Grabesstimmung in Mailand und Paris

Grabesstimmung in Mailand und Paris: Die Modebranche erlebt den Crash erste jetzt

Die Modebranche erlebt den Crash erste jetzt

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Nur mit schwarzen Stilettos, einem Slip und einer offenen Bluse be­kleidet, stolperte eine Brünette vergangene ­Woche in Mailand auf den Laufsteg der ­Designerin und TV-Moderatorin Valeria Marina. Statt Make-up trug das Model verschmiertes Blut im Gesicht. Es raufte sich die Haare, hielt sich theatralisch den Bauch, der rote Saft tropfte ihm bis auf die Beine. Dann kollabierte es so, dass eine der obligat schwarz bebrillten Modejournalistinnen in der ersten Reihe die vermeintlich Verletzte gerade nur mit Mühe auffangen konnte. Irritiertes Raunen im Publikum – war das wieder eine ­Protestaktion dieser anarchistischen Tierschützer?

Erleichterung machte sich breit, als sich der Laufsteg-Thriller als Teil der Inszenierung herausstellte. Doch das Gezeigte besaß hohe Symbolkraft: Die Mode- und ­Luxusbranche liegt zurzeit so darnieder wie nicht einmal nach den 9/11-Anschlägen. Die Wucht der Rezession erwischt eine vergleichsweise krisenresistente Branche, die sich in den vergangenen Jahren an zweistelligen Wachstumsraten erfreuen konnte, mit leichter Verzögerung. Analysten prognostizieren für Ende 2009 einen Umsatzrückgang von vier Prozent, mit Ende des Crashjahrs 2008 konnte noch ein Plus von zwei Prozent verbucht werden. Die steilsten Abstürze erleben die High-End-Marken in den USA und Japan, wo aktuell Umsatzeinbrüche bis zu 50 Prozent registriert werden müssen. Die italienische Fashionbranche musste heuer Umsatzeinbußen von 30 Prozent hinnehmen, was dazu führte, dass die Modekammer bei Silvio Berlusconi um eine Finanzspritze vorstellig wurde.

Die radikale Konsumverweigerung in ­Japan und den USA ist jedoch nicht nur mit dem Crash, einer schwachen Währung und einer hohen Arbeitslosenrate zu erklären. Eine neue Studie des Beratungsunternehmens McKinsey für Strategien zur Rettung des japanischen Markts, wo in der Hausse 20 Milliarden Euro jährlich vor allem in identitätsstarke Marken wie Chanel, Louis ­Vuitton, Prada, Dior oder Gucci in Form von Accessoires investiert wurden, erhob, dass die neue Konsumentengeneration „von japanischen Fashionistas mit Kaufkraft nicht mehr wie deren Eltern von einer Labelgläubigkeit geprägt ist, sondern den Individualismus sucht“. Eine Geisteshaltung, die mit Sicherheit auch das Kaufverhalten in den USA und ­Europa schon vor dem Crash dominiert hat. „Die Menschen erkennen einfach zunehmend, dass sich hinter großen Namen und absurden Preisen oft nur allzu gewöhnliche Waren verbergen“, sagt Michelle Lee, Buchautorin („The Fashion Victim“) und Modejournalistin. „Die Konsumenten sind mündig geworden; Trendvorgaben und Laufstegdiktate existieren einfach nicht mehr in der früheren Form.“

Die schleichende „McDonaldisierung“ der Mode, die durch ausufernde Lizenz­vergaben die Aura großer Marken ver­wässerte, das Schnäppchenwesen im Internet sowie die Globalisierung des Luxus ­haben den Boden für eine Katastrophe bereitet, die durch den Finanzcrash nun in ­ungeahntem Ausmaß eskalierte. Doch die Talsohle scheint noch nicht erreicht. Der Vorstand des New Yorker Marktforschungsinstituts Luxury ­Institute, Milton Pedrezza, prognostiziert, „dass 15 bis 20 Luxusmarken in absehbarer Zeit untergehen werden“. Die Boston Consulting Group schätzt, dass „die Branche frühestens in drei, eher in fünf ­Jahren ­wieder das Niveau des Crashjahrs 2008 erreichen wird“. Escada, Gianfranco Ferré, Christian Lacroix und Veronique Branquinho stellten die ersten Partezettel „für ein Massaker, das der Französischen Revolution ähneln wird“, so die „New York Times“. Denn während in der bislang ­krisenhärtesten Zeit der Branche, der Periode nach 9/11, noch immer auf Lifestyle-ver­sessene Boommärkte wie Russland und China Verlass war, bricht nun auch deren Kaufkraft weg.
„Luxus-Rambo“, wie der Kopf der LVMH-Gruppe Bernhard Arnault genannt wird, kann zwar bei seinem lukrativsten ­Mitglied Louis Vuitton (mit Fashionista-Darling Marc Jacobs als Chefdesigner) noch immer leichte Zuwächse verbuchen, allerdings bereitet ihm der Rest des Konzerns berechtigte Sorgen.

