Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Der deutsche Sonderweg

Der deutsche Sonderweg

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Das ist eine Premiere. Die Regierungen einigten sich in Brüssel, 200 Milliarden Euro in die europäische Wirtschaft zu pumpen, damit sich die Rezession nicht zu einer Depression ausweitet. Eine derartige gemeinsame wirtschaftspolitische Initiative hat Europa bisher nicht gesehen. Damit, kann man sagen, hat Europa ein neues Stadium der Integration erreicht. Wahrscheinlich werden die 200 Milliarden aber zu wenig sein. Es ist abzusehen, dass angesichts der sich beschleunigenden Talfahrt der europäischen Wirtschaft die Dosis der Konjunkturspritze erhöht werden wird. Aber klar ist auch, dass trotz der aktuellen Einigung in Brüssel der Streit in der EU darüber, wie der Krise wirtschaftspolitisch zu begegnen ist, weitergehen wird.

Die Fronten sind klar: Da die meisten EU-Mitglieder unter der Führung von England und Frankreich, die – ob nun konservativ oder sozialdemokratisch geführt – die Auffassung vertreten, jetzt gehe es nicht darum, Haushaltsdisziplin zu üben, man müsse im Gegenteil mit Staatsgeldern den Konsum und damit die Konjunktur wieder in Schwung bringen – auch wenn man sich dabei weiter verschuldet. Dort die Deutschen, die – in splendid isolation – trotz allem weitgehend an ihrem Sparkurs festhalten. Sie versperren sich dem Ansinnen der anderen, mehr Geld in die Hand zu nehmen.

Die Kluft zwischen dem franko-britischen Europa und Deutschland ist tief. Der sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück von der SPD hat am Vorabend des Brüsseler Gipfels Ende der vergangenen Woche die Sau rausgelassen. Da würfen Staaten, die noch bis vor Kurzem penetrant das Sparen propagierten und zum Gürtel-enger-Schnallen aufriefen, plötzlich „mit Milliarden um sich“, ätzte der Deutsche in einem Interview mit „Newsweek“. „Der Wechsel von Jahrzehnten angebotsorientierter Politik hin zu einem krassen Keynesianismus ist atemberaubend.“ Und er spöttelt, die meisten fiskalischen Stimuli, etwa die britische Senkung der Mehrwertsteuer, seien für die Katz: „Würden Sie wirklich einen DVD-Spieler kaufen, weil der nun 39,10 Pfund statt 39,90 Pfund kostet?“ Zwar formuliert Angela Merkel, die konservative deutsche Kanzlerin, nicht so undiplomatisch, aber zweifellos ist sie mit ihrem Vizekanzler Steinbrück im Wesentlichen einer Meinung. In Paris ärgert man sich über die „Madame Non“, die jeweils abwinkt, wenn es darum geht, gemeinsam aktiv gegen die Krise zu agieren. Die noch vor Kurzem allseits als große Europäerin gefeierte deutsche Regierungschefin hat ihren Nimbus verloren: Sie wird zunehmend des nationalen Egoismus geziehen.

Und ganz verfehlt ist dieser Vorwurf nicht. Vor allem wenn man sich ansieht, wie in der deutschen Öffentlichkeit die Regierungspolitik verteidigt wird. Der Tenor der Argumente ist ungefähr folgender: Während wir Deutschen über die Jahre Haus hielten und sparten, haben die anderen auf Pump über ihre Verhältnisse gelebt und geprasst. Jetzt, wo es eng wird, sollen wir die retten? Nee! Und wenn wir den Konsumenten mehr Geld in die Hand geben, wer garantiert uns, dass sie damit deutsche und nicht ausländische Waren kaufen?

Darin mag ja ein Körnchen Wahrheit stecken: Bloß hilft diese national bornierte Sicht wenig in einer weitgehend internationalisierten Welt. Der Exportweltmeister Deutschland ist nun mal die größte und bedeutendste europäische Volkswirtschaft. Und wenn die Menschen da entweder ihr Geld auf die hohe Kante legen oder zu wenig davon haben, um es in die Geschäfte zu tragen – die deutschen Reallöhne sind in den letzten Jahren gesunken –, dann trifft das ganz Europa. Ohne massive Nachfragestimulierung in Deutschland könnte Europa vollends ins Desaster schlittern. Ohne eine gemeinsame Anstrengung, schwächere EU-Volkswirtschaften vor dem Bankrott zu retten, sieht es für alle düster aus.

Warum aber ist Frau Merkel so zögerlich, sich dem politisch aktiven Keynesianismus des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und des britischen Premiers Gordon Brown anzuschließen? Sicher hat Josef Joffe Recht, wenn er in der „Zeit“ schreibt: „Die Deutschen haben aufgrund ihrer historischen Erfahrungen mit Inflation und Zusammenbruch wie wegen ihrer eher vorsichtigen Mentalität einen größeren Vorbehalt gegen Schuldenmachen.“ Das dürfte auch hinter der erstaunlichen Tatsache stehen, dass das Wählervolk inmitten der sich entfaltenden Rezession nach wie vor hinter Angela Merkel und ihrem Kurs der staatlichen Knausrigkeit steht. Ihre Popularitätswerte sind nicht gefallen und jene der Gegner der Regierungspolitik, die lautstark nach „Deficit Spending“ rufen, nicht gestiegen. Nationalistische Gefühle dürften auch mitspielen. Historisch gewachsene Ressentiments rumoren, wenn es um Franzosen und Engländer geht, im deutschen Unbewussten zuhauf.

Dennoch: Der Druck, dem neuen wirtschaftspolitischen Zeitgeist zu folgen – der ja nicht zuletzt wieder einmal in den USA seinen Ursprung hat –, wird sich weiter verstärken. Und nicht nur von außen. In Deutschland selbst hat sich eine seltsame Fronde der Freunde staatlichen Geldausgebens formiert: Sie reicht von den Linken des Oskar Lafontaine und dem linken Flügel der SPD über ehemalige neoliberale Wirtschaftsexperten der konservativen Merkel-Partei CDU bis hin zur bayrischen CSU. Alle drängen darauf, dass auch in Berlin nun endlich wirtschaftspolitisch französisch und englisch – also letztlich europäisch – geredet wird. Der deutsche Sonderweg könnte bald wieder zu Ende sein. In Brüssel ist Frau Merkel Ende vergangener Woche bereits ein wenig eingeschwenkt.

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