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Gestaltung: Kalkulierte Egomanie

Kalkulierte Egomanie

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Wer früher modernes, gediegenes Autodesign suchte, musste sich nahezu zwangsläufig nach Italien verfügen. Jahrzehntelang galt Turin als das Zentrum der innovativen Autogestalter. Die Studios von Giuseppe „Nuccio“ Bertone und Sergio Pininfarina waren die Garanten für schöne, mit Leidenschaft entworfene Automobile. Mittlerweile hat sich das Geschäft geändert. Die früher hauptsächlich mit der Gestaltung von Autos befassten Studios entwickeln und designen heute nicht mehr ausschließlich Straßenfahrzeuge, sondern entwerfen auch Gebrauchsgüter, Schiffe und Golfschläger. Was immer die Auftraggeber wünschen, die Designer liefern es – bis hin zur Produktion und Montage.

Das heißt nicht, dass es keine aufregenden Gefährte „designed in Italy“ mehr gäbe. Aber in den Entwicklungszentren der Automobilwirtschaft haben sich in den letzten Jahren einige Charaktere in den Vordergrund gedrängt, die in ihrer Wirkung, Bedeutung und ihrem Einfluss den alten Patriarchen Bertone und Pininfarina kaum noch nachstehen. Ihnen fällt die schwierige Aufgabe zu, neue Modelle mit Leben, Esprit und Anspruch zu versehen. Der Trend zur Vielfalt und die deutliche Ausprägung der Markenwelten bedingen, dass der Kommunikation von Markeninhalten – und damit nicht zuletzt dem Design – noch mehr Bedeutung als früher zukommt. profil zeigt einige der Menschen, die hinter den Autos stehen.

Agent Provocateur
Chris Bangle, Designchef BMW-Group

Eines kann man diesem Mann gewiss nicht vorwerfen: dass er den Weg des geringsten Widerstandes geht. Dennoch sieht sich Chris Bangle nicht als „Provokateur“ – und lächelt dabei nicht einmal, wenn er das sagt. Christopher „Chris“ Bangle, Jahrgang 1956 und gebürtiger US-Amerikaner aus Ohio, gilt als der umstrittenste Autodesigner der Gegenwart. Zwar ist Bangle, der zuvor für Opel und Fiat werkte, schon seit zwölf Jahren bei BMW tätig. Aber weltweite Beachtung fand er erst mit der Lancierung des aktuellen 7er-BMW. Als der auf den Markt kam, zerfiel die BMW-Gemeinde umgehend in zwei Lager: jene, die den neuen Look liebten, und jene, die Bangle für das sehr gewagte Design am liebsten gesteinigt hätten. Chris Bangle ist wohl der einzige Autodesigner, der es zu ähnlichen Ehren wie Microsoft-Gründer Bill Gates gebracht hat: Die „Stop Chris Bangle“-Petition im Internet wurde immerhin bereits von mehr als 6700 Web-Usern unterzeichnet.

„Kunst, nicht Kommerz“, ist Bangles Credo. Und er nähert sich dem Thema BMW so enthusiastisch wie kaum ein anderer Designverantwortlicher vor ihm. Den 7er-BMW bezeichnet er als „muskulös“, den neuen Roadster Z4 – dessen Styling übrigens im Vergleich zum 7er nahezu hymnisch gefeiert wird – als „ein Blatt, das sich im Wind bewegt“. Was als Synonym für Leichtigkeit und die bei BMW viel gerühmte Freude am Fahren sogar irgendwie treffend erscheint. Kein Zweifel, Chris Bangle ist alles andere als einfach, und „er hat eine Menge Feinde“, wie das US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ treffend bemerkte. Aber Bangle hat zweifellos auch dafür gesorgt, dass die Marke BMW weiterhin im Gespräch ist. Und genau das war auch sein Auftrag. Das Unternehmen betont jedenfalls, dass die Familie Quandt, sie kontrolliert die BMW-Aktienmehrheit, voll hinter dem Designchef stehe. Es gibt, rein wirtschaftlich, auch keinen Grund, das nicht zu tun.

Die Marke verkauft sich gut, der 7er insbesondere in den USA und Japan sogar besser als erwartet. Der neue 5er-BMW, jüngst präsentiert, soll an die Verkaufszahlen des Vorgängers anschließen – obwohl teurer als das alte Modell und dem umstrittenen 7er sehr ähnlich. Der Z4 entwickelt sich zu einem Verkaufshit in den USA und erzielte im ersten Quartal des laufenden Jahres, seinem bisher verkaufsstärksten, ein Absatzplus von 250 Prozent gegenüber dem Vorgängermodell Z3.

