Genies oder Idioten?

Genies oder Idioten?

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Durch einen fruchtbaren Freundeskreis komme ich mit vielen Kindern, Jugendlichen und halbreifen Halberwachsenen zusammen. Weitere Kontakte ergeben sich durch Vorlesungen an Hochschulen und die löblich wachsende Zahl von Vortragsdiskussionen in Unternehmen und fortschrittlichen Gemeinden.

Ob die Anzahl meiner Jugendkontakte für signifikante Erkenntnisse reicht, weiß ich nicht. Wahrscheinlich ja, soweit es um die gut ausgebildete, ehrgeizige und privilegierte Jugend geht. Einige Beobachtungen dürften schon deshalb korrekt sein, weil ihre Häufigkeit und Kongruenz verblüffen. Zwei greife ich heraus, eine positive und eine negative.

Positiv: Ich sehe keinen Grund, uns vor einer Zukunft zu fürchten, die demnächst von der heutigen Jugend gestaltet werden wird. Man spürt eine beachtliche Frische, eine glückliche Mischung von Neugier, Energie und Ehrgeiz, die sich vielleicht nur Erwachsenen erschließt, die Geduld aufbringen und eher zuhören als reden.

Das fällt Vätern traditionell schwer. Meist halten sie (wie schon ihre Väter, Großväter und Urgroßväter) die eigene Generation für die letzte erstklassige, die nächste Generation hingegen für die erste letztklassige, die alles zerstören wird, was man nobel aufgebaut. Die Mütter waren da ohnehin immer anderer Ansicht. Fast durchwegs halten sie mehr von den Kindern als von ihren alternden Männern.

Die Angst vor der nächsten Generation ist immer primitiv gewesen, da sie durch die immer gleichen und falsch verstandenen Signale ausgelöst wurde. Beispielsweise durch eine neue Bündelung von Teilintelligenzen; durch zeitgemäß angepasste, neue Zivilisationstechniken; durch neue Sprache; durch neuen Kunstgeschmack; ganz generell durch neue Zeichen und Chiffren. Diese haben immer den Zweck gehabt, die Erwachsenen aus der Kommunikation auszuschließen oder, Höhepunkt des Entzückens, sie in ein erkennbares Entsetzen zu werfen. Der Kampf der jungen Löwen gegen die alten Löwen setzt früh ein und ist evolutionstechnisch eine feine Sache.

Unverständige Erwachsene, die diese Automatik nie durchschauten, erkennt man heute beispielsweise an Folgendem:

Sie entsetzen sich daran, dass die Kinder zwar perfekt den Computer beherrschen (was eine anspruchsvolle Sache ist, die viele Erwachsene überfordert), aber nicht mehr so toll Wurzelziehen können wie frühere. Sie beklagen die vielen englischen Wörter im heiligen Deutsch und überhaupt eine Zerstörung der Sprache durch Kinderwörter wie urgeil und megafett. Sie beklagen die Infantilität heutiger Helden, wie sie in „Harry Potter“, in „Herr der Ringe“ und in vielen Konsolen-Games auftreten. Diese sind freilich nur Zeugen einer Wiederkehr der Märchen, Kompensation für eine kühlere Elternwelt.

Negative Beobachtung: Die Jugendlichen reagieren desinteressiert und ablehnend, in Einzelfällen sogar aggressiv auf einzelne Themen, die für bemühte Erwachsene wichtig sind.

Nach meiner Beobachtung langweilen historische Fragen der weltlichen und kirchlichen Aufklärung.

Ganz besonders „am Arsch vorbei“, wie mir jüngst eine Gruppe von Studenten versicherte, gehe ihnen die fortwährende Diskussion über Vergangenheitsbewältigung und Nationalsozialismus: „Das ist eure Sache. Mit euren Fehlern solltet ihr untereinander fertig werden. Das Wichtigste daran haben wir sowieso mitgekriegt. Uns interessieren die Verbrechen und Probleme der Gegenwart, beispielsweise der Regenwald, die globale Erwärmung, die Globalwirtschaft und die Ölkriege; ob wir ein Recht haben, Atommüll auf dem Mars zu lagern; im Übrigen wüssten wir auch gern ganz egoistisch Bescheid, wie nach Matura und Doktorat die Anfangsgehälter aussehen und ob wir für die Fehler unserer Alten mit noch höheren Steuern und Sozialabgaben bestraft werden. Uns interessiert die Zukunft, über die keiner mit uns spricht, nicht die Vergangenheit, mit der wir ständig zugemüllt werden.“

Darauf richtig zu reagieren wird nicht einfach sein. Einerseits bleibt aufrecht, dass ohne Vergangenheitsbewältigung kein besseres Zukunftsbild gewonnen werden kann. Anderseits kann nicht ausgeschlossen werden, dass jene Studentin Recht hatte, die sagte: „Der fortwährende, frontale Betroffenheitskult ist kontraproduktiv. Manche Burschen spielen bewusst Neonazis, nur um die alten Langweiler zu schrecken. Die inflationären Kriegsbilder haben jeden Schrecken entwertet.“

Interessant war dann allerdings, was zu Themen wie Krieg und Nationalsozialismus noch kam. Grob vereinfacht: Man sei schon berührt worden, aber nicht durch Lehrer, Historiker, Zeitungen, TV-Diskussionen oder die hundertste Kranzniederlegung in Mauthausen, sondern durch Kunstwerke. Durch Bücher wie „Im Westen nichts Neues“, „Die Blechtrommel“ und „Der Vorleser“, durch Musicals wie „Cabaret“, Theaterstücke von Bernhard und Turrini und Filme wie „Das Leben ist schön“ und „Schindlers Liste“.

Nehmen wir einmal an, dies wäre richtig. Dann wäre es nicht nur eine Ohrfeige für manche Medien und Mediatoren. Man müsste dann auch die Kunst dramatischer in den Unterricht einbeziehen.