Geschichte: Geist aus der Flasche

Geschichte: Der Geist aus der Flasche

Österreichs Erfahrungen mit Wirtschaftsliberalismus

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Als SPD-Chef Franz Müntefering seinen rhetorischen Parforceritt gegen den Finanzkapitalismus absolvierte, klinkte er sich in eine sehr alte Debatte ein. Der Begriff „Kapitalismus“ – seit dem Ende des Kommunismus anstelle des Begriffs „freie Marktwirtschaft“ wieder gebräuchlich – wurde in der ökonomischen Debatte durch den Wirtschaftshistoriker Werner Sombart populär. Der hatte 1896 das kritische Werk „Der moderne Kapitalismus“ publiziert. Der konservativ eingestellte Sombart sah in der Internationalisierung der Wirtschaft, im Welthandel und in der globalen Arbeitsteilung ein Werk des Teufels. Karl Marx und Friedrich Engels hingegen hatten im „Kommunistischen Manifest“ die Globalisierungswelle des 19. Jahrhunderts, durchaus positiv, als einen Prozess der Entgrenzung und Rationalisierung beschrieben, der die Herrschaft des Proletariats vorbereiten werde.

Die Arbeiterbewegung im modernen Sinn entstand erst zu einer Zeit, als die erste große Globalisierungswelle – sie rollte ab Mitte des 19. Jahrhunderts durch Europa – bereits an den Auswirkungen des Börsenkrachs 1873 und der darauf folgenden Wirtschaftskrise zerschellt war. Die SPÖ wurde 1884 gegründet. Zuvor hatte in Österreich die Revolution von 1848 eine Ära eingeläutet, in der die aufkeimende großbürgerliche Kapitalistenklasse, welche die Gesellschaft ökonomisch zu dominieren begann, von Adel und Krone in dieser Rolle de facto anerkannt und gefördert wurde. Man begann den österreichischen Wirtschaftsliberalismus und seine gesellschaftlichen Träger in die Habsburg-Monarchie zu integrieren.

Absolutismus. Wobei der Staat gleichzeitig allerdings, politisch gesehen, in eine neoabsolutistische Phase eintrat. Ministerpräsident Fürst Felix zu Schwarzenberg und sein Handelsminister Freiherr Karl von Bruck stellten die Errichtung einer tragfähigen, kapitalistisch finanzierten Infrastruktur und eine bürgerlich-freiere Umgestaltung des rückständigen Staatswesens in den Mittelpunkt ihrer liberalen Reformen. Politisch aber waren jene Jahre eine Zeit der Repression und der Zentralisierung von Staatsmacht. Die wirtschaftsliberale Phase dauerte von etwa 1850 bis 1873. Das letzte Jahrzehnt dieser Ära wird als „Gründerzeit“ bezeichnet. In ihr trat die Monarchie voll ins Industriezeitalter ein.

Kurzblühte. Als dann nach der Krise 1873 eine etwa zwanzig Jahre dauernde Stagnation folgte, wandte sich aber nicht nur der Adel, sondern auch das österreichische Bürgertum vom Geist der wirtschaftsliberalen Jahre sehr schnell wieder ab. Die Idee des Konkurrenzkapitalismus wurde nachhaltig diskreditiert. Wollte ein Kapitalist der fünfziger und sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts den Staat so weit wie möglich aus seinen Aktivitäten heraushalten, so suchte sein Nachfolger in den späten siebziger und achtziger Jahre desselben Jahrhunderts den Schutz der Monarchie vor den zersetzenden Wirkungen des Marktes und der Konkurrenz.

Die Staatsmacht und die feudalen Schichten fühlten sich in dieser Zeit der Stagnation von zwei Seiten bedrängt: einerseits eben von der – nunmehr schutzsuchenden – Großindustrie. Darauf reagierten sie mit oft radikal antigroßkapitalistischen, antiliberalen und teils auch antisemitischen Reflexen. Andererseits von der aufkommenden Arbeiterbewegung. Dieser versuchte man durch eigene staatliche Sozialmaßnahmen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Von Kaiser Franz Joseph ist aus dieser Zeit die Forderung nach „Arbeit für brave Hände“ überliefert. Graf Eduard von Taaffe, Ministerpräsident von 1879 bis 1893, wurde zu einer Art österreichischem Otto von Bismarck, indem er Unfall- und Krankenversicherung schuf und Sozialgesetze erließ. Taaffe unterstützte das gewerbliche Kleinbürgertum im Konkurrenzkampf gegen die moderne Industrie. Schutzzölle, Kartelle und chauvinistische Wirtschaftspolitik traten nun an die Stelle des großbürgerlich-kapitalistischen Liberalismus.

Es gibt Historiker, welche die These vertreten, dass die Weltwirtschaftskrise 1929 zur Katastrophe wurde, weil die liberale Globalisierung zuvor in den Köpfen zusammengebrochen war und die Nationalstaaten Institutionen schufen, die wichtige Interessengruppen vor der Globalisierung schützen wollten.

Jetzt, 2005, brandet die Aversion gegenüber internationalen Finanzmächten wieder auf. Es ist dies kein Phänomen, das von den Nazis geboren und – mit anderen Vorzeichen – von der europäischen Linken übernommen worden wäre. Diese Haltung entspricht, gerade in Österreich, auch einem alten konservativen Klischee.