Geldmarkt: Tief-flieger US-Dollar

Geldmarkt: Tiefflieger

Wie die Exportwirtschaft unterm hohen Euro leidet

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Alan Greenspan kann nicht mit den Ohren wackeln. Ein Glück. Der legendäre Chef der US-Notenbank Fed würde damit Kurskapriolen an den Weltbörsen auslösen. Seit 1987 steht Greenspan an der Spitze der Fed, und genauso lange verfolgt die internationale Finanzwelt gebannt das Mienenspiel des „Mr. Dollar“. Greenspan ist ein Hochbegabter, wenn es darum geht, mit vielen Worten wenig zu sagen. Die Zunft der Analysten ist deshalb dazu übergegangen, den Weg der US-Geldpolitik an Greenspans Mimik abzulesen. Da kommt es schon vor, dass ein verzogener Mundwinkel als Signal für höhere Leitzinsen interpretiert wird. Allerdings litt die Treffsicherheit dieser Methode in letzter Zeit unter den zunehmend kauzigeren Einlagen des mittlerweile 78-jährigen Notenbankchefs.

Am Freitagabend vorvergangener Woche hatte Greenspan einen viel beachteten Auftritt in der deutschen Finanzhochburg Frankfurt. Mit dem Resultat, dass in der Woche darauf der US-Dollar gegenüber dem Euro auf ein noch nie da gewesenes Rekordtief krachte. Ein Dollar war gerade noch 75 Euro-Cent wert. Im Gegenzug mussten für einen Euro bereits mehr als 1,33 Dollar bezahlt werden. Hatte Greenspan im Mozartsaal der Alten Oper in Frankfurt Grimassen geschnitten?

Greenspan hatte vielmehr die „kalte Schulter“ gezeigt. Ungewohnt deutlich hatte der mächtige Notenbanker signalisiert, dass die Fed in nächster Zeit sicher nicht eingreifen werde, um die US-Währung gegenüber dem Euro zu stützen. Zwar wird bei jedem offiziellen Anlass weiterhin das Lippenbekenntnis zur „strong dollar policy“ strapaziert, doch wissen alle Beteiligten, dass ein schwächelnder Dollar der US-Volkswirtschaft derzeit weitaus mehr nützt als schadet. Neben dem exorbitanten Budgetdefizit ist auch die US-Handelsbilanz tiefrot gefärbt. Die Amerikaner importieren wesentlich mehr, als sie exportieren, das Handelsbilanzdefizit als wirtschaftspolitisches Sorgenkind wird somit immer größer. Je schwächer nun aber der Dollar ist, desto wettbewerbsfähiger wird die US-Exportwirtschaft, denn die Produkte made in USA werden damit im Ausland immer günstiger und das Handelsdefizit längerfristig kleiner. Die Amerikaner finden den schwachen Dollar daher ganz okay.

Die Europäer sehen das naturgemäß anders, denn im Kampf der Währungen steht Europas Exportwirtschaft an vorderster Front. Ein Produkt, dessen Preis in Euro unverändert bleibt, wird für denjenigen, der in Dollar zahlt, ständig teurer. „Da leiden wir sehr darunter, ein derart schwacher Dollar ist für uns ein riesiges Problem.“ Das sagt Klaus Darbo vom gleichnamigen Marmeladen- und Fruchtsirupproduzenten aus Tirol. Darbo liefert seit 20 Jahren in den US-Markt, neben den großen 5-Sterne-Hotelketten sind die Fruchtikus-Produkte auch in tausenden Feinkostläden in den USA zu finden. Darbo: „Wir mussten unsere Dollar-Preise bereits um zehn Prozent erhöhen und rechnen gerade, ob wir zu Jahresbeginn nicht noch einmal teurer werden müssen.“

Gegenüber seinen US-Kunden darf Darbo den Bogen nicht überspannen: „Wir können uns ja nicht aus dem Markt schießen“, stimmt der Chef seine Preispolitik penibel ab, „es wäre schlimm, den US-Markt aufzugeben.“ Zumal Darbo das Problem damit nicht los wäre. In mehr als 60 Länder exportiert das Traditionsunternehmen, „der starke Euro macht uns dabei auch in Fernost zu schaffen“, schildert Darbo.

Spekulanten. Um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften nicht zu belasten, haben sich die asiatischen Notenbanken erfolgreich gegen die Aufwertung ihrer Währungen gegenüber dem US-Dollar gestemmt. Bloß der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, beschränkte sich bislang auf das fragwürdige Instrument der verbalen Intervention, indem er die starken Wechselkursschwankungen wiederholt als „brutal und unerwünscht“ geißelte. Der Dollar verlor gegenüber dem Euro innerhalb von nur zwei Jahren satte 30 Prozent an Wert. Klaus Darbo: „Kurzfristige Ausschläge können geschluckt werden, aber die Fachleute sagen, dass uns die Dollar-Schwäche noch länger begleiten wird.“

