Gaza für die Medien: Sicher, sauber, grün

Gaza: Sicher, sauber, grün

Die Islamisten bemühen sich um Imagepflege

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Gut einen halben Kilometer trotten rund 50 Journalisten durch das Niemandsland am Nordeingang des Gazastreifens. Die Sonne brennt vom Himmel, israelische Panzerrohre sind auf die Rücken der Medienleute gerichtet, und rechter Hand kündet ein Trümmerfeld von begrabenen Hoffnungen: Die Fabriken der Industriezone Erez hatten einmal tausenden Palästinensern Brot und Arbeit gegeben, ehe sie den Israelis das Schussfeld auf Militante versperrten, die aus diesem Grenzgebiet gerne Eigenbauraketen vom Typ Qassam auf israelisches Gebiet abfeuern.

Am Ende des wenig erbaulichen Fußmarsches warten auf einem staubigen Parkplatz zwei klimatisierte Autobusse auf das Medienvolk. Montag, 30. Juli 2007: Die radikal-islamische Hamas hat Journalisten zu einer Rundreise eingeladen. Unter dem Motto „Sicher, sauber, grün – das neue Gaza“ soll das negative Image zurechtgerückt werden, welches den Islamisten nicht erst seit der blutigen Machtergreifung im Gazastreifen vom 14. Juni mit über hundert Toten anhaftet.

Die Abfahrt der Busse, mit Sicherheitseskorte und Blaulicht, verzögert sich um die landesübliche Dreiviertelstunde. Ahmed Asmar, Stabsmitarbeiter des eigentlich abgesetzten palästinensischen Ministerpräsidenten Ismail Haniyeh, ergreift das Mikrofon und begrüßt die Passagiere wie ein wahrhafter Reiseleiter. „Wir bedauern die Verspätung“, schließt er den Willkommensgruß, „aber das ist die Schuld der israelischen Seite.“

Was genau die Israelis in diesem Fall verschuldet haben sollen, ist nicht so klar – sieht man einmal davon ab, dass die seit dem Umsturz verhängte Totalblockade das Leben der 1,4 Millionen Gaza-Palästinenser zur Hölle macht. Schon bald rollt der Bus in das Flüchtlingslager Al-Schati, damit das Privathaus von Ismail Haniyeh besichtigt werden kann. „Anders als viele andere, korrupte Politiker lebt der Ministerpräsident bescheiden“, gibt Tour-Guide Asmar den Ton vor. Tatsächlich sticht das dreistöckige Gebäude, das der in diesem Lager aufgewachsene Politiker mit seiner Familie bewohnt, nicht besonders aus seinem Umfeld hervor. Und siehe da, kaum sind die Fernsehkameras aufgebaut, tritt Haniyeh höchstpersönlich auf den Balkon, um den Journalisten zuzuwinken.

Sicherheit. Viel Zeit bleibt nicht, die Reiseleitung drängt. Die diversen Amtssitze des mit der Hamas verfeindeten Palästinenserpräsidenten Mahmoud Abbas von der nationalistischen Fatah-Bewegung werden abgeklappert, darunter jene Residenz, die Hamas-Kämpfer beim Umsturz gestürmt und verwüstet haben. Jetzt ist alles wieder repariert, praktisch dieselben Milizionäre bewachen die Häuser. „Es ist unsere Pflicht, diese nationalen Objekte zu schützen“, betont Haniyehs Sprecher Ghazi Hamed, der inzwischen zum Journalistentross gestoßen ist.

Abbas hat Haniyeh nach dem Gaza-Coup formal für abgesetzt erklärt, dessen Islamisten-Garden hätten ein „Mordkomplott“ geschmiedet, wetterte er. Unter einer mehr als kreativen Auslegung der palästinensischen Verfassung setzte Abbas den Technokraten Salam Fayad als Chef einer Interimsregierung ein. Die Hamas hat diesen Schritt nie anerkannt, betrachtet aber Abbas weiter als den legitimen Präsidenten. „Wir stehen auf dem Boden der Gesetzlichkeit, er mit diesen Entscheidungen nicht“, erläutert Hamed die komplizierte Kasuistik palästinensischer Staatslenkung.

Während der Bus durch Gaza-City kreuzt, fällt auf, dass keine Bewaffneten mehr herumlungern, dass keine Schüsse knallen. Hamas-Freiwillige in gelben, reflektierenden Leuchtjacken regeln den Verkehr. Vor dem Umsturz war der Gazastreifen eine gesetzlose Zone gewesen. Die Kampfverbände der Hamas und der Fatah lieferten einander Straßenschlachten. Kriminelle Banden entführten Ausländer, um Lösegeld zu erpressen. Kern des Problems war, dass sich die Abbas-Leute nach dem Wahlsieg der Hamas im Jänner 2006 weigerten, die Sicherheitskräfte dem Innenministerium der Hamas-geführten Regierung zu unterstellen. Selbst als Saudi-Arabien im März dieses Jahres die Bildung einer Einheitsregierung aus den beiden verfeindeten Fraktionen vermittelte, änderte sich nichts. Der starke Fatah-Mann in Gaza, Milizenchef Mohammed Dahlan, dessen Truppen mit US-Geld ausgebildet und aufgerüstet wurden, hintertrieb alle Einigungsversuche. Als die Kämpfe ausbrachen, war er schon längst im Ausland. Seine Leute leisteten kaum Widerstand. Die Hamas betrachtet den gefallenen Warlord als „Agenten Israels und der USA“.