Die Flaute bei Givenchy, Céline, Tod’s, Fendi und Kenzo hatte im ersten Halbjahr 2009 einen Gewinnrückgang von 23 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2008 zur Folge – und das trotz ­eines drastischen Sparkurses: Das Werbebudget der gesamten LVMH-Gruppe wurde 2009 nahezu um die Hälfte gestrichen. In Tokio hat Louis Vuitton soeben seine Pläne für ­einen zwölfstöckigen Flagshipstore für ­unbestimmte Zeit auf Eis gelegt.

Gefrierstimmung auch innerhalb der Gucci-Gruppe, die im Vergleich zum Vorjahr im ersten Halbjahr 2009 einen Umsatzverlust von 3,7 Prozent hinnehmen musste: Der am intensivsten schwächelnde Patient ist das Label Yves Saint Laurent unter Stefano Pilati, das ein Verkaufsminus von fast elf Prozent erlitt; seit Tom Fords Abgang 2004 konnte der Marke schon zuvor zu keinem Aufschwung verholfen werden.

Traurige Vorstellung. Weitere Sorgenkinder der Gucci Group sind Balenciaga, Alexander McQueen und Stella McCartney, die im Schnitt bei einem Umsatzminus von zehn Prozent liegen. Das Label Gucci selbst, das sich unter Frida Giannini vom sexgeladenen Purismus des Reanimationsgenies Tom Ford zu einem etwas lauten, russenaffinen Stil entwickelt hat, machte nur ein Minus von 0,6 Prozent. Doch rigide Sparmaßnahmen werden auch der Klassenbesten gesetzt. Gucci-Geschäftsführer Patrizio di Marco verordnete der 37-jährigen Römerin mehr Nüchternheit in den Entwürfen und maximal drei Handtaschenvariationen: „Wir brauchen nicht mehr 75 Taschenmodelle, diese Zeiten sind definitiv vorbei.“

Dass selbst einem erfolgsverwöhnten ­Designer wie Marc Jacobs angesichts des ­eisigen Winds in der Branche die Angst im Nacken sitzt, beweist die Tatsache, dass seine Pariser Show im vergangenen Frühjahr mit nur 16-minütiger Verspätung anstelle der ansonsten üblichen 70 Minuten begann. Und noch mehr: Er entschuldigte sich sogar persönlich für die ungewöhnlich geringe Wartezeit. Die Demutsgeste wurde als Kniefall vor „der Tolle“ gewertet. „Die Tolle“, so der Spitzname in der Branche für Suzy Menkes ob ihres aufge­pflusterten Haarnests, ist die Modekritikerin der „International Herald Tribune“ und gilt im Modebusiness als die wichtigste Scharfrichterin neben „dem Teufel“, so der Branchenjargon für Anna Wintour, Chef­redakteurin der amerikanischen „Vogue“. Menkes hatte Jacobs’ Frühjahrs-Show „als traurige Vorstellung voller Ideenlosigkeit“ kritisiert, für die man zu allem Überfluss auch noch Wartezeit in Kauf nehmen ­musste. Die Wetten stehen hoch, dass der 45-jährige Jacobs, der seine frühere Drogensucht heute mit einem Gesundheitswahn therapiert, kommenden Mittwoch in Paris seine Models pünktlich über den Laufsteg hetzen wird. Paris trägt bereits zu Beginn der Modewoche, die bis zum kommenden Wochenende laufen wird, vor allem Schockstarre. Viele Einkäufer und Journalisten ­haben abgesagt, da sich ihre Arbeitgeber
die anfallenden Spesen nicht mehr leisten wollen.

