"Grasser wird seine Gründe gehabt haben …"

Klaus Tschütscher hofft auf Übergabe der Grasser-Akten

Interview. Liechtensteins Regierungschef Klaus Tschütscher über Grasser und die Machtfülle des Fürsten

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Interview: Herbert Lackner, Christian Rainer

profil: Herr Regierungschef, haben Sie die Grasser-Akten schon als Gastgeschenk dabei?
Tschütscher: Nicht direkt, aber der Oberste Gerichtshof hat erfreulicherweise in diesen Tagen sehr rasch entschieden, dass die Unterlagen zur Ausfolgung an Wien freigegeben werden.

profil: Es ist aber immer noch nicht ganz sicher, dass sie kommen. Es gibt ja noch eine Rekursmöglichkeit.
Tschütscher: Es gibt noch die Möglichkeit der Beschwerde an den Staatsgerichtshof, bei der der Beschwerdeführer die Verletzung verfassungsmäßiger Rechte anführen kann. Aber es ist nicht klar, ob es diesen weiteren Versuch überhaupt noch geben wird.

profil: Wie lange dauert das dann noch?
Tschütscher: Die Individualbeschwerde muss innerhalb von vier Wochen eingebracht werden, der Staatsgerichtshof würde dann sehr rasch entscheiden. Meine Hoffnung geht dahin, dass von dieser Möglichkeit nicht mehr Gebrauch gemacht wird.

profil: Die Entscheidung der zweiten Instanz hat ja nicht wirklich zum Ansehen Ihres Landes beigetragen.
Tschütscher: Instanzen haben ihre Entscheidungen nicht nach der Reputation zu fällen, sie sind dem Recht verpflichtet. Natürlich ist allen, auch der Richterschaft klar, dass dieser Fall Einfluss auf die Reputation unseres Landes hat. Ein solcher Fall erregt die öffentliche Aufmerksamkeit.

profil: Warum gibt es in Liechtenstein eine Rechtslage, die solche Entscheidungen möglich macht?
Tschütscher: Kein Rechtsstaat macht rückwirkende Gesetzesänderungen. Aber Sie müssen auch das Liechtenstein der Zukunft ansehen. Die Welt in Liechtenstein ist seit dem Jahr 2008 eine andere. Was Liechtenstein in den vergangenen drei, vier Jahren in der Missbrauchsbekämpfung und der Steuerkooperation auf die Beine gestellt hat – da sind wir manchen Staaten in der EU voraus.

profil: Würden Sie sagen, dass die Gesetze, die den Fall Grasser betreffen, nicht mehr zeitgemäß sind?
Tschütscher: Das eventuelle Fehlverhalten hat ja nicht auf dem Territorium Liechtensteins stattgefunden! Wir haben heute die höchsten Standards betreffend Geldwäsche, bei der Kooperation in Steuerangelegenheiten und bei den Aufsichtsregeln. Aber für Sachverhalte, die in der Vergangenheit passiert sind, kann es keine rückwirkenden Gesetzesanpassungen geben.

profil: Aber es gibt immer noch intransparente Stiftungen, bei denen man nicht weiß, woher das Geld kommt.
Tschütscher: Es gibt kein öffentliches Register, aber es ist jederzeit der Zugriff möglich, wenn es zu Missbrauchsfällen kommt.

profil: Die österreichischen Behörden würde es sehr interessieren, wem die Stiftungen Silverland und Waterland gehören. Das ist aber nicht so einfach herauszu­finden.
Tschütscher: Wir haben das Stiftungsrecht 2008 grundlegend reformiert, dabei die zivilrechtliche Governance entscheidend gestärkt. Diese Reform schaut in die Zukunft. Jetzt wollen wir mit gleichem Elan die steuerliche Seite regeln. Wir sind im Interesse unserer langjährigen Kundenbeziehungen an effizienten, raschen Lösungen interessiert. Der ausländische Staat soll zu seinen Steuern kommen, liechtensteinische Strukturen müssen anerkannt werden und damit endlich Rechtssicherheit bekommen.

profil: Österreich fordert jetzt 20 bis 40 Prozent an Steuern aus intransparenten Stiftungen, die Österreichern zuzuordnen sind. Was werden Sie tun?
Tschütscher: Es ist bislang nicht an uns gelegen, dass diese Verhandlungen nicht schon abgeschlossen sind. Unser Angebot liegt seit Herbst 2010 im Ministerium in Wien.

