In der Hitze des Geschlechts

Gender-Debatte. Eine zornige Männerbewegung tritt auf den Plan

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Neulich im österreichischen „Tatort“: Moritz Eisner, ohnehin längst alles andere als ein dynamisches Aushängeschild für die Testosteron-Fraktion, lässt seinen Tränen in einer Spitalsambulanz freien Lauf. Dann sagt der Kommissar mit sehr kleiner Stimme: „Ich bin zu alt, zu dick und zu blöd.“

Man möchte nicken und sich in der Folge schaudernd abwenden, traut sich dann aber doch nicht. Schließlich ist man Mitglied jener Post-Schwarzer-Dohnal-Greer-Generation und den Herren seit Jahrzehnten mit Forderungen nach Mut zum Gefühl, Abbrechen der Schweigemauer, gemeinsamem Weinen im Kino und runtergeklappten Klodeckeln auf den Wecker gefallen.

Jetzt haben sie den Gefühlspanzer gegen Strickjacken ausgetauscht, und auch das geht eigentlich gar nicht. Wie undankbar wir doch eigentlich sind!
Elendsverschärfend wirkt in diesem Fall noch die Tatsache, dass Darsteller Harald Krassnitzer einen nicht sehr vorteilhaften Verband über seiner Nase trägt. Den Nasenbruch hatte er durch eine Kopfnuss vom Inkasso-Heinzi erlitten. Und von diesem Kleinganoven (Simon Schwarz), der wie aus dem Schwarzbuch des Feminismus entsprungen scheint und überdies seine ansonsten toughe Kollegin Bibi Fellner, gespielt von Adele Neuhauser, regelmäßig in die Wehrlosigkeit vögelt, schmerzt eine Niederlage natürlich umso mehr.

Die Sendereihe „Tatort“, inzwischen im 42. Jahr ihres Bestehens, war seit jeher ein verlässlicher Seismograf für gesellschaftliche Befindlichkeiten. Und jene Szene, noch dazu mit Sabine Derflinger von der ersten Regisseurin eines österreichischen „Tatorts“ inszeniert, wirkt wie ein deprimierendes Indiz für jene Debatte, die seit Wochen Feuilleton und Talkshows in den deutschsprachigen Medien emotionalisiert und im Vorfeld zum „Equal Pay Day“ (siehe Titelgeschichte Seite 16) erneut hochschwappte.

Es begann eigentlich alles ganz harmlos. Die Autorin Nina Pauer, geboren 1982, ansonsten auf Weltschmerzanalysen der Generation Praktikum abonniert („Wir haben keine Angst“), stellte in der „Zeit“ eine Klagemauer gegen „die Schmerzensmänner“ auf, die verlernt hätten, „fordernd zu flirten“, und stattdessen einen auf „einfühlsamen Freund“ machten. Versteckt hinter einer Hornbrille, geschützt von einer Wolljacke, lehnen diese modernen Varianten des Waschlappens oder Weicheis in Umklammerung eines Biers (passender wäre natürlich eine Ingwer-Bionade) an dunklen Großstadttresen, hören Mädchenmusik und wollen „reden, immer wieder, besprechen, wie man seine Unsicherheit therapieren könnte“. Und damit nicht genug: Der „Weepie“ („The Weepies“ sind nämlich die Lieblings-Kombo dieser Jammerfigur) „denkt und fühlt und leidet und zieht sich innerlich in eine Hütte im Wald zurück, um seine Trauer zu artikulieren“.

Zuungunsten welcher lieben Traditionen eigentlich? Mutig von der Liane zu plumpsen und sich zu Tarzan-Faustschlägen auf die Brust und Urschreien beherzt dem nächsten Weib zu nähern?

Klar doch, man muss für die Generation Nina Pauer Nachsicht aufbringen. Die Frauen, die noch im Hinterzimmer einer „Engelmacherin“ eine Schwangerschaftsunterbrechung durchführen lassen mussten und Ehemänner hatten, die auch die juristische Bezeichnung „Haushaltsvorstand“ trugen, kennt sie allenfalls aus dem History-Channel und Soziologie-Workshops. Alice Schwarzer und die Debatten über klitoralen und vaginalen Orgasmus sind für die Nina Pauers des frechen weiblichen Feuilletons so retro-skurril wie die „Waltons“.