Möglicherweise war die reine Sicht auf den neuen 7er auch wirklich zu kurz gegriffen. „Die Entwicklung eines Stils ist ein wenig wie ein Roman“, sagt Bangle, „man muss auf die Fortsetzung warten.“ Und schließlich, betont Bangle, habe BMW schon einmal einen massiven Designwandel vollzogen. In den siebziger Jahren nämlich, als die „02“-Modelle durch die 3er-Reihe ersetzt wurden. Der Marke habe dieser Wandel nicht geschadet. Auch damals habe die Quandt-Familie für einen radikalen Imagewechsel plädiert, wie das heute eben Chris Bangle umsetzen soll.

Bangle, der sich selbst nicht unbedingt als großen Team-Menschen sieht – was ihn aber kaum von anderen Designgrößen unterscheidet –, ist jedenfalls mit einem gesunden Selbstvertrauen ausgestattet. Redakteure, die ihn kritisieren, blafft er schon mal an: „Was weiß schon ein Journalist?“ Und die Kampagne gegen seine Person nimmt er mit stoischer Gelassenheit. „Was hätten die Helden vergangener Zeiten gemacht, wenn das Internet in deren Epoche existiert hätte“, fragt Bangle, „sie hätten ihre Linie nicht verlassen. Und ich mache das auch nicht.“

Architekt für die breite Masse
Peter Schreyer, Leiter Volkswagen Design

Die Liebe zur darstellenden Kunst hat Peter Schreyer, 50, Leiter der Designabteilung der Marke Volkswagen, früh erwischt. „Schon als Bub habe ich immer Autos gezeichnet. Und mein Vater, ein großer Autofan, hat sich besonders für italienische Modelle begeistert. Das hat sicher abgefärbt.“ Die Tatsache, dass Schreyer abends gerne mit Kopfhörern den Aufnahmen von Miles Davis lauscht und als privatem Hobby, wenn es die Zeit zulässt, der Malerei frönt, ist Indiz dafür, wie stark künstlerische Ambitionen und Inspirationen das Wirken des Autodesigners beeinflussen.

Als Designchef hat Schreyer mit der Marke VW eine schwierige Gratwanderung zu bewältigen. VW baut klassische Volumenmodelle – Autos, die auf jedem Kontinent gleich akzeptiert werden müssen. Vielleicht oder gerade deswegen galten VW-Modelle stets als durchaus gefällig, in Fachkreisen wurde ihr Design jedoch nicht als sonderlich mutig eingestuft. „Es ist schon richtig, dass wir uns einem breiten Publikum stellen“, meint Schreyer. „Aber das betrachten wir als Herausforderung. Oft erfordert es mehr Mut, auf vordergründige Reize zu verzichten.“ Gerade der neue Golf zeige „im Vergleich mit seinem Vorgänger ein deutliches Bekenntnis zu mehr Emotionalität im Design“, ist Schreyer überzeugt.

Der Vater des neuen Golf – Schreyer trug die Gesamtverantwortung, die eigentliche Entwurfs- und Gestaltungsarbeit stammt jedoch von einer Heerschar an VW-Designern – beurteilt seinen eigenen Stil als unspektakulär: „Entscheidend ist es, den Charakter der Marke zu treffen.“ Seine Aufgabe sieht er vor allem als Interpret zwischen den Polen Design, Technik und Marketing beziehungsweise Verkauf. „Zweifellos ist Design immer wichtiger geworden“, analysiert Schreyer. „Aber wirklich gutes Design ist nur auf der soliden Basis perfekter Technik möglich. Innovationen kommen sowohl aus der Technik wie aus dem Design.“ Die Herausforderung liege darin, Langlebigkeit im Auftreten zu entwickeln, die auch dann noch ihre Attraktivität behält, wenn das Modell bereits abgelöst wurde: „Wir haben den Golf im Hinblick auf eine lange, über die eigentliche Produktlaufzeit hinausreichende Gültigkeit seines Designs entworfen.“

Von Vorteil erweisen sich dabei technische Fortschritte, die sowohl in der Fahrzeugtechnik als auch beim Designprozess zu verzeichnen waren. „Wir haben heute mehr Freiheiten und Möglichkeiten als noch vor wenigen Jahren“, konstatiert Schreyer. Das erlaube es dann auch, in der Planungsphase eines Modells auf die späteren Derivate beziehungsweise Ergänzungsmodelle Rücksicht zu nehmen.

Dennoch ist die Arbeit an neuen Fahrzeugentwürfen ein nicht gänzlich planbarer Prozess geblieben, der viel Zeit, Nerven und Energie erfordert. Schreyer: „Es ist unmöglich zu sagen, wie viele Entwürfe man braucht, damit letzten Endes das fertige Modell entsteht. Entscheidend ist aber immer die Substanz, also die tragende Idee. Manchmal reichen einige wenige Skizzen, um das Thema zu definieren.“

Sehr zupass kommt Schreyer, dass er als erklärter Familienmensch für eine Marke tätig ist, deren Fahrzeugpalette viele Family Cars beinhaltet. Insofern achtet er beim Design „seiner“ Modelle vor allem auf Alltags-Praktikabilität. Immerhin ist der Mann begeisterter Skifahrer und Hobbypilot und legt daher besonderen Wert darauf, dass Fahrzeuge ihren Benutzern in vielen Lebenslagen dienlich sein können.

