Georg Baselitz: Maler- fürst und Einsiedler

Georg Baselitz - Malerfürst und Einsiedler: profil zu Besuch im Atelier am Ammersee

profil zu Besuch im Atelier am Ammersee

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Von Alexander Bartl

Ein Mann, der eigentlich für seine Malerei berühmt ist, kommt plötzlich wegen seines Gartenzauns ins Gerede? Damit hatte Georg Baselitz nicht gerechnet. Lächerlich sei das gewesen, sagt er, im Grunde unerheblich. Trotzdem wirkt der Künstler immer noch ein wenig verstimmt, wenn er davon erzählt. Bis heute versteht er die Leute aus der Gegend nicht, die gegen den Sicherheitszaun vor seinem neuen Domizil am Ammersee protestierten: Mit solchen Methoden schütze man allenfalls Botschaftsgebäude in Kabul, im beschaulichen Bayern sei die Aufrüstung fehl am Platz. Weil Baselitz aber kein rebellischer Haudegen mehr ist, sondern Malerfürst von Weltrang, reagierte er ausnahmsweise besonnen. Er entfernte den Maschendraht und beschloss, sich hier trotzdem wohlzufühlen.

Seine durchgestylte Bleibe am See ist eine Maßanfertigung der renommierten Schweizer Architekten Herzog & de Meuron. Sie bauten dem Meister gleich vier Häuser auf das hügelige Grundstück: eines zum Wohnen, eines zum Malen, eines für Druckgrafiken und eines für seine Sammlung afrikanischer Kunst. Könnte alles noch größer sein, findet Baselitz, aber er hat sich damit arrangiert.

Im Hintergrund glitzert der See unter einem makellosen Himmel, im Vordergrund hat sich die Laune des Künstlers merklich aufgehellt. Lächelnd öffnet er sein Atelier, ein mit gerippten Dachplatten verschaltes Kunstrefugium. Zum karierten Hemd trägt er eine braune Cordhose und Filzpantoffeln, die mit Farbspritzern übersät sind, als hätte sich Action-Painter Jackson Pollock darauf verewigt.

„Vorsicht, es tropft“, sagt der Baselitz. Das ist untertrieben: Vom Dach plätschert literweise Schmelzwasser. Dem Haus fehlt die Dachrinne, denn für ein derart prosa­isches Zugeständnis an den Komfort waren die Stararchitekten nicht zu haben. Insofern versinnbildlicht das Gebäude genau das, worauf es dem Hausherrn stets ankam: „Ich bin ja ständig dabei, irgendetwas zu machen, wovon ich sage: Jetzt hast du ein Kunstwerk geschaffen, das absolut unverkäuflich ist. Kein Mensch will das haben, weil es so blöd ist.“ Mit Bildern an ästhetischen Konventionen zu rütteln, fiel ihm früher leichter. Neben Gerhard Richter und Sigmar Polke gehört Baselitz längst zu den bedeutendsten deutschen Gegenwartskünstlern, die Millionen-Grenze durchbrechen seine Arbeiten bei Auktionen inzwischen regelmäßig. Die einst revolutionäre Idee des Malers, Bilder so zu gestalten, als stünden sie auf dem Kopf, hat sich über die Jahre in ein zugkräftiges Markenzeichen verwandelt.

Das Atelier am Ammersee betritt man über eine Empore auf halber Raumhöhe. Unten, in der Werkstatt, lehnen frische Bilder mit verschwenderisch aufgetragenen Farben an der Wand. Aber hier oben dominiert das Filigrane: Um einen ovalen Tisch stehen grazile Holzsessel in dänischem Design. Ein Hinweis auf die zarte Künstlerseele, die der Hausherr in seinen wuchtigen Bildern verleugnet? Doch das Mobiliar ist stabiler, als es aussieht, und der Künstler grüblerischer, als man zunächst vermutet. „Sie dürfen nicht annehmen, dass ich genügsam geworden bin“, erklärt er. Andere setzen mit 71 Jahren gefällige Spätwerke auf die Leinwand. Nichts wäre für ihn fataler. Schließlich ist die Welt kompliziert, die Kunst erst recht, und als Mensch war Baselitz ja auch nie besonders einfach.

