Georg Hoffmann-Ostenhof

Genfood, bitte!

Genfood, bitte!

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In einem Restaurant im Zentrum von Schanghai in der Nanjing West Road: Die Kellner gehen mit großen Spießen umher. Auf einem sind Steak-Stücke aufgereiht, auf dem anderen Würste, auf einem weiteren Leber und andere Innereien. Nickt der Gast, wird ihm ein Stück vom Spieß auf den Teller geschoben. Beilage muss extra bestellt werden. Das tut aber kaum einer. Die Leute wollen Fleisch essen, und zwar viel davon. Das ist kein Nobelrestaurant für die ganz Reichen. Der – meist junge – urbane Mittelstand Chinas greift da kräftig zu – mit sichtbarer Freude und demonstrativem Stolz. Kein Wunder: Durch Jahrhunderte konnte sich die überwältigende Mehrheit der Chinesen Fleisch nicht leisten. Die tägliche Mahlzeit bestand nur aus Reis, die Wohlhabenderen machten diesen mit ein wenig Gemüse schmackhaft, die Armen würzten ihn bloß mit Chili. Ein wenig Fleisch gab es maximal zum Neujahrsfest.

Seit ein paar Jahren kann auch der durchschnittliche Chinese seinen Fleischhunger stillen. Und das drückt sich in Zahlen aus: Innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre schnellte der Fleischkonsum pro Person von 22 Kilo jährlich auf 55 Kilo hoch. Und noch immer essen wir Westler doppelt so viel totes Tier wie die Menschen im Reich der Mitte. (Dazu kommt noch, dass die Chinesen begonnen haben, Milch zu trinken, was bis vor Kurzem ein unbekannter Genuss war. Die Regierung in Peking propagiert inzwischen Schulmilch für alle Kinder.) Wenn man nun bedenkt, dass für die Produktion von einem Kilo Fleisch der Input von 20 Kilo Getreide (Futtermittel) nötig ist, dann wird klar, woher die gewaltigen Preissteigerungen für Lebensmittel kommen. Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas, aber auch Indiens, der gewachsene Wohlstand in diesen bevölkerungsreichsten Ländern der Welt, produziert so paradoxerweise und indirekt den Hunger anderswo – dort, wo die Armen sich die Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten können: Innerhalb der vergangenen drei Jahre haben sich die Preise verdoppelt.

Natürlich ist das nicht die einzige Ursache der Lebensmittelkrise. Auch die explodierenden Preise für Energie treiben jene für Getreide in die Höhe. Dass immer mehr Anbauflächen für die Biospritproduktion verwendet werden – allem Anschein nach wirtschaftlich wie ökologisch eine Sackgasse –, verknappt zudem das Angebot an Lebensmitteln. Die grundlegend verfehlte Agrarpolitik der reichen Indus­trieländer hat auch Schuld. So sieht es zumindest die Welternährungsorganisation FAO: Die heimische Landwirtschaft wurde großzügig subventioniert. Der Norden konnte billig exportieren, was im Süden vielfach den Ruin der dortigen Agrarökonomie bedeutete. So erlebte die Dritte Welt eine gewaltige Landflucht. Eine Milliarde Hektar an Agrarflächen liegen nach Angaben der FAO brach. Die Lage kann dramatischer nicht sein: Die Preissteigerungen für Lebensmittel bezeichnet das World Food Programm WFP als „silent Tsunami“, der mehr als 100 Millionen Menschen mit dem Hungertod bedroht.

Die Hungerrevolten, die nun allerorten ausbrechen, haben die internationale Gemeinschaft aufgeweckt. Sie ist sich bewusst geworden: Um das Ärgste zu verhindern, müssen jetzt die Hilfsgelder massiv aufgestockt werden. Nur so kann kurzfristig eine menschliche Megakatastrophe verhindert werden. Mittelfristig gilt es aber einen radikalen Politikwechsel in die Wege zu leiten: Ein weiterer massiver Abbau der Agrarsubventionen in den reichen Ländern der EU und Nordamerikas ist dringend nötig. Gleichzeitig muss sich die Entwicklungspolitik grundlegend umorientieren. Sie muss darauf ausgerichtet werden, die weitgehend zerstörte Landwirtschaft in den Ländern der Dritten Welt zu rekonstruieren, die dortige lokale Agrarproduktion zu fördern und zu modernisieren.

Ob all das aber auf lange Sicht ausreichen wird, die Lebensmittelpreise wieder auf ein erträgliches Maß zurückzubringen, wird von vielen Experten bezweifelt. Der Lebensstandard in China, Indien und anderen sogenannten Schwellenländern wird weiter steigen. „Was, wenn wir in der Zukunft tatsächlich an die Grenzen des Wachstums der Nahrungsproduktion stoßen?“, fragt bange der amerikanische Star-Ökonom Paul Krugmann. Sind die guten Zeiten mit den billigen Lebensmitteln endgültig vorbei? Das muss nicht so sein: So wie die „grüne Revolution“ der sechziger Jahre – neue Getreidezüchtungen und die Anwendung von Kunstdünger – die Ernteerträge pro Hektar vervielfacht hat, so könnte doch ein neuerlicher Schub technischer Innovationen eine ebensolche wunderbare Lebensmittelvermehrung bringen. Die Gentechnologie, die bislang bereits Nutzpflanzen gegen Schädlinge und Pes­tizide resistent machen kann und in Zukunft den Anbau auf bisher unfruchtbarem Boden ermöglichen wird, könnte eine neue „grüne Revolution“ in Gang setzen. Die jetzige Preisexplosion ist jedenfalls dazu angetan, die weit verbreitete Abwehr gegen diese Technologie abzuschwächen. In Europa – vor allem auch in Österreich – herrscht ja der wissenschaftlich kaum fundierte parareligiöse Glaube vor, ­Gentechnologie in der Landwirtschaft sei ein unstatthafter und schädlicher Eingriff in die Natur.

„Country Life“, das beschauliche Magazin für das idyllische Landleben in England, hat jüngst einen Schwenk gemacht und propagiert angesichts der Lebensmittelkrise eine gentechnologische Wende. Das Editorial des britischen Blattes schließt mit einer Warnung: „Kommende Generationen würden uns für verrückt oder verbrecherisch halten, nicht auf die Gentechnologie gesetzt zu haben.“ Damit dürfte „Country Life“ Recht haben.