Wirklich erstaunlich ist jedoch, dass diese flapsige Polemik einen veritablen ideologischen Flächenbrand nach sich zog. Und zwar nicht etwa in bonbonfarbenen Girlie-Zeitungen – in etablierten Denkstellen wie dem „Spiegel“ und der „FAZ“ entspann sich ein Diskurs, der inzwischen so démodé erscheint wie Che-Guevara-Poster oder lila Latzhosen. Die Debatte ist im Grunde auf die so einfache wie anachronistisch anmutende Fragestellung zu reduzieren: „Wie viel Macho braucht der Softie denn jetzt, um vom Postfeminismus irgendwie ernst genommen zu werden?“

In die situative Hitze platzte zu einem Zeitpunkt, der von keiner PR-Agentur besser ersonnen hätte werden können, der deutsche Schriftsteller Ralf Bönt mit seinem „notwendigen Manifest für den Mann“, das den dramatischen Titel „Das entehrte Geschlecht“ trägt. Der verheiratete Bönt (siehe Interview) hat ein sanftes Gesicht und zwei süße Söhne, mit denen er gern jenseits des Vaterschafts-Pflichtprogramms viel Zeit verbringt, um eine richtige Liebesbeziehung entwickeln zu können. Bravo! Denn nichts anderes haben wir uns eigentlich von den Vätern unserer Kinder gewünscht, Herr Bönt.

Als Galionsfigur eines neuen Antifeminismus wirkt der 48-jährige Physiker und Schriftsteller rein optisch völlig ungeeignet. Dennoch finden sich in seinem Pamphlet auch jene gefährlichen Verallgemeinerungen, die man – völlig zu Recht – dem Hardcore-Feminismus über Jahrzehnte zum Vorwurf gemacht hat. Das „betonierte Opfer-Täter-Schema“, das Bönt als so schädliches Nebenprodukt eines „aggressiven Feminismus“ klassifiziert, bedient er in seiner Kampfschrift ­eigentlich genau so, indem er den Spieß einfach umdreht.

„Der Mann wird immer öfter behandelt, als sei er wunderlich, blind, aufgebläht und entstellt“, steht da in etwas überdrehtem Pathos zu lesen, „die Rolle des Mindermenschen wird ihm zugewiesen, und das Merkwürdige ist: Er nimmt das in der Regel gleichmütig hin.“ Frauen hielten ihre Männer von den gemeinsamen ­Kindern fern und teilten ihnen allenfalls die Rollen von Störenfrieden zu. An anderer Stelle stellt Bönt eine 3-Punkte-Forderung auf: „Wir brauchen ein Recht auf karrierefreies Leben, das Recht auf Krankheit jenseits der Vorwürfe von Hypochondrie und Fühllosigkeit und das Recht auf geehrte Sexualität jenseits von Ablehnung, Diffamierung, Kapitalisierung und Kriminalisierung.“ Geht klar, sollte nämlich, geschlechtsunspezifisch, für alle Menschen gelten. Im Interview räumt Bönt ein, dass mit harmlosen, nicht zu­gespitzten Thesen natürlich keine „Diskurswippe“ in Gang zu bringen sei und weder der Macho noch der Softie erstrebenswerte Männlichkeitskonzepte präsentierten: „Beide sind Muttersöhne, und beide haben Probleme mit ihrer Männlichkeit.“

Irgendwie erinnert die gesamte „Diskurswippe“ an eine grausame Zeitreise in einen genderideologischen Jurassic Park. Nahezu idente Debatten werden seit über 30 Jahren geführt. Nach den großen Etappensiegen von Fristenlösung und Familienrechtsreform ging es in der Zeitgeistpublizistik ab 1980 im Wochentakt um „das neue Mannsbild“, „knallzarte Männlichkeit“, „die Rückkehr der Alphamänner“ oder „das Revival der wilden Kerle“. Nach der Proklamation des Sensibelchens wurde in einem Sicherheitsabstand mit regelmäßiger Vorhersehbarkeit mehr Testosteron eingefordert. Wie im Gezeitensystem der Mode und ihren Rocklängenwechseln musste auch die Trendmaschinerie der Geschlechter mit Klischeewachablösen am Rotieren gehalten werden.