Gesetzt den Fall, dass Wintour, die früher noch ihren eigenen Friseur zur täglichen Trimmung ihres Pagenkopfs nach ­Mailand und Paris mitschleppte, rechtzeitig in der ersten Reihe Platz genommen und ihre Chanel-Sonnenbrille heruntergeklappt hat, wird Jacobs also wohl pünktlich beginnen. Doch auch der Stern der geborenen Britin, die mittels der Macht der „Bibel“, so das ­Jargon-Synonym für die „Vogue“, über ­Leben und Sterben von Kollektionen und Designern entscheiden konnte, verblasst ­allmählich. Während in den Programm­kinos der Modemetropolen der Dokumentarfilm „The September Issue“ (Österreich-Start noch ungewiss) läuft, in der „Nuclear Wintour“ 2007 bei der redaktionellen ­Gestaltung der durch üppiges Inseratenaufkommen 930 Seiten starken September-Ausgabe über die Schulter geschaut wurde, ist die aktuelle Ausgabe der „Vogue“ so dünn wie das Cover-Model Kate Moss. Unter ­welchem Druck Wintour steht, dokumentiert der Umstand, dass sie Mitte ­September im New Yorker Arme-Leute-Stadteil Queens gesichtet wurde. Mit den Designern Diane von Fürstenberg und ­Michael Cors im Schlepptau versuchte die nicht nur von ­Anzeigen-, sondern auch von Auflagenverlusten gebeutelte Chefredakteurin im nicht gerade glamourösen Kaufhaus Macy’s die Konsumlust der Schaulustigen anzukurbeln. Der Teufel trägt neuerdings also Demut.

Rabatt vom Meister. Ein prominenter österreichischer Kulturschaffender, der unlängst in Tom Fords New Yorker Flagship­store auf der Madison Avenue einen Anzug probierte, traute seinen Augen nicht, als der Meister selbst den Laden betrat und ein Kompliment bezüglich der Passform fallen ließ. Als der Kunde anmerkte, dass der Anzug zwar wunderbar sei, aber dennoch weit über seinem Budget läge, bot ihm Ford kurzerhand allen Ernstes einen Rabatt an. Ein skurriles Szenario, das tief blicken lässt. Schließlich war Tom Ford in seinen Gucci-Hochzeiten der gefragteste Designer dieses Planeten. Jetzt macht der Mann vor allem Filme; seine geschmäcklerische Isherwood-Verfilmung „A Single Man“ wurde kürzlich in Venedig präsentiert.

In den großen US-Luxuskaufhäusern wie Bergdorf Goodman, Bloomingdale’s und Barney’s gibt man es noch billiger und sucht mit einer „Supersales“-Politik die überteuerten Teile, die wie Blei in den Regalen liegen, mit Preisnachlässen bis zu 80 Prozent loszuwerden. Mit Late-Night-Shoppings, inklusive freier Drinks und Tuchfühlung mit Designern wie Michael Cors, Zac Posen oder Vera Wang, soll gestressten Karrierefrauen der Erwerb von Designerware zum Wohlfühl-Event gestaltet werden. Bei einer Arbeitslosenrate von fast zehn Prozent und vor allem einem hohen Blutverlust innerhalb der oberen Mittelschicht, die in den Boomjahren verlässliche Abnehmer von ­Prada, Gucci oder Donna Karan war, erscheinen Bemühungen dieser Art wenig ­aussichtsreich. „Der Luxusmarkt hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Massenmarkt gewandelt“, sagt Johannes Siemens vom deutschen Beratungsunternehmen KPMG. „Die neuen Kundenschichten brechen in der Krise auch als Erste wieder weg.“ Bei einer Krisensitzung der amerikanischen Modeindustrie im Rahmen der heuer stark abgespeckten New Yorker Fashion Week Anfang September versuchte der verunsicherte Designerklüngel, neue Strategien zu entwickeln, um den freien Fall zu stoppen. Laut Luxusanalysten wird die Misere im Modegeschäft nämlich noch mindestens vier bis fünf Jahre andauern. Das Resultat der mehrstündigen Sitzung war jedoch nicht ­besonders originell: Neue Präsentations­wege sollten beschritten werden, etwa verstärkte Internetauftritte und intensivierte persönliche Kontakte in den Showrooms mit Einkäufern und Journalisten. Dadurch solle eine Reduktion der Catwalk-Kosten erzielt werden. Ein Show-Budget unter 100.000 Euro galt bislang in der Modeelite als lachhaft.

