Sprengstoffspuren

Geheimdienste. Robert Buchacher über seine "Mitarbeit" beim jugoslawischen UDBA

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Jetzt ist die Katze aus dem Sack: In den siebziger Jahren war ich „Mitarbeiter“ des jugoslawischen Geheimdiensts UDBA und wurde mit Slibowitz bezahlt. Für die Preisgabe diverser Geheiminformationen – Typus: „Der österreichische Bundeskanzler heißt Bruno Kreisky“ – erhielt ich zudem zwei Essenseinladungen seitens meines „Führungsoffiziers“ namens Plavšak. Der Mann aus der jugoslawischen Teilrepublik Slowenien arbeitete als Presseattaché an der jugoslawischen Botschaft in Wien. Es muss 1974 oder 1975 gewesen sein, als mich der gut aussehende, fast akzentfrei Deutsch sprechende Mittvierziger zum Kennenlern-Dinner ins Restaurant „Dubrovnik“ am Wiener Heumarkt bat. Wir aßen Pleskavica, tranken Bier und Slibowitz, sprachen über die Regierung Kreisky, die Slowenenfrage in ­Kärnten und über profil-Artikel, die ich darüber verfasst hatte.

Im Oktober 1977 traf ich Plavšak ein zweites Mal, diesmal im Laibacher Restaurant „Nepotičnik“ – und zwar wenige Tage, nachdem ein Salzburger Gericht den Zentralsekretär des christlichen Rats der Kärntner Slowenen, Filip Warasch, vom Vorwurf freigesprochen hatte, er habe einem Klagenfurter Pensionisten namens Gottfried Güttler Sprengstoff übergeben und versucht, ihn zu einem Anschlag auf den Klagenfurter Haupttransformator anzustiften. Güttler versteckte den Sprengstoff im Wald und ging zur Polizei.

Nun erzählte ich Plavšak, welchen Eindruck ich vom Prozessverlauf gewonnen hatte. In der nächsten Ausgabe des profil würde ein von mir verfasster Artikel erscheinen, in dem ich darzulegen gedachte, warum ich Waraschs Freispruch für nicht gerechtfertigt hielt. Es gebe starke Indizien dafür, dass an Güttlers Geschichte etwas Wahres sei.

Plavšak wurde kreidebleich. Er erhob sich mit den Worten: „Können Sie mich für eine halbe Stunde entschuldigen?“ Mir war klar, dass der Mann über das soeben Gehörte Meldung erstatten musste. Vermutlich war er Geheimdienstagent. Es dauerte mehr als eine Dreiviertelstunde, bis er wiederkam. Aber es gelang nicht, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Wir waren beide misstrauisch geworden. Nach dieser Begegnung hörte ich nie wieder von ihm. Die Geschichte fiel mir erst wieder ein, als ich in der Zeitung von einer Kärntner Historikerkommission las, welche die Hintergründe der insgesamt 19 Bombenanschläge durchleuchten soll, die in den siebziger Jahren Südkärnten erschüttert hatten.

Inzwischen weiß ich, dass Plavšak mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Agent des jugoslawischen ­Geheimdiensts UDBA war. Vor einigen Wochen hatte mich der wissenschaftliche Leiter der Kärntner Historikerkommission, Alfred Elste, um ein Gespräch gebeten. Anlass: meine damaligen Berichte über die Volksgruppenproblematik in Kärnten und im Speziellen mein ­Artikel über den Warasch-Prozess, der Elste den Eindruck vermittelte, dass ich darüber mehr wissen müsse. Der Historiker und seine Mitarbeiter hatten bereits in Archiven in Wien, Klagenfurt und Laibach recherchiert und waren dabei auf teils brisante Unterlagen gestoßen.

So will Elste in einem Laibacher Archiv Beweise dafür gefunden haben, dass das in den siebziger Jahren in Wien erschienene linke Politikmagazin „Extrablatt“ vom jugoslawischen Geheimdienst finanziert wurde. Entsprechende Gerüchte hatte es schon damals gegeben, denn auffallend war in dem Blatt die Vielzahl von Inseraten jugoslawischer Unternehmen. Die Mitarbeiter des Magazins wussten, dass Chefredakteur Harald Irnberger (er ist im August des Vorjahrs verstorben) „Geld von den Kärntner Slowenen bekommt“. Woher diese Gelder stammten, wussten sie aber nicht. Im Verlauf unseres Gesprächs überreichte mir Elste die Kopie eines Dokuments, das er in einem Laibacher Geheimdienstarchiv entdeckt hatte. Das Papier trägt neben zwölf ­anderen auch meinen Namen, dazu eine Nummernchiffre, die laut Elste für die Charakterisierung „Auskunftsperson, Mitarbeiter“ steht. Es muss also einen UDBA-Agenten gegeben haben, der diese Eintragung veranlasst hatte. Sehr wahrscheinlich war diese Person Plavšak, aber es könnte genauso gut ein Laibacher Journalist oder ein Kärntner Slowenen-Funktionär gewesen sein, der für den UDBA arbeitete und zu dem ich gute Kontakte hatte.