profil: Können Sie uns Ihr Angebot referieren?
Tschütscher: Wir sind der Meinung, dass die europarechtswidrige Besteuerung der liechtensteinischen Stiftungen in Österreich wegfallen muss, und sind bereit, auf der Basis einer grenzüberschreitenden Abgeltungssteuerregelung Stiftungen in solche Lösungen miteinzubeziehen.

profil: 20 bis 40 Prozent?
Tschütscher: Das sind Fragen der Verhandlungen.

profil: Wie erklären Sie sich eigentlich, dass Leute wie Grasser ihr Geld nicht in die nächste Bankfiliale tragen, sondern nach Liechtenstein?
Tschütscher: Das müssen Sie Herrn Grasser selbst fragen.

profil: Auch griechische Milliardäre tragen ihr Geld nach Liechtenstein.
Tschütscher: Die griechische Kundschaft ist nicht in großer Zahl vorhanden. Vermögende Leute wollen eine Diversifikation ihres Vermögens vornehmen. Heute suchen sie dabei Länder mit hoher politischer und wirtschaftlicher Stabilität, in denen nicht dauernd Steuerdiskussionen stattfinden. Wir haben in den letzten hundert Jahren nur drei Steuerrechtsrevisionen durchgeführt. Das gibt dem Investor Sicherheit, nicht irgendwann enteignet zu werden. Deswegen haben unsere Banken Zulauf. Wir bewegen uns von der Steueroase zur Stabilitätsoase.

profil: Also das bringt Leute wie Grasser nach Liechtenstein!
Tschütscher: Ich kenne Herrn Grasser und seine Motive nicht. Aber er wird seine Gründe gehabt haben, nach Liechtenstein zu gehen.

profil: Sie hatten vergangenes Jahr ein Wirtschaftswachstum von zehn Prozent. Hängt das vielleicht damit zusammen, dass viele Leute in der Eurokrise ihr Geld bei Ihnen in Sicherheit gebracht haben?
Tschütscher: Liechtenstein lebt nicht vom Finanzplatz allein. 45 bis 50 Prozent der Menschen bei uns verdienen ihr Geld in der Industrie. Bei uns sind Firmen wie Thyssen-Krupp, Hilti, große Konzerne, die aus Liechtenstein heraus Produkte in verschiedenen Industriezweigen anbieten. Immerhin geben wir 9000 Grenzgängern aus Österreich und ebenso vielen aus der Schweiz solide Arbeit und gute Löhne.

profil: Ist es nicht unmoralisch, wenn Leute ihr Geld aus Ländern wie Griechenland in Liechtenstein in Sicherheit bringen und sich der Fürst dann noch hinstellt und sagt, man sollte diese kaputten Staaten bankrottgehen lassen?
Tschütscher: Ich halte es nicht für richtig, die Griechen mit Fremdkapital an der Leine zu führen. Es wäre ehrlich, den Griechen Abkommen anzubieten, die die Bevölkerung zur Steuerehrlichkeit ermuntern. Wir verhandeln mit den Griechen über ein solches Angebot. Der griechische Finanzminister sagte selbst: Wenn alle Steuerverpflichtungen erfüllt würden, könnten sich die Griechen selbst finanzieren.

profil: Sind Sie wie Ihr Fürst dafür, Griechenland bankrottgehen zu lassen?
Tschütscher: Wenn einzelne Länder ihre Haushalte nicht mit Disziplin in den Griff kriegen, dann muss man in Kauf nehmen, dass solche Länder geordnet in Konkurs gehen können.

profil: Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb kürzlich: „Arabischer Frühling: Nun hat er die Tore einer kleinen Alpenfestung erreicht. Im Fürstentum Liechtenstein rebelliert das Volk gegen die absolutistische Vormacht des Fürsten.“ Ist es so?
Tschütscher: Nein. Das Volk hat 2003 mit weit über 60 Prozent der heutigen Verfassung zugestimmt, das ist auch in anderen Ländern zu akzeptieren. Jedes Land entscheidet selbst, welche Ausgestaltung der Demokratie es für sich beansprucht. In Liechtenstein gibt es eine geteilte Souveränität: Die Souveränität liegt beim Volk und beim Fürsten. Da ist es natürlich, dass es da und dort unterschiedliche Auffassungen gibt.

