Gesundheit: Käfige für die Nikotin-Sucht

Gesundheit: Käfige für die Sucht

Das Fiasko der Anti-Raucher-Politik in der EU

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In den Internetforen und Leserbriefspalten tobt der offene Meinungskrieg. Seit die neue Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky erklärt hat, selbst ab und zu eine „Genusszigarette“ zu rauchen und Raucher nicht diskriminieren zu wollen, rufen militante Nichtraucher zum Sturm auf die Lokale, weil sie die „Abgase“ ihrer Tischnachbarn als lebensbedrohlich empfinden. Umgekehrt schimpfen Raucher über die Egozentrik der „Nichtrauchermafia“.

Immer öfter kommt es auch zu handfesten Auseinandersetzungen in Cafés und Gasthäusern. Die Gastwirte überlegen, wie sie als Ringrichter dieses Duells mit den Apartheidbestrebungen der verfeindeten Gruppen zurande kommen, ohne dabei pleitezugehen. Der Karren ist festgefahren. „Beim Rauchen gibt es keinen goldenen Mittelweg“, erklärt denn auch Robert Rockenbauer von der Österreichischen Schutzgemeinschaft für Nichtraucher, „Passivrauchen ist nicht toleranzfähig.“

Verschärft wird der Konflikt durch die pure Masse der Nikotinsüchtigen. Anstatt wie in anderen Ländern zu sinken, ist der Anteil der Raucher in den vergangenen Jahren hierzulande sogar leicht angestiegen. Österreich liegt in der EU im Spitzenfeld und hat mit einem Raucheranteil von rund 50 Prozent in der Bevölkerung über 15 Jahren sogar die einstige Megaqualmer-Nation Griechenland überholt. Und es ist keine Trendwende in Sicht. Gerade unter den Jungen rauchen heute so viele Personen wie nie zuvor.

Versagen. Damit zeigt sich das völlige Versagen der bisherigen Anti-Rauch-Kampagnen. „Mit der Betonung des Risikos haben wir das Rauchen bei den Jungen möglicherweise erst richtig attraktiv gemacht“, gibt sich der Wiener Sozialmediziner Michael Kunze zerknirscht. Deshalb setzt er verstärkt auf höhere Zigarettenpreise. „Ob in 20 Jahren der Lungenkrebs droht, ist den meisten Jugendlichen tatsächlich ziemlich egal“, sagt Christoph Hörhan, Chef des Fonds Gesundes Österreich. „Offen sind sie hingegen für alle Botschaften im zwischenmenschlichen Bereich.“

Dass Raucher stinken und impotent werden, ist hingegen auch schon vor 20 Jahren ignoriert worden. Hörhan möchte deshalb in den nächsten Kampagnen den Mut zum Neinsagen als positives Charaktermerkmal etablieren. Schockbilder von offenen Kehlkopfgeschwüren oder Ähnliches hält er hingegen für verfehlt. „Denn Sucht ist eine Krankheit, und derartige Bilder sind psychologisch kontraproduktiv.“

Doch auch ohne derartige Maßnahmen werden Raucher in der EU immer stärker in Quarantäne genommen. Nach Großbritannien, Italien, Schweden und Belgien ist Frankreich das nächste Land – ab Februar ist Rauchen in allen öffentlich zugänglichen Gebäuden untersagt. Restaurants und Cafés haben noch ein Jahr Galgenfrist, um ihre Räumlichkeiten mit einer hermetisch dichten Rauchkabine auszustatten, die vom Personal nicht mehr betreten werden muss. Diese Kabinen dürfen höchstens 35 Quadratmeter groß sein. Wenn außerhalb dieser Käfige der Sucht geraucht wird, müssen sowohl Wirte als auch rauchende Gäste Strafen zahlen. In Belgien, wo Speiselokale seit Jahresbeginn rauchfrei sein müssen, beklagen die Wirte einen Umsatzrückgang von 30 bis 50 Prozent, weil die Stammgäste nun angeblich in Kneipen und Bars ausweichen, wo Rauchen noch erlaubt ist.