Selbst Kritiker der Hamas-Herrschaft räumen ein, dass in Gaza wieder so etwas wie öffentliche Sicherheit herrscht. Doch Straßenzüge, in denen früher das Leben pulsierte, wirken merkwürdig ruhig. An auffallend vielen Geschäften sind die Rollläden heruntergelassen. Die israelische Grenzsperre – nur UN-Hilfslieferungen dürfen passieren – legt es darauf an, die Gaza-Wirtschaft zu erdrosseln.

Die Busse erreichen das Zentralgefängnis von Gaza. Abu Obaida, ein gedrungener, kahlköpfiger Kerl im blauen Kampfanzug, baut sich vor der Delegation auf. Er ist Oberkommandeur der Executive Force, der von der Hamas aufgebauten Sonderpolizei. „Wir haben hier keine politischen Gefangenen“, beschwört er. „Ich habe heute den Befehl des Ministerpräsidenten weitergegeben, dass Folter illegal ist.“ In dem zur Besichtigung freigegebenen Trakt sitzen in der Tat nur Gefangene, denen kriminelle Vergehen vorgeworfen werden. Die Haftbedingungen erscheinen erträglich. Einige Insassen berichten allerdings, dass es ihnen in der Ermittlungsphase „sehr schlimm“ ergangen sei, dass sie geschlagen und gefoltert wurden.

Raji Sourani, der Leiter des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte (PCHR) in Gaza, bestätigt derartige Vorkommnisse. Seit dem Umsturz seien zwei Gefangene in der Haft umgekommen, einer von ihnen war zur Zeit der Festnahme schwer krank. Gefoltert würde nicht im Zentralgefängnis, sondern in einem Bau namens Al-Mashtal, der früher als Geheimdienstzentrale der Fatah diente. Hauptproblem ist aber zunehmend, dass Abbas nach dem Fall Gazas an die Hamas die dortigen Staatsanwälte anwies, ihre Tätigkeit einzustellen. Gegen hunderte von der Hamas verhaftete Diebe, Drogenhändler und Fememörder können deshalb keine Verfahren eröffnet werden. Früher oder später werden die Islamisten ihre eigene Justiz aufbauen müssen – ob sie dafür über genügend geeignetes Personal verfügen, ist fraglich.

Zensur. Hinter vorgehaltener Hand erzählt ein palästinensischer Journalist, dass die Hamas nach dem Umsturz die Fatah-nahen Fernseh- und Radiosender geschlossen hat. An jenem Tag, als die neuen Herren von Gaza ihr vorgeblich tolerantes und weltoffenes Reich präsentieren, konfiszieren Hamas-Polizisten am Grenzübergang Erez Tageszeitungen aus dem Westjordanland, welche die Fatah-Linie vertreten. „Glaubt aber nicht, dass es unter der Fatah hier besser war – beide mögen keine kritischen Stimmen“, fügt der Journalist verbittert hinzu.

Wird nun aus dem Gazastreifen eine islamische Minirepublik, ein „Hamastan“, wie einige israelische Medien alarmiert mutmaßen? „Die Hamas hat sich radikalisiert und fährt nunmehr, unterstützt vom Iran, einen Kurs des Dschihad (Gotteskrieg)“, meinte jüngst etwa auch der pensionierte General Yossi Kupperwasser, bis vor einem Jahr der Planungschef des israelischen Militärgeheimdienstes.

In Gaza deutet freilich nichts auf eine zunehmende Islamisierung hin. Der an Ägypten grenzende, ländlich geprägte Küstenstreifen am Mittelmeer war immer schon frömmer als das Westjordanland mit seinen urbanen Zentren. Schon seit vielen Jahren tragen hier fast alle Frauen das Kopftuch, wird kein Alkohol verkauft oder ausgeschenkt.

Bombenangst. „Wir wollen in Gaza keinen islamischen Staat errichten“, beteuert Hamas-Ministerpräsident Haniyeh auf dem Abschlussbankett. Neben ihm sitzt demonstrativ Vater Manuel Musallam, der einzige katholische Pfarrer von Gaza. 4000 Christen leben in dem Gebiet, unter ihnen 200 Katholiken. Vater Manuels Konvent war zwar in der Umsturznacht von Fanatikern angegriffen worden, doch es soll ein Einzelfall gewesen sein, beteuern die Hamas-Leute. „Wir sind ein Volk“, betont Haniyeh, „und die Christen sind ein sehr wichtiger Teil unseres Volkes.“

Serviert wird Lammbraten auf Reis mit Erdnüssen, ein einfaches, aber schmackhaftes arabisches Gericht. Schließlich gibt es noch ein „Geschenk“, das Haniyeh jedem Journalisten selbst umhängt: eine Schärpe mit den Konturen der Jerusalemer Al-Aksa-Moschee und einer Landkarte des historischen Palästina, mit den wichtigsten Ortsnamen auf Arabisch.

Israel kommt darauf nicht vor.

Bei der Einreise nach Israel in Erez interessiert sich absolut niemand für das prekäre Mitbringsel aus seidenem Stoff. Mehrere Sicherheitsschleusen und ein Vollkörper-Scanner, der an die Apparatur erinnert, mit der sich die Besatzung des Raumschiffs Enterprise durchs Universum beamte, wollen nur eines gewährleisten: dass nur ja keiner eine Bombe über die Grenze trägt.

Gregor Mayer/Gaza