Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Engstirnig und kurzsichtig

Engstirnig und kurzsichtig

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Man kann dem deutschen Finanzminister Peer Steinbrück und seinen EU-Amtskollegen nicht verdenken, dass sie die Österreicher mit ihrem Vorstoß für ein Osteuropa-Hilfspaket abblitzen ließen. So unvorbereitet wie Minister Josef Pröll und sein Staatssekretär Reinhold Lopatka darf man nicht auftreten. Zu offensichtlich ging es den zwei Österreichern nicht um Europa. Ihr „Rettungsplan“ war zu genau auf die Interessen der österreichischen Banken zugeschnitten, die in den vergangenen Jahren so gute Geschäfte im Osten gemacht hatten. Man war verärgert. Auch in Osteuropa. Peinlich, wie Pröll versuchte, die Regierungen dort zu belehren, was sie tun müssten. Kein Wunder, dass er auch von dort eine Abfuhr bekam. In sehr frischer Erinnerung ist, dass Österreichs Beitrag zur Lösung der Wirtschaftskrise in Europa bisher darin bestand, bei jedem Vorschlag, der darauf abzielte, gemeinsame EU-Instrumente gegen die Rezession einzusetzen, sofort Nein zu sagen.

Wie wenig europäisch wir agieren und wie sehr unsere Politik von nationalem Wirtschaftsegoismus geprägt ist, zeigt nicht zuletzt auch die Tatsache, dass Österreich, als eines der letzten Länder Europas, sich bis zum heutigen Tag weigert, das Bankgeheimnis aufzugeben – und das in einer Zeit, in der Transparenz der Kapitalmärkte oberste Devise ist. Es ist also durchaus verständlich, dass man Wien die kalte Schulter zeigte.
Trotzdem: Dass die österreichische Regierung in der Sache Recht hat, wenn sie ein großes EU-Hilfspaket für Ost- und Mitteleuropa anmahnt, wurde Mitte vergangener Woche erst so richtig klar. Das Absacken der dortigen Währungen und die kolportierte Perspektive, die Ökonomien der ehemals kommunistischen Staaten im Osten Europas könnten demnächst in sich zusammenbrechen, ließ die westeuropäischen Börsen weiter dramatisch abstürzen.

Nicht nur Andreas Treichl von der Erste Bank und Christian Konrad von Raiffeisen haben also allen Grund, schlecht zu schlafen. Nicht nur die österreichische Regierung muss zittern. Das ist jetzt offensichtlich. Inzwischen geht auch in Brüssel und den anderen EU-Metropolen die Angst vor einem osteuropäischen Kollaps um. Diese Perspektive ließ offenbar auch Steinbrück eine Kehrtwende vollziehen. Bisher lehnte er stets schnoddrig ab, dass die Union Not leidenden Mitgliedsländern zu Hilfe eilt, und versteifte sich auf die Ansicht, dass jeder für sich selbst und seine eigenen Schulden verantwortlich sei. Vergangene Woche erklärte nun der deutsche Finanzminister, einem Bankrott eines EU-Landes werde die EU nicht tatenlos zusehen können.

Es häufen sich in den vergangenen Tagen die pathetischen Aufrufe von EU-Politikern, um Himmels willen nicht dem Protektionismus zu frönen. Das würde den Binnenmarkt und die gemeinsame Währung gefährden. Ein Aufschrei war zu vernehmen, als der französische Präsident Nicolas Sarkozy verkündete, der Autohersteller Renault möge, wenn er Staatsgeld wolle, gefälligst in Frankreich produzieren und nicht in Tschechien. Sarkozy musste einen Rückzieher machen. Das Fatale jedoch ist: Das, was der Franzose sagte, ist nur die Zuspitzung dessen, was in der EU tägliche protektionistische Praxis ist. Von Anfang an wurde jeder Vorstoß, gemeinsame europäische Hilfspakete zu schnüren, im Keim erstickt. Jede Regierung wollte ihre eigene Rettungsaktion. In jedem Land wird versucht sicherzustellen, dass das vom Staat investierte Geld im Land bleibt. Und die Europäische Kommission erweist sich mehr und mehr als machtlos: Blockierte sie jene Rettungsaktionen, welche Wettbewerbsregeln des Binnenmarktes verletzten, würde sie beschuldigt werden, die jeweiligen Zusammenbrüche verursacht zu haben.

Genau das Gegenteil ist aber wahr: Gerade die unkoordinierten Interventionen der einzelnen Regierungen, bei denen jeder versucht, einen komparativen Vorteil der „eigenen“ Wirtschaft gegenüber jenen anderer Länder zu verschaffen, verhindern letztlich, dass die Rettungsmaßnahmen und Konjunkturpakete wirksam werden. Und so versinkt Europa immer tiefer in der Krise.

Es ist paradox: Da wächst erstmals seit Langem wieder die Zustimmung zur EU und zum Euro, weil die Menschen Europa mehr als den Nationalstaaten zutrauen, eine Antwort auf die Weltwirtschaftskrise zu finden – gleichzeitig aber erlebt Europa eine eklatante politische Führungskrise. Brüssel demonstriert Impotenz. Und die engstirnigen und kurzsichtigen Politiker in den Mitgliedsstaaten agieren nach dem Motto: Wir kümmern uns zuerst um unser Land. „Der immer provokantere Flirt mit dem Protektionismus bedroht die historischen Errungenschaften des europäischen Projekts“, beklagt George Soros, der legendäre Investmentbanker und Finanzguru. Zerreißt es die Union? Ist ein Ende der gemeinsamen Währung möglich? All das will Soros nicht mehr ausschließen.

Es sei denn, die EU bringt in dieser gefährlichen Ausnahmesituation doch noch den politischen Willen auf, wirklich europäisch zu agieren: etwa mit der Platzierung einer gemeinsamen Eurozonen-Anleihe, wie Soros vorschlägt. Mit einer derartigen Innovation wären der EU tatsächlich jene ökonomischen Mittel in die Hand gegeben, die notwendig sind, um – jenseits nationaler Egoismen – wirtschaftspolitisch aktiv zu werden. Und das ist in dieser verzweifelten Situation dringend geboten.

PS: Man mag sich wegen der unprofessionellen Performance österreichischer Regierungsmitglieder in Europa genieren – bedenklicher ist etwas anderes: Die führende Regierungspartei SPÖ überlässt freiwillig und ohne Not den Posten eines EU-Kommissars der ÖVP. Und welcher Geist steht hinter dieser seltsamen Entscheidung? Es ist der europäische Geist der „Krone“. Erschreckend.

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