Welche Maßnahmen in Österreich verfügt werden, hängt von einer derzeit laufenden Evaluierung der bisher gesetzten Maßnahmen in der Gastronomie ab. Die Ergebnisse sollen in spätestens zwei Monaten vorliegen. „Wenn Nichtraucherschutz nicht freiwillig geschieht, werden aber auch wir das gesetzlich umsetzen“, sagt Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky.

Hinter allen Kampagnen steht die Absicht, die Nichtraucher und auch die Angestellten der Gastronomie vor Passivrauch zu schützen. Mit Erfolg, wie einige Untersuchungen zeigen: In Schottland gingen laut einer aktuellen Studie des Journals der amerikanischen Ärztegesellschaft die Symptome von Husten, entzündeten Augen und Asthma bei Barkeepern um ein knappes Drittel zurück. In Irland wurden bei einer ähnlichen Studie enorme Reduktionen beim Gehalt von Cotinin, einem Abbauprodukt von Nikotin, im Speichel von Pub-Bediensteten gemessen.

So erfreulich derartige Zwischenergebnisse sind, bleibt abzuwarten, ob die hohen Erwartungen von Nichtraucher- und Krebsschutzverbänden erfüllt werden. Denn die meisten großen Studien zeigten, dass der Effekt des Passivrauchens weit überschätzt wurde und statistisch nur recht selten beweiskräftige Ergebnisse brachte. So ergab die Analyse von mehr als 120.000 durch Passivrauch betroffenen Teilnehmern der europäischen EPIC-Studie nur bei Exrauchern ein höheres Lungenkrebsrisiko, nicht jedoch bei lebenslangen Nichtrauchern. Eine im März des vergangenen Jahres veröffentlichte Analyse ergab ein um allenfalls fünf Prozent höheres Risiko für Herz- und Gefäßkrankheiten, allerdings mit einer laut den Studienautoren „überaus schwachen Beweiskraft“.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine im vergangenen Oktober in den „Archives of Internal Medicine“ veröffentlichte US-Studie über das Herzinfarktrisiko von 1500 Nichtrauchern, die entweder durch rauchende Ehepartner oder rauchende Berufskollegen Tabakrauch ausgesetzt waren. Zwischen der am meisten und am wenigsten belasteten Gruppe fand die Studie keine signifikanten Unterschiede. Daraus schlossen die Autoren, „dass Passivrauchen wohl doch kein so wichtiger Risikofaktor für Herzinfarkte ist, wie bislang angenommen wurde“.

Horrormeldungen. Dem stehen Horrormeldungen wie jene des WHO-Kollaborationszentrums zur Tabakkontrolle am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg gegenüber, wonach Passivrauchen jährlich 3300 Todesopfer fordere. Die relativ schwache Datenlage derartiger Werke korreliert zumeist mit der umso stärkeren Überzeugung der Autoren, dass das Rauchen zu verbieten sei. Und wie könnte man auf Raucher besser Druck ausüben als über die Angst der Menschen in deren nächster Umgebung. „Wir wollen diese Polarisierung sicher nicht fördern“, erklärt dazu der Sozialmediziner Ernest Groman, Vorstand des Wiener Nikotin-Instituts sowie Vizepräsident von Nosmoking.at, einer Plattform für aufhörwillige Raucher und überzeugte Nichtraucher (als Präsident fungiert der Exsprinter Andreas Berger).