Parallel dazu formierte sich in den neunziger Jahren eine Krisenindustrie, in der sich Therapeuten, Psychologen und Soziologen den vom Wirbelwind des Feminismus zerzausten Mann zur Brust nahmen, um ihm Trost und Ratlosigkeit zuzusprechen. Die Starkmacherbewegung wurde vom amerikanischen Lyriker Robert Bly ins Leben gerufen. In seinem Thesenbuch „Eisenhans“ forderte der Mann, der die Aura eines schrulligen Botanikprofessors verströmt, 1990 eine Rückkehr zu den Werten des Kriegers, Königs und „wilden Manns“. Der Erfolg des Buchs hatte zur Folge, dass sich sowohl gestresste Manager wie Softie-Veteranen in so genannten „Wild Men“-Seminaren zusammenrotteten, um bei Tänzen um ­Lagerfeuer ihrer verloren gegangenen Virilität wieder auf die Sprünge zu helfen. Die Rückbesinnung auf einen vom Feminismus gesäuberten Biologismus machte auch wenig später den texanischen Paartherapeuten John Gray zum Multimillionär. Aus seiner dürftigen Theorie „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“ zimmerte er ein ganzes Imperium – Bücher, Seminare, DVDs halten die Marketing-Walze zum großen Unterschied zwischen den Geschlechtern bis heute am Dampfen.

Doch auch aus dem Feindeslager bekam der verstörte Mann Unterstützung. Die US-Feministin Susan Faludi öffnete mit ihrem Wälzer über die krisengebeutelte Männlichkeit „Das betrogene Geschlecht“ um die Jahrtausendwende die Büchse der Pandora. Als Ursache für den Betrug ortete Faludi im profil-Interview „einen großen ziellosen Zorn, der in eine Frustration übergeschwappt ist“. Denn nach seinem Selbstverständnis sehe sich der Mann noch immer in der Rolle des Ernährers und Versorgers, zapple aber gleichzeitig in den von der Frauenbewegung geforderten Gefühlskategorien. Aus diesen Zerreißproben entstehe das männliche Dilemma.

Mehr als ein Jahrzehnt später hat sich in den Argumentationsketten nichts bis wenig geändert. Die Mann-versus-Frau-Debatte dreht sich im Kreis und wird de facto immer kleinlicher. Wenn die Frauenfraktionen gleiches Geld und mehr Macht beanspruchen, schießen die Männerbewegten mit dem späteren Pensionsantritt, dem Wehrdienst, dem erhöhten Herzinfarktrisiko und der geringeren Lebenserwartung zurück. Oder sie fordern, dass Frauenhäuser geschlossen und stattdessen geschlechtsunspezifische Gewaltopferzentren ins Leben gerufen werden, wie das der deutsche Männerforscher Gerhard Amendt tat.

Die Geschlechterdebatte ist zu einem vom buch­halterischen Kleingeist getragenen Schlagabtausch verkommen. „So viel Geschlecht war noch nie“, stöhnt der „Zeit“-Autor Adam Sovoczynski. „Man möchte angesichts dieser penetranten Beschäftigung mit unserer biologisch-kreatürlichen Verfasstheit nur mehr erröten.“ Ein neuer kalter Krieg scheint die unweigerliche Konsequenz dieser atmosphärischen Verschärfung zu sein.
In der Hitze des Gefechts haben Männer wie Frauen aber vergessen, dass die gesellschaftliche Realität längst andere Prioritäten setzt. Angesichts der verschärften Wirtschaftslage und eines in die Knie gehenden Mittelstands wird der Geschlechterkrampf von einem neuen Klassenkampf verdrängt werden.

„Es ist wahrhaft lächerlich“, so die französische Elitefeministin Elisabeth Badinter in einem profil-Gespräch, „dass wir im 21. Jahrhundert noch immer über Stillzeiten und Väterkarenz verhandeln. Innerhalb der privilegierten Schichten haben Männer und Frauen doch längst die annähernd gleichen Möglichkeiten. Die wahren tektonischen Verschiebungen finden nicht mehr zwischen den Geschlechtern, sondern den sozialen Schichten statt. Dorthin wird sich die Kampfzone in naher Zukunft verlagern.“

Lesen Sie außerdem im profil 14/2012: Männer als tragische Opfer der Verhältnisse. Der deutsche Schriftsteller Ralf Bönt im Interview mit profil.