Gaza-Krieg: Lügen in Zeiten des Krieges

Gaza-Krieg - Lügen in Zeiten des Krieges: Auch in Österreich scheiden sich die Geister

Auch in Österreich scheiden sich die Geister

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In der öffentlichen Meinung lädt Israel mit seinen Angriffen auf Gaza große Schuld sich. Die Massenseele ist entsetzt angesichts der Bilder von toten Kindern, weinenden Frauen, zerstörten Wohnhäusern und Bombardements auf Einrichtungen der Vereinten Nationen. Seit Beginn der israelischen Militäroffensive gab es in Österreich mehr als zwei Dutzend Demonstrationen gegen den Krieg in Gaza, laut Innenministerium mit „beachtlicher Teilnehmerzahl“. Dabei wurde schon einmal der Davidstern mit dem Hakenkreuz gleichgesetzt. Die österreichische Jugend mit moslemischem Migrantenhintergrund hält sich an die englische Ausgabe des arabischen Senders Al Jazeera, der Nahaufnahmen von zerfetzten Körpern zeigt, die keine westliche Anstalt zu senden wagte – „wahrscheinlich zu Recht“, wie der er­fahrene Kriegsberichterstatter des ORF, Friedrich Orter, meint.

Auch zwischen der Islamischen Glaubensgemeinschaft und der Israelitischen Kultusgemeinde, deren Bewachung in diesen Tagen massiv verstärkt werden musste, herrscht Krieg. In einer Wiener Moschee hatte ein Imam gegen Israel als „Bestie und Verbrecher“ agitiert, was der Integrationssprecher der Glaubensgemeinschaft, Omar Al Rawi, mit „Dampf ablassen“ rechtfertigte und hinzufügte, es gebe keinen Anschlag auf Synagogen. (In einem Pariser Vorort wurde jüngst eine Brandbombe gegen eine Synagoge geworfen.)

Jeder Medienauftritt wird kritisch beäugt. Im ORF wurde vor einigen Tagen ein Vertreter der Palästinenser in Wien gefragt, ob er glaube, „dass Israel die Palästinenser auslöschen will“, was dieser – unter zustimmendem Nicken des Interviewers – glatt bestätigte. Keine Sternstunde des Journalismus, wie man im ORF zugibt. Im Ö1-„Mittagsjournal“ durfte der österreichische Nahost-Experte Harald Haas die radikale Palästinenserorganisation Hamas als „Wohltätigkeitsorganisation mit islamistischem Hintergrund“ charakterisieren. Auch das machte böses Blut.

Europaweit kursieren E-Mails, in denen zum Boykott gegen die Lebensmittelkette Hofer bzw. Aldi aufgerufen wird, weil ­diese Israel sponsere. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Wien hat ihre Mitglieder inzwischen per Mail zurückgepfiffen, weil sich dies als Fehlinformation herausgestellt habe. Und wenn es nun wahr gewesen wäre?

Propagandakrieg. Die Lagerbildung geht quer durch Freundeskreise. Der Propagandakrieg wird im Internet über Blogs, Facebook und das Videoportal YouTube aus­getragen. Da sieht man etwa einen bewaffneten Hamas-Milizionär, der gewaltsam einen Halbwüchsigen an sich reißt und ihn zu einer Gruppe von Männern zerrt. Hat er das Kind aus der Schusslinie gebracht oder es gezwungen, als Schutzschild zu dienen, wie das israelische Militär behauptet? Ein anderes Video zeigt eine tumultöse Straßenszene, in der fünf bewaffnete Männer, von denen einer verletzt sein könnte, einen Ambulanzwagen der Vereinten Nationen entern. Man weiß nicht, wo und wann diese Bilder entstanden sind.

Im ORF-Auslandsjournal wurden vergangene Woche Filmsequenzen von einem palästinensischen Begräbniszug gezeigt, auf denen die vermeintliche Leiche plötzlich von der Bahre springt, um sich kurz darauf wieder hinzulegen. Eine andere Sequenz zeigte die Szene eines Straßenkampfs, in der ein unbewaffneter Palästinenser, von Schüssen niedergestreckt, in den Straßengraben sinkt, um kurz danach munter wieder aufzustehen. Die Umstehenden applaudieren. Dem deutschen Historiker Gerhard Paul, der sich professionell mit Kriegspropaganda beschäftigt und die manipulative Wirkung von Bildern untersucht, fällt auf, dass „das terroristische Bild der Hamas aus westlichen Medien vollkommen verschwunden ist: Die Palästinenser erscheinen nur noch als Opfer und mobilisieren damit das Weltgewissen“.

Ausgesperrt. Für Journalisten ist die Lage schwierig. Israel hat den Gazastreifen für Medien gesperrt. Die Armee propagiert die Legende vom sauberen Krieg und verbreitet Bilder von so genannten chirurgischen Eingriffen aus der Luft. Journalisten und Kameraleute wurden auf israelischem Boden auf einen Hügel an der Grenze zu Gaza verbannt, kilometerweit vom Geschehen entfernt – auf dem „hill of shame“, wie ORF-Reporter Orter den Schauplatz nennt. Bilder und Informationen aus Gaza gibt es nur von palästinensischen Mitarbeitern, die bei Ausbruch des Krieges in Gaza waren.

„Unser Vertrauen zu Leuten, die wir kennen, ist groß genug, dass wir annehmen, sie liefern nicht nur Bilder, die von der Hamas beeinflusst sind“, sagt Orter. So habe ein ARD-Reporter kürzlich von seinem palästinensischen Mitarbeiter Material bekommen, auf dem Zivilisten zu sehen sind, die unter ihren Mänteln Waffen tragen. Was die israelische Behauptung unterstützt, die Milizen der Hamas würden sich unter die Zivilisten mischen.

„Was fehlt, sind kritische Stimmen aus Gaza, die auch Hamas für das Desaster verantwortlich machen“, sagt Orter. Im Idealfall könne man nur berichten, was man selbst sieht, was derzeit aber nicht möglich sei, und selbst das könne täuschen, sagt der erfahrene Kriegsreporter. Die Öffentlichkeit macht sich trotzdem ein Bild. Vielleicht sollte man dem Rat des israelischen Schriftstellers und Friedensaktivisten Amos Oz folgen (der übrigens Israels Vorgehen verteidigt): sich nicht blind auf eine Seite zu schlagen und sich die Empathie für beide Seiten zu erhalten.

Von Christa Zöchling

Fotos: Christian Müller