Die biologischen Mechanismen sind bei aktivem und passivem Rauchen jedenfalls höchst unterschiedlich. Wer den Rauch einer brennenden Zigarette inhaliert, zieht damit vor allem Gase in seine Lunge. Passivrauch besteht hingegen aus Teer- und Rußpartikeln, wie sie auch in den Abgasen von Dieselmotoren oder generell im Feinstaub der Städte vorkommen. Wie gesundheitsschädlich Passivrauch ist, hängt von der Luftbelastung ab. „Und es macht natürlich einen großen Unterschied, ob ein Gast einmal wöchentlich ein verrauchtes Lokal besucht oder dort täglich als Kellnerin arbeitet“, erklärt Groman.

Umso wichtiger wäre es, jene Mechanismen zu bremsen, welche die Menschen daran hindern, mit dem Rauchen aufzuhören. „Die besondere Gefährlichkeit der Zigarette resultiert aus der Mischung des Suchtgiftes Nikotin mit Zusatzstoffen, die den Zweck haben, rascher süchtig zu machen“, erklärt Manfred Neuberger, Leiter der Abteilung für Präventivmedizin an der Medizinischen Universität Wien und Gründer einer Initiative zum Rauchstopp (www.aerzteinitiative.at). „Besondere Geschmacksstoffe erleichtern schon Kindern den Einstieg. Menthol wird etwa zugesetzt, weil seine schleimhautbetäubende und kühlende Wirkung auch dem jungen Raucher eine tiefe Inhalation ermöglicht.“

Einen suchtfördernden Effekt hat auch ein in den Filtern von Lightzigaretten eigens entwickelter Verwirbelungsmechanismus, welcher die Wirkung des Nikotins verstärkt und damit den Ausstieg aus der Sucht erschwert. Eine im Vorjahr vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit in Auftrag gegebene Analyse von 51 verschiedenen Zigarettenmarken ergab, dass von der Industrie systematisch Aroma und Geschmacksstoffe in den Tabak gemischt werden, die den Giftgehalt der Zigaretten beträchtlich erhöhen (siehe Kasten auf Seite 94).

„Wir bemühen uns auf europäischer Ebene um eine einheitliche Regelung, um diese Missstände abzuschaffen“, sagt die für Drogen und Suchtmittel zuständige Expertin im Gesundheitsministerium, Cornelia Franta.

Möglicherweise lassen sich durch das Verbot derart getunter Zigaretten tatsächlich höhere Erfolgsraten bei aufhörwilligen Rauchern erzielen. Denn trotz Pflaster, Kaugummi und Raucherpille hängen derzeit im Schnitt immer noch neun von zehn Tschick-Junkies binnen Jahresfrist nach dem Rauchstopp wieder am Glimmstengel. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Zigarette ein höheres Suchtpotenzial hat als jede andere Droge. Es ist leichter, vom Heroin loszukommen als vom Tabak.

Nach dem Desaster von Zyban, der Entwöhnungspille, die bei starken Nebenwirkungen auch noch schlechte Hilfe beim Entzug bot, sind die Erwartungen an pharmazeutische Hilfsmittel nicht allzu hoch. Umso mehr überraschen die Untersuchungsergebnisse eines neuen Medikaments, das im Februar unter dem Namen Champix in die hiesigen Apotheken kommt. Ein soeben publizierter erster Bericht der unabhängigen Cochrane-Gruppe über sechs Studien zu Champix mit zusammen 5000 Teilnehmern bescheinigt der Pille nämlich eine glatte Verdreifachung der Chancen beim Aufhören im Vergleich zur Placebogruppe. Nach einem Jahr war nahezu jeder Vierte noch immer rauchfrei.

Varenicline, der Wirkstoff in Champix, ist das erste spezifisch zur Rauchentwöhnung entwickelte Arzneimittel, das kein Nikotin enthält. Es benutzt aber im Gehirn denselben Rezeptor wie das Suchtmittel und verringert damit zum einen die Entzugssymptome, zum anderen reduziert es das Lustgefühl, das Nikotin vermittelt. In den klinischen Studien wurde das Präparat im Allgemeinen gut vertragen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählten Übelkeit, Kopfschmerzen – und abnormale Träume.

Von Bert Ehgartner