Irritation. Wenn ihm das Salzburger Museum der Moderne ab Ende dieser Woche eine Retrospektive widmet (siehe Kasten), könnte man sich als Maler schon ein bisschen geschmeichelt fühlen. Nicht aber Baselitz, der darin eine schwere Prüfung sieht: „Bei Retrospektiven gibt es immer eine gewisse Irritation: Man sieht Bilder wieder, von denen alle behaupten, dass das die besten seien. Und die liegen dann dreißig Jahre zurück. Wie soll man sich solchen Werken gegenüber verhalten?“ Das hört sich überspannt an, aber ganz falsch liegt Baselitz damit nicht. Er wehrt sich dagegen, als Klassiker abgehakt zu werden, ist nach wie vor enorm produktiv. Wenn nun aber sein Publikum an den Highlights seiner Karriere entlang defiliert, dann könnten seine aktuellen Produktionen, so fürchtet er, zu kurz kommen. Das klingt, als wollte er aus seinem eigenen Schatten treten.

Mit seiner „Remix“-Serie, in der er seit 2005 frühe eigene Meisterwerke neu interpretiert, hat Baselitz begonnen, sich selbst herauszufordern: Der nunmehr reife Künstler tritt gegen den jungen Wilden von damals an; der in der DDR groß wurde und wegen „gesellschaftspolitischer Unreife“ von der Ostberliner Kunsthochschule flog. So übersiedelte er 1958 nach West-Berlin, wo er das Publikum mit seiner figürlichen Kunst verstörte. Vom Abstrakten Expressionismus wollte er nichts wissen. „Ich habe schnell festgestellt, dass ich mit allem, was ich sagte und machte, aneckte, das war im Osten so, das war im Westen so“, sagt er. „Dabei lag der Fehler ja nicht bei mir. Ich meine, vielleicht lag er bei mir, aber ich habe immer gedacht, dass die anderen das Problem haben.“ Und das hatten sie auch, spätestens mit der masturbierenden Figur auf dem Skandalbild „Die große Nacht im Eimer“ (1963). So etwas passte nicht in die Wirtschaftswunderwelt mit ihren polierten Limousinen und Jägerzäunen.

Heute zählt das Gemälde zu Baselitz’ Schlüsselwerken. Er habe es übrigens mehrfach neu gemalt – und zwar um einiges besser als das Original, betont er. Aber natürlich wisse er, dass selbst der schönste Ableger nie mehr die gleiche Wirkung entfalten werde wie der skandalumwitterte Prototyp – leider. Seit er mit seinen „Russenbildern“ in den neunziger Jahren sowjetische Propagandagemälde neu interpretierte, ja ironisierte, wählt Baselitz hellere Farben als in seinem verschatteten Frühwerk. Wenn manche aber behaupten, die neue Leichtigkeit deute auf eine Altersmilde hin, dann sei dies grundfalsch. Seine Aggressivität, mit der er sich als Wüterich einst in Szene setzte, habe sich nur verwandelt. Sie richte sich nun gegen die körperlichen Beschränkungen, die ihm das Alter auferlege.

Trotzdem hat Baselitz jede Menge neuer Ideen. Über Otto Dix macht er sich gerade Gedanken und über Sigmund Freud. Das alles müsse schleunigst künstlerisch verwertet werden. Und drüben im Nebengebäude warte ein Holzblock auf ihn, aus dem er eine Skulptur sägen will. Plötzlich schnellt Baselitz aus dem dänischen Sessel und eilt zur Tür, hinaus ins Freie. Draußen hat sich das Licht verändert, Wolken sind aufgezogen und schirmen die Sonne ab. Die Baumreihe hinter dem Haus schneidet das Seepanorama in Streifen – eine Welt in Grautönen. In ganz ähnliche Stimmungen hat der junge Baselitz seine Motive getaucht. Es ist, als gehe man in einem seiner frühen Bilder spazieren, in jenen Werken also, die der Künstler demnächst noch übertreffen will: mit etwas ganz Neuem, Brandaktuellem, mit Kunst, die sich von allem unterscheidet, was er jemals hervorgebracht hat. Georg Baselitz jagt nach seinem nächsten Triumph.

Fotos: Tanja Kernweiss