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Gratisfreuden

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„Du findest keine Brille, die auf der Nase sitzt.“
Volksweisheit

Dieser Tage entdeckte ich den Wert der Freunde wieder. Es kam einfach so, aus heiterem Himmel. Oder weil ich gerade vor der Bücherwand stand. Jeder fünfte Buchrücken erinnert an FreundInnen. Entweder schrieben und widmeten sie das Werk. Oder sie kauften es als Geschenk. Diese Titel erkennt man daran, dass sie auf die Eigenart des Beschenkten abgestimmt sind: absurde, im Idealfall vollendet nutzlose Literatur.

So findet man in dieser Buchwand ein Lexikon der letzten Worte (Voltaire: „Warum sprechen Sie so schlecht, Abbé?“), ein tropisches Wörterbuch, Scott McClouds „Comics richtig lesen“, eine spektakuläre Aufzählung aller Globen-Arten und die bislang gründlichste Kulturgeschichte des Kabeljaus. Daneben eine Reihe von Hörbüchern, die als Gattung wichtig wurden, darunter Ludwigs „Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit“, Mareceks „Das ist ein Theater“-Schnurren und Doderers Schrulli-Opus „Die Merowinger“, das per stimmlichen Vortrag ein zweites Mal hochfliegt.

Freunde und Bücher werden normalerweise geliebt, aber nicht geschätzt. Die Unterschätzung liegt in der treuen Verfügbarkeit. Außerdem kommen sie keineswegs, wie der Titel dieser Kolumne suggeriert, gratis des Weges. Meine FreundInnen etwa trinken gern, und nur das Beste. Auch Bücher sind ein Kostenfaktor, und nicht der kleinste. Auf jeden dritten Com-Giftler, der sich per Handy in den Privatkonkurs telefoniert, kommt ein Hirnhungriger, der fünfmal mehr Bücher kauft, als er zeitlebens lesen kann.

Der Weise und Wirtschaftskundige wird aber so nicht rechnen. Der Preis einer Person oder Sache sagt nichts. Er ist eine statische Größe. Die Zuwächse sind entscheidend, die Dynamik von Zins und Zinseszins. Freunde und Bücher verzinsen sich üppig, sofern ein paar Regeln beachtet werden.

Bei Freunden gilt die „ideale Gesellschaftsform des kleinen Rudels“ (Herbert Völker). Die Limitierung hat nichts mit Dünkel, viel mit Hausverstand zu tun. Das verfügbare Betreuungsvolumen kann nur dann tief gehen, wenn die Auflagefläche klein ist. Außerdem ist auf Mischung zu achten. Gar nicht dumm die Übung der bürgerlichen, um Wohltätigkeit und Selbstnobilitierung bemühten Clubs à la Rotary, Lions & Co, die von jedem Berufsstand nur ein Mitglied zulassen. Allerdings: Freundschaft ist kein Konstrukt. Das Herz ist nicht viereckig. Nur im Glücksfall wird das Rudel so aussehen, dass Arbeiter, Freiberufler, Manager, Unternehmer, Banker, Müßiggänger, Kriminelle, Künstler und Priester einander in idealer Mischung ergänzen. Übrigens können selbst Anwälte, Politiker und Journalisten, die traditionell im fairen Wettstreit um die untersten Ränge der Sympathie-Rankings liegen, eine Bereicherung sein.

Auch bei Büchern mag die Entdeckung der Vielfalt ein Segen sein. Den Kanon der Klassiker zu lesen ist ad Bildung kein Nachteil. Ich sag’s nicht gern, aber den subjektiv besten Kanon der „50 wichtigsten Bücher“ las ich in profil
Nr. 50/2001. Umgekehrt gliche ein Verzehr der jeweils aktuellen Bestsellerliste, um gesellschaftlich mitreden zu können, einer Gehirnverbrennung. Freilich regelt sich da vieles selbst. Je mehr einer liest, desto weniger vom Mainstream kommt infrage. Fantastische Nebenwelten werden dann interessant: Biografien, Tagebücher, Briefwechsel, Lyrik, junge Experimentalliteratur. Auch Perversionen bieten erfrischende Kopfpflege. Als küchenferner Macho lese ich beispielsweise die Kochbücher meines Kolumnen-Nachbarn Christoph Wagner mit entsetztem Entzücken, wie etwa ein Banker die „Grundlagen des Zungenpiercings“.

Bisheriges Fazit: Es gibt zwei Gratisfreuden bzw. Gewinn-Freuden, die wir bewusster wahrnehmen sollten. Erstens die Freunde als Wärmeflaschen (Copyright angemeldet), Schenker und Gratisberater. Zweitens die Literatur, weil sie ermöglicht, in einem Leben tausend Leben zu leben. Zwei weitere Freuden sind denkbar. Sie lauten in knapper Skizze wie folgt:

• Handarbeit: Dass Kopfarbeit gleitend die Handarbeit ersetzt, ist Binsenweisheit. Nicht aber eine Inklination. Es gibt heute Mitbürger, die niemals handwerklichen Erfolg genossen. Tipp: Streben Sie danach! Sie werden den archaischen Urgrund Ihrer Seele aufrühren. Unendliche Glücksgefühle. Sie müssen aber nicht gleich die Hölle der Heimwerker betreten. Einfache Aufgaben genügen. Beispiel: Im Vorjahr tankte ich erstmals per Selbstbedienung. Ich machte alles richtig, absolut perfekt, staubfrei, keine Explosionen, Bezahlung an der Kassa. Ich küsste meine goldenen Hände. Triumphe wie diese müssen umsichtig gesucht werden. Man darf sich nicht überschätzen. Aller Anfang ist schwer. Dies bewies einst mein Einser-Freund Franz Josef, den ich nach seiner eingegipsten Hand befragte. Antwort: „Ich habe zum ersten Mal versucht, mir selbst die Tür zu öffnen.“ Logische Folge: Anbrüche, Schnittwunden, schwere Prellungen.

• Entsorgung: Man sollte vielleicht besser „Auslichtung“ sagen. Der überfrachtete, von Schrott und Besitzlast umhüllte Bürger von heute kennt ein spezielles Glücksgefühl. Es kommt mit dem Aussortieren und Wegwerfen. Jeder Schritt in Richtung Leere hat Erlösungsstatus.

Übertragen gilt dies auch für Termine. Gute Erklärungen für dieses Phänomen liefert das Werk eines Mannes, mit dem ich einst Tibet bereiste: „Der Mönch in mir“ von Heinz Nußbaumer (Styria, Wien 2006). Auch so eine Gewinn-Freude, die aus der Ecke der Freunde und Bücher kommt, mit 14,90 Euro praktisch gratis.