Diätprogramm. Marc Jacobs setzte in New York schon einmal ein heldenhaftes Signal, indem er 1000 Leute von der Gästeliste strich; Zac Posen reichte Backstage Obst und Wasser statt des ansonsten obligaten 3-Hauben-Fingerfoods und Champagner; einige junge Designer beschränkten sich von vornherein auf Internetauftritte. Traditionell hochpreisigen Modemachern wurde bei dem Versuch zur Schadensbegrenzung geflüstert, es doch einmal mit Teilen unter 1000 Dollar zu versuchen, was den stets solariengebräunten Oscar de la Renta ein wenig blass um die Nase werden ließ. Keine allzu waghalsigen Experimente auf dem Laufsteg wurden weiters nachdrücklich angeraten, „denn eine falsche Entscheidung wie Haremshosen oder Ballonröcke könnte eine ganze Saison kosten“, so die selbst ernannte „Psychiaterin“ der Truppe, Diane von Fürstenberg, deren Flagshipstore im New Yorker Meatpacking District schon einmal wesentlich bessere Tage gesehen hat. Ein Warnruf, der Mailand nicht erreicht haben dürfte. Die Kollektionen für das Frühjahr 2010 boten vulgären Glamour und zerfetzte Jeans (Roberto Cavalli), im Alltag untragbare Transparentteile (Prada), eigenartige Spitzenkleider und Hotpants (Dolce & Gabbana) sowie einen so unbekümmerten wie durchgeknallten Schulmädchen-Goes-Grunge-Look (Dsquared). „Wer soll diesen Irrsinn bitte tragen?“, fragte, wie viele andere auch, der britische ­„Guardian“. „Eine Frau, die in der Krise ist, braucht eben noch mehr Make-up als sonst“, begründete Domenico Dolce die Exzentrik der aktuellen Kollektion, die alles andere als massentauglich ist.

Fatale Konsequenzen. Roberto Cavalli, der in schwere Finanzturbulenzen geratene Verfechter des ewigen Schlampenlooks, begegnet den Widrigkeiten der Realität mit trotziger Arroganz und schenkte der Welt kürzlich eine Hundekollektion, einen Nachtclub in Dubai und das Versprechen, demnächst ein Couture-­Atelier zu gründen. Dass Miuccia Prada auch Ende dieser Wintersaison, wie erstmals im Vorjahr, das Schild „Saldi“ auf die Scheiben ihres Mailänder Flagshipstores kleben lässt, erscheint bei ihrem Schuldenberg und den nervösen Investoren nahezu sicher. Luxusstrategen ­schlagen jedoch Alarm: Panikmaßnahmen dieser Art ­können die Glaubwürdigkeit von Marken für immer zerstören. „Das sind Öffnungen mit fatalen Konsequenzen. Wo man verstärkt Wege nach unten suchte, ging im ­Endeffekt immer alles kaputt“, sagt Manfred Schmidt, Leiter des Genfer Instituts für Markentechnik, im profil-Interview. „Die Modebranche, wie sie sich heute darstellt, ­befindet sich in einem Endstadium.“ Der Wiener Luxus-Entrepreneur Florian Jonak (u. a. Dolce & Gabbana, ­Hermès), der in den letzten zehn Monaten „Umsatz­einbußen im einstelligen Bereich“ verbuchen musste, ­klassifiziert eine aggressive Preispolitik ebenfalls als ­falschen Weg: „Wenn Gucci in Parndorf ein Outlet ­eröffnet, wird die Ware in der Innenstadt nicht mehr ­luxuriös wirken.“

Zwischen einem Lizenzausverkauf – Parfüms und Kosmetika mit Designerlogo erweisen sich als durchaus krisenresistent – und Durchhalten unter brutaler Kosten­abrüstung scheint es für die Luxusbranche in den nächsten Jahren wenig Alternativen zu geben. „Die Mode hat sich eben viel zu lang wie Marie Antoinette auf der Flucht nach Varennes benommen“, erklärt Wolfgang Joop, der sich nach dem Verkauf seiner Marke Joop! auf das elitäre Couture-Label Wunderkind beschränkt hat. „Während der Henker sich bereits für das Schafott fertig machte, überlegte sie noch immer, welches Kleid sie am besten anziehen wird. Und verspätete sich somit tödlich.“

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.