Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Die letzte Chance

Die letzte Chance

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Ganz so arg kommt es also doch nicht. Das Schreckenskabinett des Bibi Netanyahu in seiner reinsten Form ist Israel erspart geblieben. Der Chef der rechten Likudpartei wird nicht, wie es lange aussah, allein mit dem araber­hassenden Rassisten Avigdor Lieberman als Außenminister, dessen Kumpanen und einigen rechtsradikalen religiösen Fundis am Kabinettstisch sitzen. Auch der Führer der bei den Wahlen schwer geschlagenen Labour Party, der ehemalige Premier Ehud Barak, wird mit von der Partie sein. Das beschloss die israelische Linkspartei Mitte vergangener Woche. Barak wird wie in der jetzt abtretenden Regierung wieder Verteidigungsminister.
Muss die Welt jetzt aufatmen? Wohl kaum. Gewiss, die israelische Regierung sieht mit Barak und einigen wenigen Labour-Ministern etwas weniger furchtbar aus. Aber ob die schwache Arbeiterpartei in der Regierung ernsthaft mäßigend wirken wird, ist stark zu bezweifeln.

Netanyahu ist strikte ­gegen die Perspektive einer Zweistaatenlösung, zu der sich Israel international verpflichtet hat. In der Regierungsvereinbarung mit Barak steht davon auch nichts drin. Barak ist ein alter Falke. Es ist nicht bekannt, dass er sich je gegen die – völkerrechtlich verbotene – Ausweitung der jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten gestellt hätte. Im Gegenteil. Und hat Barak nicht erst kürzlich als Verteidigungsminister die israelische Armee nach Gaza geführt?
Es war ein Waffengang, der nicht nur das Ziel verfehlte, die radikal-islamische Hamas zu zerschlagen oder zumindest schwer zu schwächen. Die Kriegsführung durch die israelische Armee wird international immer vehementer kritisiert: wegen des Einsatzes von verbotenen Waffen, wegen des brutalen Vorgehens der Soldaten gegen palästinensische Zivilisten. Menschenrechtsorganisationen drohen gar mit einer Anklage wegen Kriegsverbrechen. Israel ist isolierter denn je.

Trotz der Teilnahme Labours an der Regierung Netan­yahu bleibt es dabei: Das wird die rechteste Regierung in der Geschichte Israels. Lasst alle Hoffnung, dass doch noch Frieden zwischen Israelis und Palästinensern möglich wäre, fahren! Das ist der Tenor der internationalen Kommentare.
Dazu kommt noch, dass der Eintritt von Labour in die Regierung die ohnehin schwer marode einst große und stolze Linkspartei vollends ruiniert. Warum sollte irgendjemand diese in Zukunft wählen, wenn die Mittepartei Kadima von Außenministerin Zipi Livni mehr Integrität und Mut gezeigt hat und im Gegensatz zu Labour eine Beteiligung an der Netanyahu-Lieberman-Regierung ablehnt?

Düsterer können die Nahost-Perspektiven also nicht aussehen. Es sei dennoch auch Positives berichtet: Umfragen unter den Palästinensern zeigen, dass eine immer größere Mehrheit den Bruderkrieg zwischen den beiden großen politischen Formationen Fatah und Hamas gründlich satt hat. Der Druck von unten, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, wird immer stärker.

Noch hat Präsident Barack Obama nicht klargemacht, welchen Nahostkurs er einschlagen wird. Aber es zeichnet sich schon ab, in welche Richtung es geht. Ende vergangenen Jahres übergab, so wird jetzt bekannt, Paul Volcker, ein wichtiger Wirtschaftsberater Obamas, diesem ein Papier mit dem Titel „Die letzte Chance für ein israelisch-palästinensisches Zweistaatenabkommen“. Geschrieben wurde es von zehn anerkannten Außenpolitik-Kapazundern beider Parteien, darunter Volcker selbst, die ehemaligen Sicherheitsberater Brent Scowcroft (Republikaner) und Zbigniew Brzezinski (Demokrat) und der einstige Berater von John F. Kennedy, Theo­dore Sorensen. Sie plädieren darin für einen grundlegenden Strategiewechsel. Vor allem der radikal-islamischen Hamas gegenüber soll ein pragmatischer Zugang gewährt werden: Sie „von den Verhandlungen auszuschließen und Gaza zu isolieren hat Hamas nur stärker gemacht“, wird diagnostiziert. Man möge zu einer Versöhnung zwischen Hamas und Fatah ermutigen und klarmachen, dass man mit einer palästinensischen Einheitsregierung verhandeln werde. Auf jeden Fall solle man darauf setzen, die moderaten Hamas-Elemente zu stärken. Demnächst werden die Autoren dieses Papiers mit Obama zusammentreffen. Deren Einschätzungen decken sich zudem mit jenen des Nahost-Beauftragten George Mitchell und des Sicherheitsberaters des Präsidenten, James Jones.

Zwei von drei jüdischen Amerikanern wünschen sich ein starkes Engagement der USA im Nahostkonflikt und würden Verhandlungen mit einer Hamas-Fatah-Einheitsregierung befürworten. Das ergibt eine aktuelle Meinungsumfrage. Eine starke Mehrheit der US-Juden folgt also nicht der großen Pro-Israel-Lobby Aipac, die bis jetzt eher die Falken-Linie von Netanyahu vertritt und George W. Bush bis zuletzt die Stange gehalten hat. Schließlich signalisierte Obama in einer Videobotschaft zum persischen Neujahr einen Schwenk hin zu einer Entspannungspolitik gegenüber Teheran. Aber gerade damit kommt Obama in direkten Gegensatz zu Jerusalem. Die vermeintliche Bedrohung durch den Iran ist zentral für die Politik der bisherigen Regierung. Für die neue gilt das noch mehr. Roger Cohen, der Kolumnist der „New York Times“, interpretiert: „Die so wachsende Differenz in der Iran-Frage wird unvermeidlich zu einer schmerzhaften, aber notwendigen Neudefinition der Beziehung zu Israel führen.“

Mittelfristig ist also ein Clash zwischen Washington und Jerusalem zu erwarten. Kann dieser Konflikt fruchtbar werden? Die Obama-Regierung wird dabei zweifellos auf viele Schwierigkeiten stoßen. Die nicht geringste wird sein, in Israel selbst, wo das Friedenslager kaum mehr vorhanden ist, Bündnispartner für die neue US-Nahostpolitik zu finden.

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