Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Die Sorgen der Menschen

Die Sorgen der Menschen

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Man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Das ist ein Stehsatz der heimischen Politiker. Wenn solches geäußert wird, weiß man, was das heißt: Es wird auf die Leserbriefseite der „Kronen Zeitung“ geblickt – und schon sind Fremdengesetze verschärft, müssen Ausländer ein paar Jahre länger warten, bevor sie die Staatsbürgerschaft bekommen, und wird das Asylrecht so gehandhabt, dass Menschenrechtsorganisationen aufschreien. Auch kann ein Anti-Brüssel-Schwenk bevorstehen.

Wenn es aber darum geht, dass die Menschen meinen, unsere Gesellschaft werde immer ungerechter, die Reichen da oben tragen viel zu wenig zum Gemeinwohl bei, die sollten mehr zahlen, ist man mitnichten bereit, das ernst zu nehmen. Im Gegenteil. Jene, die solches politisch vertreten, werden als gestrige Sozialisten, die den Klassenkampf aus der Mottenkiste der Geschichte holen wollen, oder als verantwortungslose Populisten stigmatisiert. Im besten Fall wird zugestanden, dass eine Verteilungsdiskussion durchaus sinnvoll sei, bloß gerade jetzt sei sie nicht aktuell. So auch jetzt, wo von Bundesländersozis und von den Gewerkschaften der Vorschlag kommt, für die großen Vermögen sollten bitte Steuern gezahlt werden – eventuell auch wieder Erbschaftssteuer – und bei Spekulationsgewinnen möge der Staat auch ein klein wenig mitschneiden.

Die Verteilungsfrage ist inmitten der Krise nicht aktuell? Wer solches sagt, lebt auf dem Mond. Sie ist aktueller denn je. Barack Obama hat nicht zuletzt mit seinem Versprechen die Wahlen gewonnen, den Mittelstand, vor allem aber die unteren Schichten, steuerlich zu entlasten, oben, bei den reichen fünf Prozent der Amerikaner, aber ein wenig abzuschöpfen. Und die Krise hat dem neuen Präsidenten noch einige zusätzliche Argumente für seine Politik des „tax the rich“ gegeben. Warum sollen die breiten Schichten der amerikanischen Arbeitnehmer alle Kosten der Krise zahlen? Deren Lebensstandard hat lange Zeit stagniert. Die ohnehin Wohlhabenden haben vom Boom der vergangenen Jahre aber prächtig, teilweise geradezu obszön profitiert. Und ein Teil der Reichen und Superreichen hat die Krise erst verursacht. Zudem reduziert eine kleine Belastung für ganz oben nicht wesentlich den für die Überwindung der Krise so wichtigen Konsum. Auch in den meisten Staaten Europas steht Umverteilung auf der Tagesordnung. Etwa in Deutschland, wo die SPD vergangene Woche klargemacht hat, mit einem Programm in die Herbstwahlen gehen zu wollen, das eine Kombination von Mindestlohn und Reichensteuer verspricht.

In Österreich ist die Situation speziell. Zwar dürfte die Kluft zwischen Reich und Arm weniger eklatant sein als anderswo. Bei Geldvermögen herrscht freilich eine besonders große Ungleichverteilung. Das oberste Promille besitzt über acht Prozent des gesamten Geldvermögens und damit gleich viel wie die gesamte untere Hälfte der österreichischen Haushalte. Bei der Vermögensbesteuerung aber ist Österreich im internationalen Vergleich Schlusslicht. Die Einnahmen aus diesen Steuern betrugen 2007 lediglich 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In Frankreich etwa waren es 3,5 Prozent und in Großbritannien 4,6 Prozent. Die Forderung, sich da in Richtung europäischer Steuer-Normalität zu bewegen, mutet nicht besonders links und radikal an.

Was kann gegen solche Vermögensbesteuerung eingewendet werden?
E Damit belastet man unweigerlich auch den Mittelstand, den kleinen Häuslbauer, die Sekretärin mit einem bescheidenen Aktien-Portfolio, den Bauern mit seinen Äckern. Dieses Argument ist letztlich eine Ausrede. Man will die Wähler schrecken. Nur die wirklich Reichen zu besteuern und nicht die Mittelschichten ist eine Frage steuerpolitischer Technik. Sonst nichts. Wenn man das will, geht es. Das zeigen andere Länder vor.

E Aber werden dann nicht Gelder aus Österreich abfließen? Da kann man beruhigen: In Zeiten, in denen die Steueroasen weltweit ausgetrocknet werden, ist die Gefahr der massiven Kapitalflucht nicht sehr groß.
E Schließlich wird immer wieder behauptet, eine Besteuerung der Reichen brächte kaum etwas ein. Es stimmt natürlich, dass damit die überschuldeten Haushalte nicht saniert werden können. Wie viel solche neuen Vermögensteuern wirklich bringen würden, darüber streiten die Finanzfachleute. Zur Anschubfinanzierung der so notwendigen großen Bildungsreform würden die so generierten Gelder noch allemal genügen.

Selbst wenn, was sehr unwahrscheinlich ist, das Aufkommen solcher Vermögensteuern bloß marginal wäre, symbolisch hätten sie eine wichtige Bedeutung. Wie erlebt der legendäre kleine Mann – und nicht nur der in Österreich – die Weltwirtschaftskrise? Da haben sich die neoliberalen Staatsverächter in den vergangenen Jahren, wie man wienerisch sagt, „g’sund g’stess’n“, während man uns Normalos sparen predigte und vorwarf, über unsere Verhältnisse zu leben. Jetzt haben sie alles verzockt und rufen nach dem Staat, der sie retten soll. Und die Bankrotteure bekommen die Milliarden nur so nachgeschmissen – Geld von uns Steuerzahlern.

Gewiss, das ist ein verkürztes, verzerrtes Bild, und da mag auch so manch unsympathisches Ressentiment dahinterstecken. Aber die Wut auf die Ungerechtigkeit des „Systems“ und die Abräumer da oben ist groß. Das zeigen alle Umfragen – und zwar global. Wenn diese durchaus legitime und verständliche Wut der Menschen nicht ernst genommen wird, dann wird sie sich am Rand entladen. Das kann gefährlich werden. Für Österreich kann man sicher sein: Es wird der rechte Rand sein. Und dann wird es wieder heißen: Man muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen.

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