profil: 2003 hat sich der Fürst ein Vetorecht gegenüber Referenden und Parlamentsbeschlüssen in die Verfassung ertrotzt, indem er vor der Volksabstimmung darüber mit seiner Auswanderung nach Österreich gedroht hat. Ist das nicht absurd?
Tschütscher: Ich frage mich, wie man sich anmaßen kann, allen mündigen Bürgern in Liechtenstein mangelndes Demokratieverständnis vorzuwerfen. Und das aus Ländern, die solche Systeme nicht kennen und eine andere Größe haben.

profil: Der Vorwurf war nicht das Demokratieverständnis. Es ging um den Erpressungsversuch des Fürsten am Volk Liechtensteins.
Tschütscher: Man kann darüber diskutieren, zu welchem Zeitpunkt der zweite Souverän, also der Fürst, seine Meinung zu Sachfragen, Referenden und Initiativen äußern soll. Ich habe eine klare Meinung dazu, die auch der Erbprinz kennt, der ja jetzt die Geschäfte führt: Das Volk soll sich zunächst seine Meinung bilden, danach soll sich aufgrund der Verfassung der Fürst seine Meinung bilden.

profil: Vor der Volksabstimmung über die Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbruch vor zwei Jahren hat der Erbprinz gesagt: Ihr könnt abstimmen, wie ihr wollt, ich werde das Gesetz ohnehin nicht unterzeichnen.
Tschütscher: Fragt sich nur, welchen Effekt das hatte. Ich kenne Leute, die gesagt haben: Jetzt stimme ich extra anders ab, als es meinem Gewissen entsprochen hätte, weil der Erbprinz diese Äußerung getätigt hat. Kritisch wird es, wenn sich die Bevölkerung und das Fürstenhaus so weit entfremden, dass die Ausübung des Vetorechts zur Normalität würde. Dann gibt die Verfassung dem Volk die Möglichkeit, über die Monarchie-Abschaffung nachzudenken. Das Vetorecht, wie es bei uns angelegt ist, ist übrigens kein Unikum auf der Welt. Es kann vom Erbprinzen nur im Rahmen der Verfassung und nicht willkürlich ausgeübt werden.

profil: Erscheint es Ihnen nicht ein wenig antiquiert, dass ein Fürst mehr zu bestimmen hat als ein Parlament? Das gibt es in Österreich seit 150 Jahren nicht mehr.
Tschütscher: Und deswegen ist die Entwicklung besser als in Liechtenstein?

profil: War es auch zeitgemäß, das Frauenwahlrecht erst 1984 einzuführen?
Tschütscher: Das hätte früher kommen müssen. Aber wir hatten letztes Jahr die Diskussion um die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare. Liechtenstein hat den Mut gehabt, dieses Thema dem Volk vorzulegen, und die Bevölkerung hat mit über 70 Prozent dafür gestimmt. Man darf die Liechtensteiner nicht als Hinterwäldler darstellen.

profil: Würden Sie auch das nahezu uneingeschränkte Notverordnungsrecht des Fürsten als zeitgemäß bezeichnen?
Tschütscher: Sie sprechen Artikel 10 der Verfassung an. Auch das Notverordnungsrecht ist an klare Regeln gebunden und wurde noch nie angewendet. In der Schweiz kann der Bundesrat auch Notrecht erlassen.

profil: Mit dem Unterschied, dass der Bundesrat kein Monarch ist, der durch Erbfolge an die Spitze des Staates gekommen ist.
Tschütscher: Wenn es Notsituationen gibt, kann es sogar von Vorteil sein, wenn nicht jemand das Notrecht erlassen muss, der sich wieder einer Wahl zu stellen hat und deshalb Entscheidungen mitunter nicht ganz unvoreingenommen treffen kann.

profil: Halten Sie es für klug, dass das Fürstenhaus eine Bank besitzt?
Tschütscher: Die Mitglieder des Fürstenhauses sind Bürger dieses Landes, als solche haben sie das Recht freier unternehmerischer Entfaltung. Der Fürst und der Erbprinz sind sich ihrer Rollen bewusst. Man kann diesen Männern schon zutrauen zu wissen, in welcher Rolle sie jeweils handeln.