Schließlich war ich Redakteur eines österreichischen Nachrichtenmagazins, der durch sein journalistisches Engagement für die Rechte der Kärntner Slowenen das Interesse des UDBA weckte. Nach dem Ortstafelsturm vom Oktober 1972 hatte sich die Atmosphäre in Südkärnten immer weiter aufgeheizt: Es gab martialische Aufmärsche, Pogromstimmung gegen kärntenkritische Wiener Journalisten wie Trautl Brandstaller, Claus Gatterer und Elizabeth T. Spira, dazu Sprengstoffanschläge auf Bahnlinien, Strommasten, Partisanendenkmäler und Heimatmuseen. Im Juni 1974 trug ein von mir verfasster profil-Artikel zur Kärntner Slowenenfrage den Titel „IRA hilf!“. Es war der Wortlaut einer Losung, wie sie slowenische Aktivisten seit Jahren auf Eisenbahnbrücken oder öffentliche Gebäude geschmiert hatten. Schon im Vorspann der Geschichte stand der Satz: „Die ‚Heimattreuen‘ üben paramilitärische Spektakel, junge Slowenen reden vom Sprengstoff.“

Erst heute ist klar, warum solche Sätze für den UDBA und die Politik des kommunistischen Jugoslawien gegenüber Österreich von einigem Interesse waren. Denn im Vorjahr wurden in Slowenien im Zuge innenpolitischer Auseinandersetzungen Dokumente publik, die belegen, dass Jugoslawien eine Politik der Eskalation in Kärnten verfolgte. Zum einen aus innenpolitischen Gründen: Nur mit Mühe hielt Staatschef Tito den Deckel auf den Nationalitätenkonflikten und zentrifugalen Kräften des Vielvölkerstaats. Aus dem Mund von Laibacher Journalisten waren bei jeder Gelegenheit ­Klagen wie diese zu hören: „Unser mühsam erwirtschaftetes Geld versickert in dunklen Kanälen in Serbien und Montenegro!“

Ein Konflikt mit dem nicht kommunistischen Nachbarstaat Österreich über die im Staatsvertrag festgelegten Minderheitenrechte hätte eine willkommene Ablenkungs- und Kanalisierungsfunktion für aufgestaute Frustrationen in der jugoslawischen Bevölkerung haben können. Als Signatarstaat des Staatsvertrags durfte Jugoslawien außerdem mit Recht behaupten, dass der slowenischen Volksgruppe in Kärnten seit Jahrzehnten Rechte wie die Aufstellung zweisprachiger topografischer Aufschriften vorenthalten wurden, die in dem Abkommen aufgelistet werden.

Als kommunistischer Staat, der 1948 aus dem Ostblock ausgeschert war und eine eigenständige, blockfreie Politik verfolgte, hatte Titos Jugoslawien zudem eine alte Rechnung mit der Sowjetunion offen. Auch die Sowjets waren daher an Konflikten wie dem Volksgruppenstreit in Südkärnten nicht völlig desinteressiert, wenn man Aussagen eines österreichischen Spitzendiplomaten Glauben schenkt, der KGB habe über mehrere Ecken deutschnationale Kärntner Vereinigungen und Heimatverbände unterstützt. Seit Jahrzehnten gehört es zur Kärntner Folklore, dass alljährlich rund um den 10. Oktober, das Datum der Kärntner Volksabstimmung von 1920, Ex-SSler und rechtsradikale Gruppierungen aus halb Europa in Österreichs südlichstes Bundesland pilgern.

Die Kärntner Historikerkommission recherchiert auch in diese Richtung. Sie weiß von Aktivitäten des KGB in Kärnten, unter anderem aus einem Bericht des österreichischen Heeresnachrichtendiensts, hat aber bisher keine konkreten Hinweise auf eine Unterstützung diverser heimattreuer Vereinigungen. Wohl aber weiß sie, dass es im Dunstkreis der Kärntner KPÖ auch eine stalinistische, antititoistische Gruppe mit slowenischen Aktivisten gab, die Kontakte nach Moskau unterhielt.

Die Kommission hat zwar seitens der Kärntner Landesregierung und des Kärntner Landtags den einstimmig gefassten Auftrag, in erster Linie die Hintergründe der Sprengstoffanschläge in Südkärnten zu durchleuchten, aber Elste und seine Kollegen wollen darüber hinaus auch die Entstehungsgeschichte des Kärntner Nationalitätenkonflikts aufrollen, in der Geheimdienste zu allen Zeiten eine gewichtige Rolle spielten.

Noch während der britischen Besatzungszeit stand die ­Zeitung des katholischen Rats der Kärntner Slowenen, „Naš tednik-Kronika“ (Vorläufer des heutigen „Naš tednik“), unter dem Einfluss des britischen Geheimdiensts, der auch den Rat forcierte. Gleichwohl arbeiteten Redakteure des christlichen Slowenen-Blatts nebenbei auch für den jugoslawischen Geheimdienst.

