandeln, eine süß, eine salzig, eine sauer, eine bitter. Das Konzept ging auf: Plätze im El Bulli sind rar (fürs laufende Jahr war man schon im vergangenen Oktober ausgebucht), Adrià selbst, in Ranglisten der weltbesten Köche seit Jahren verlässlich in den Top drei, wird auch von gastronomischen Granden wie Paul Bocuse bedingungslos verehrt – und Köche in ganz Europa laborieren seither an adriàtischen Experimenten. Ganz Europa? Nicht ganz. An Österreich ist die Aufbruchsstimmung, die der Katalane und seine Lehrlinge erzeugt haben, bisher relativ spurlos vorübergegangen. Zwar wird hie und da, eher zaghaft, mit bunten Schäumchen und unerwarteten Kompositionen experimentiert, vor allem aber werden die praktikableren Entwicklungen der Koch-Avantgarde (u. a. die Wiederentdeckung der ISI-Patrone als zentrales Küchenelement) relativ einfältig wieder und wieder verwertet.

Trendgericht Gulasch. Ungleich größerer Beliebtheit erfreut sich hierzulande nämlich der Blick zurück. Angestoßen vom Überdruss am jahrelangen Asia-Hype mit seinen Zitronengrasexzessen, folgt nun der Backlash, hin zur urtypischen heimischen Wirtshauskultur. „Trendgericht Gulasch“ titelte jüngst das Fachmagazin „Vinaria Gourmet“, und das ist keineswegs so daneben, wie es klingen mag: Statt zum Designerasiaten pilgert der trendbewusste Gourmet heute ins Landgasthaus, wo Grammelknödel und Rindssuppen höheren kulinarischen Weihen zugeführt werden. Bezeichnenderweise eröffnete ausgerechnet Helmut Österreicher, ehemaliger Steirereck-Küchenchef und „Koch des Jahrzehnts“, im Frühjahr sein futuristisch designtes, aber umso bodenständiger bekochtes Wiener Edelgasthaus „Österreicher im MAK“. Ja bis hin zur Wiederentdeckung des unseligen Gabelbissens geht die Rückbesinnung aufs Typisch-Österreichische, wobei gern das italienische, wahlweise auch das französische Beispiel ins Feld geführt wird: Dort hätte man doch auch erst durch eine Konzentration aufs Landestypische reüssiert. Das mag stimmen, doch allzu eng ausgelegt, behindert dieses Diktum jeden Fortschritt. Aber die Rettung naht: Eine Generation junger Köche tritt an, den Spagat zwischen Avantgarde und Tradition, zwischen Basilikumschaum und Heidensterz zu wagen, mit unterschiedlicher Gewichtung, aber durchwegs spannenden Ergebnissen. profil präsentiert die wichtigsten Hoffnungsträger dieser neuen, jungen, wilden, österreichischen Kochkunst.

Von Sebastian Hofer