Dass Designer nicht unbedingt die konziliantesten Typen sind, bestätigt Peter Schreyer unumwunden: „In der Arbeitsweise brauche ich manchmal das kreative Chaos, aber in der Sache zeige ich wenig Bereitschaft zu Kompromissen.“ Da gilt dann doch die klare Linie – und wenn es sein muss, das Wort des Chefs.

Der Designer und das Meer
Walter de Silva, Designdirektor Seat

Vom früheren VW-Konzernherrn Ferdinand Piëch ist folgendes Statement überliefert: „Seat soll der Alfa Romeo Spaniens werden.“ Damit meinte der gebürtige Österreicher, der als ausgesprochen italophil gilt, dass die VW-Tochter Seat vor allem Temperament und Feuer ausstrahlen solle. Die Technik sei hervorragend, aber das Flair hinkte Marken wie Alfa Romeo anfänglich noch hinterdrein. Vor allem beim Design wollte Piëch gravierende Änderungen sehen. Gesagt, getan – mittlerweile ist Walter Maria de Silva, einst Leiter des Alfa Romeo Design Centers, der oberste Fahrzeuggestalter bei Seat. „Design ist mein Leben“, sagt de Silva, „sowohl im Beruf als auch in der Freizeit.“ Demgemäß entwirft der Designer neben der nunmehrigen Seat-Linienführung, die bei manchen Beobachtern Erinnerungen an frühere Alfa-Romeo-Modelle wachruft, auch Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. In den Mittelpunkt seines Schaffens stellt de Silva „ein Gleichgewicht zwischen Ästhetik von mediterraner Leichtigkeit und moderner Technik“.

Walter de Silva, 1951 am Comer See in Italien geboren, wurde das Designwerkzeug quasi in die Wiege gelegt. Auch der Vater war erfolgreicher Designer. Im Alter von knapp über 20 Jahren heuerte de Silva bei Fiat an, danach war er auch für renommierte Designstudios wie das IDEA Institute tätig. Nach einem künstlerischen Intermezzo bei Trussardi wurde de Silva schließlich 1986 mit der Leitung des Alfa Romeo Design Centers betraut. Seit 1999 leitet er das Design Center von Seat im spanischen Martorell. Im Vorjahr rückte Walter de Silva zum Designdirektor der gesamten Audi-Markengruppe auf und ist seither neben Seat auch für Audi und Lamborghini zuständig. „Ich liebe Design, Fahrzeuge und das Meer“, illustriert de Silva sein Lebensmotto. In Barcelona, seinem Lieblingsort, kann er sich all diesen Leidenschaften ungebremst hingeben.

Der das Ungleichgewicht sucht
Patrick le Quément, Designchef Renault

Als der Renault Twingo Anfang der neunziger Jahre präsentiert wurde, schlug die große Stunde von Patrick le Quément. Der Designchef von Renault machte mit dem Stadtauto schlagartig auf sich aufmerksam. Heute gilt Renault als Vorreiter in Sachen Design – die Franzosen haben mit dem neuen Mégane erneut bewiesen, dass sie den Mut zur Auffälligkeit haben.

„Es kommt beim Automobildesign nicht auf Harmonie und Gleichgewicht an“, betont le Quément. Wichtig sei vielmehr, „das richtige Ungleichgewicht zu finden“. Ein Auto sei seiner Natur nach „ein dynamisches, bewegungsbestimmtes Objekt“. Daher komme die eigentliche Stärke von gutem Autodesign, dem le Quément eine ganz zentrale Rolle im Markenimage und bei der Neukundengewinnung zuordnet, auch erst im Fahrbetrieb zur Geltung. „Jede starke Automobilmarke kultiviert ihren eigenen Stil. Nicht bloß, um sich zu unterscheiden, sondern um Kunden anzusprechen. Es geht darum, nicht nur geschätzt, sondern vorgezogen zu werden.“

Seit 1987 ist le Quément für Renault tätig, und in dieser Zeit hat sich der Stil der Franzosen deutlich sichtbar weiterentwickelt. „Man muss mit einem Auto intuitiv umgehen können“, sagt Patrick le Quément. Das stellt auch die Gestalter von Fahrzeugen vor spezifische Herausforderungen. „Ein Autodesigner muss Benzin in seinen Adern haben“, betont le Quément, „und er muss mehrere Ausdrucksmittel beherrschen, etwa Zeichnen, Fotografieren oder die Videotechnik.“ Darüber hinaus müssen Automobilentwickler teamfähig sein – und nicht zuletzt und vor allem talentiert.