profil: Auf dieser Bank waren Millionen an deutschem Schwarzgeld gebunkert, wie die berühmte Steuer-CD gezeigt hat. Würde Bundespräsident Heinz Fischer eine Bank besitzen, auf der Schwarzgeld lagert, würde er sofort seines Amtes enthoben.
Tschütscher: Das hängt auch damit zusammen, dass sich die ideologischen Grabenkämpfe in Liechtenstein auf ein absolutes Minimum beschränken, dass man sich eher sachorientierter Themen annimmt und nicht ständig Lösungen kritisiert, nur weil sie nicht aus der eigenen Küche kommen.

profil: So nebensächlich ist es aber nicht, wenn ein Fürst eine Bank besitzt, auf der Schwarzgeld liegt.
Tschütscher: Man könnte auch die Frage stellen, ob ein Staat im Mehrheitsbesitz einer Landesbank sein darf. Ist der Regierungschef dann nicht auch in seinen Handlungen eingeschränkt? Diese Frage würde zu einer völligen Entkoppelung von Staat und Wirtschaft führen. Soviel ich sehe, wird in vielen Ländern die umgekehrte Diskussion geführt. Dort sollen Banken vor allem in Krisensituationen wieder verstaatlicht werden.

profil: Ist eine Monarchie Ihrer Meinung nach die langfristig bessere Staatsform?
Tschütscher: Ich kann dazu nur sagen, dass das System auch bei uns auf „checks and balances“ ausgerichtet ist. Bei Fragen, die ins Persönliche gehen, wie dem Schwangerschaftsabbruch, wird der Fürst natürlich seine persönliche Entscheidung treffen. Demokratiepolitische Anliegen werden bei uns immer wieder diskutiert, auch emotional diskutiert, aber die Geschichte dieses früher so verarmten Landes hat uns gelehrt, dass das Zusammenspiel zwischen der Bevölkerung und dem längerfristigen Element des Fürstenhauses sinnvoll ist.

profil: Es gibt jetzt eine Initiative zur Einschränkung des 2003 vom Fürsten ertrotzten Vetorechts. Welchen Erfolg wird die Aktion haben?
Tschütscher: Die Initiative ist mit rund 1700 Unterschriften zustande gekommen und wird nun dem Parlament vorgelegt. Sollte dieses nicht auf die Initiative eintreten, muss das Volk entscheiden. Die Volksabstimmung wird es dann am 1. Juli geben.

profil: Wie wird sie ausgehen?
Tschütscher: Ich denke, es ist mit einer Ablehnung zu rechnen. Das schließe ich aus der Berichterstattung und den Diskussionen, die ich mitbekomme. Viele sagen, jetzt wäre nicht der richtige Zeitpunkt für so eine Änderung.

profil: Der Erbprinz hat schon wieder gedroht: Er will sich im Fall eines Ja mit seiner Familie völlig zurückziehen.
Tschütscher: Wie schon gesagt: Man kann unterschiedlicher Auffassung darüber sein, zu welchem Zeitpunkt das Fürstenhaus sich zu Referenden äußern soll.

profil: Er macht es immer vorher. Hören wir da leise Kritik von Ihnen heraus?
Tschütscher: Ich glaube, dass es kein Betriebsunfall wäre, wenn erst danach unterschiedliche Auffassungen entstehen würden. Man kann diese Diskussion doch völlig entspannt und zurückgelehnt führen.

profil: Stört es Sie eigentlich, dass sich 90 Prozent der Meldungen über Liechtenstein in den Medien mit Wirtschaftskriminalität beschäftigen?
Tschütscher: Es ist unseren Bemühungen, ein verlässlicher Partner zu sein, natürlich abträglich, wenn die Argumentation immer in die gleiche Kerbe schlägt. Wir wissen, dass wir das medial nicht zurückgeben können, weil wir keine Massenmedien haben. Deshalb bin ich froh über Ihre kritischen Fragen. Aber man sollte keine Energie darauf verschwenden zu versuchen, Dinge zu beeinflussen, die man nicht beeinflussen kann. Das muss man dort tun, wo man es kann, und das habe ich hier versucht.

Foto: Philipp Horak für profil