Bald nach dem Krieg wurde in Österreichs Süden auch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) aktiv. Von einem in München ansässigen „Balkanski centar“ aus suchten Agenten des BND über Kontaktpersonen in Kärnten ein Nachrichtennetz in Jugoslawien aufzubauen. Laut Elste waren in diese Aktivitäten auch mehrere österreichische ÖVP-Politiker wie Verteidigungsminister Ferdinand Graf oder der langjährige Klagenfurter Bürgermeister Leopold Guggenberger involviert.

Aber kein anderer Dienst war in Kärnten ähnlich aktiv wie der UDBA. Allein im Raum Klagenfurt standen laut Erkenntnissen der Historikerkommission 72 Personen auf der Informanten- oder Mitarbeiterliste des jugoslawischen Geheimdiensts, etliche davon saßen im Amt der Kärntner Landesregierung oder in der Sicherheitsdirektion.

Die Öffentlichkeit erfuhr von den Aktivitäten des jugo­slawischen Geheimdiensts in Kärnten erst im Oktober 1979 nach dem Bombenanschlag auf das Abstimmungsmuseum in Völkermarkt, dem letzten der Attentatsserie. Beim Versuch, in den Räumlichkeiten des Museums einen Explosivstoff zu deponieren, ging der Sprengsatz vorzeitig hoch und verletzte die beiden Täter, einen Mann und eine Frau, sowie einen Museumskustos teils schwer. Die Täter trugen gefälschte Ausweisdokumente bei sich und entpuppten sich als Agenten des UDBA. Sie wurden gegen österreichische Agenten, die wegen Spionage in jugoslawischen Gefängnissen einsaßen, ausgetauscht.

Laut Elste ging die Initiative zu den Bombenanschlägen von Kärnten aus, der jugoslawische Geheimdienst lieferte den Sprengstoff; zumindest ergebe sich das aus Berichten von UDBA-Agenten. Radikale Kärntner Slowenen nahmen sich offenbar die Entwicklung in Südtirol zum Vorbild. Einen Hinweis darauf lieferte der langjährige Obmann des christlichen Rats der Kärntner Slowenen, der Klagenfurter Rechtsanwalt Matevš Grilc, im März des Vorjahrs in einem Interview mit der Kärntner „Kleinen Zeitung“, in dem er sagte: „Ohne die Bomben wäre Südtirol nicht dort, wo es heute ist.“

Sogar Kanzler Kreisky habe ihn in Gesprächen auf diesen Umstand hingewiesen. In dem gleichen Interview wies Grilc entschieden Verdächtigungen zurück, er stehe in Verbindung mit einem Sprengstoffanschlag auf eine Überlandstromleitung im Raum Kühnsdorf. Elste will aber in jugoslawischen Dokumenten klare Hinweise darauf entdeckt haben, dass Grilc damit zu tun hatte.

Auch die Verdächtigungen gegen Filip Warasch, damals Zentralsekretär des Rats der Kärntner Slowenen, hätten sich als „Blödsinn“ erwiesen, so Grilc. Im Oktober 1977 stand Warasch wegen des Verdachts der Anstiftung zu einem Bombenanschlag in Salzburg vor Gericht. Die Bombe, 4,5 Kilogramm Gelatin-Donarit, gab es, aber die Polizei verzichtete auf Spurensicherung. Der von Waraschs Verteidigern Michael Stern und Slowenenfunktionär Franci Zwitter als „Querulant“ hingestellte Kronzeuge Güttler, der Warasch der Anstiftung zum Bombenanschlag bezichtigt hatte, wurde im Gerichtssaal fertiggemacht. Waraschs Sekretärin Maria L. zog vor Gericht ihre bei der Polizei gemachte Aussage, sie habe zum fraglichen Zeitpunkt Güttler angerufen und in Waraschs Büro gebeten, zurück. Sie habe Güttler nie angerufen. Bei dem telefonisch vereinbarten Treffen soll es aber laut Güttler in der Tiefgarage des Warasch-Büros zur Übergabe der Bombe gekommen sein.

Während einer halbtägigen Prozesspause fuhr ich mit Waraschs Sekretärin im Auto nach St. Johann in Tirol, um dort Fritz Egger, den Patriarchen der Egger-Bierdynastie, zu besuchen. Kaum hatten wir das Salzburger Stadtgebiet verlassen, sagte Maria L. von sich aus: „Soll ich dir was sagen? Wenn ich bei meiner Aussage die Wahrheit gesagt hätte, wäre der Lipe (gemeint Warasch) weg gewesen.“

Die Historikerkommission wird auch die Causa Warasch noch einmal beleuchten und im kommenden Jahr einen umfassenden Bericht über ihre Erkenntnisse liefern. Es sieht so aus, als könnte noch einiges ans Tageslicht kommen, von dem die Republik bisher keine Ahnung hatte.