Einer dieser Experten ist Gerhard Winzer, Devisenspezialist bei der Bank Austria Creditanstalt (BA-CA). Winzer geht in seiner Langzeitprognose davon aus, dass ein Euro mit Ende 2005 etwa 1,35 Dollar kosten wird. „Es gibt 100.000 Variablen, die einen Wechselkurs bestimmen“, erklärt Winzer, „trotzdem ist es leichter, eine Langzeitprognose zu erstellen, als kurzfristige Schwankungen vorherzusagen.“ Der rasante Absturz der US-Währung seit Mitte Oktober etwa „kam absolut überraschend“. Eine riesengroße Spekulationswelle schwappe gerade über die Devisenmärkte. Jene Spekulanten, die bis vor wenigen Wochen den Ölpreis auf ständig neue Rekordniveaus getrieben hatten, wetten nun angeblich auf einen weiter fallenden Dollar. Winzer: „Deren Devise lautet: Dollar verkaufen gegen alles.“ Um Kasse zu machen, müssen die Spekulanten den abgestürzten Dollar dann wieder im großen Stil, aber eben weitaus günstiger zurückkaufen. Winzer: „Mit dem Resultat, dass sich die US-Währung kurzfristig wieder erholen kann.“

Absicherung. Zwar bieten Banken den Exportunternehmen mittlerweile eine breite Palette an so genannten Hedging-Produkten, die eine Versicherung gegen unerwünschte Wechselkursverluste darstellen. Aber erstens kosten diese „Währungswetten“ Geld, und zweitens stellen sie keine strategische Lösung des Problems dar. An eine solche denkt Stefan Pierer, maßgeblicher Eigentümer des Motorradbauers KTM. In Nordamerika verkauft KTM jährlich Motorräder im Wert von 100 Millionen Dollar, das ist ein Viertel des gesamten KTM-Umsatzes: „Wir sind somit extrem abhängig vom Dollar-Kurs. Ein Durchtauchen der Dollar-Schwäche kann nicht funktionieren“, weiß Pierer. „Bis Oktober 2005 sind wir noch gehedgt.“ Spätestens dann aber soll die strategische Lösung des Problems greifen: Pierer plant ein Joint Venture für die Fertigung von KTM-Motorrädern in den USA. „Wir müssen Wertschöpfung in den Dollar-Raum verlagern, denn der Dollar wird schwach bleiben.“

Das KTM-Joint-Venture wird die Montage der für Nordamerika bestimmten Motorräder übernehmen. Im KTM-Stammwerk in Mattighofen würden deshalb keine Arbeitsplätze verloren gehen, versichert Pierer: „Wir bauen in Mattighofen ja gerade aus, vielleicht stellen wir nur etwas weniger zusätzliche Mitarbeiter ein.“ Der KTM-Chef will freilich auch die Vorteile des schwachen Dollars nutzen – und verstärkt im US-Raum einkaufen: „Zubehör, Ersatzteile, mehr geht nicht“, bedauert Pierer, dass am US-Markt kein potenter Motorenlieferant auszumachen ist. „Mit einem Harley-Motor kannst nichts anfangen.“

Julian Wagner hat es da ungleich besser. Der Chef des österreichischen Feuerwehrfahrzeug-Spezialisten Rosenbauer kann dem schwachen Dollar eine stark positive Seite abgewinnen. Rosenbauer produziert in den USA das Fahrgestell für das Flughafen-Löschfahrzeug Panther. Der Panther wird auch auf Europas Flughäfen eingesetzt, der günstige Einkauf der Fahrgestelle schlägt sich positiv zu Buche. Auch beim Ternitzer Ölfeldausrüster SBO wird demnächst ein neues Werk im Dollar-Raum eröffnet. SBO-Chef Gerald Grohmann zahlt dann der Mehrheit seiner 600 Mitarbeiter den Lohn in Dollar aus.

Zu teuer. Der Absturz der US-Währung bringt aber auch in Europa Vorteile. So wurde der Preisanstieg an den Zapfsäulen gedämpft, weil Rohöl in Dollar gehandelt wird. Ebenso wie Titan. Ein regelmäßiger Titankäufer findet sich im steirischen Bruck an der Mur, wo der Rennsportausrüster Pankl Racing Systems Pleuel und Kurbelwellen herstellt. Die High-Tech-Produkte finden sich nicht nur in Formel-1-Motoren, auch die Teams der US-Rennserien stehen auf Pankls Kundenliste: „Wenn der Dollar weiterhin so schwächelt, werden wir für unsere US-Kunden zu teuer“, erläutert Pankl-Finanzvorstand Wolfgang Plasser. Weil Pankl die Kunden nicht an seine amerikanischen Mitbewerber verlieren will, „werden wir uns also irgendwann von unseren Preisvorstellungen verabschieden müssen“, so Plasser.

Die logische Konsequenz: Die Gewinnmargen schmelzen dahin. Sinken die Gewinne, dann sinkt auch die Investitionsbereitschaft der Unternehmen. Ein Szenario, das aus dem Konjunkturtief der letzten Jahre bestens bekannt ist. Killt also der schwache Dollar den zaghaften Wirtschaftsaufschwung in Euro-Land?

Nur zehn Prozent aller Waren und Dienstleistungen der EU gingen 2003 in den Export. Eine vernachlässigbare Größe? „Keineswegs“, erklärt Markus Marterbauer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo): „Weil die Binnennachfrage stagniert, lebt Europa nur vom Export.“ Die ohnehin schwachen Wachstumszahlen sind ausschließlich der Exportwirtschaft zu verdanken. Ob das Wifo die Wachstumsprognose angesichts der hartnäckigen Dollar-Schwäche nach unten revidieren muss, steht noch nicht fest. Auf jeden Fall sei der Problematik mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Marterbauer: „Wir diskutieren zwar ständig über Arbeitszeiten und Lohnkosten, ich mache mir derzeit aber mehr Sorgen um die Euro-Aufwertung.“