'Grauer Star' der Volkspartei

Die durchwachsene Bilanz des Obmanns

Drucken

Schriftgröße

In der Volkspartei haben sie resigniert. Ab einem gewissen Zeitpunkt kann man nichts mehr tun. Tausendmal hat man es öffentlich erklärt, aber noch immer nehmen es einem viele nicht ab. Jedes weitere Wort wäre kontraproduktiv. Damit muss man sich nun abfinden. Sollen sie halt glauben und schreiben, was sie wollen. Wilhelm Molterer und seiner Crew ist es mittlerweile egal. Und Wolfgang Schüssel sagt sowieso nichts dazu. Dabei ist genau er das Problem: Bei SPÖ, Opposition und Medien gilt der Ex-Kanzler noch immer als die wahre Nummer eins der Partei, als graue Eminenz, die hinter den Kulissen die Strippen zieht und Wilhelm Molterer keinen Platz zur Entfaltung lässt.

„Wer der aktuelle Chef ist, ist der aktuelle Chef“, sagte Molterer 1995, als Wolfgang Schüssel – belächelt auch in den eigenen Reihen – Bundesparteiobmann der ÖVP geworden war. Seit einem Jahr ist Molterer der Chef. Am 21. April 2007 wurde der Oberösterreicher beim Bundesparteitag in Salzburg mit 97 Prozent der Stimmen zum 13. Obmann der ÖVP gewählt. Zum Jahrestag sind keine größeren Feiern geplant. Vielleicht arrangiert die Partei ein paar kleinere Überraschungen.

Beinahe hätte sich die Geschichte wiederholt. Wolfgang Schüssel war im ersten Jahr seiner Parteiobmannschaft 1995 in Neuwahlen gezogen. Wilhelm Molterer hatte 13 Jahre später ebenfalls einen Neuwahlplan in der Aktentasche. Nach Bundeskanzler Alfred Gusenbauers Ultimatum vom März, die Steuerreform auf 2009 vorzuziehen, zeigten sich Teile der Partei, darunter Wolfgang Schüssel, wild entschlossen, den Absprung zu riskieren. Die internen Umfragen sahen die Volkspartei deutlich vor der SPÖ. Dass die rot-schwarze Koalition nicht brach, lag an Molterer. Dem aktuellen Parteichef fehlt das Hochrisiko-Gen seines Vorgängers. Molterer ist zurückhaltender: Bei den internen ÖVP-Beratungen meldete er sich selbst kaum zu Wort.

Schwächezeichen. Neuwahlanhänger in der Partei, wie etwa die steirische Landesgruppe, interpretierten Molterers Verhalten als Schwäche, die Fans der großen Koalition wie die Landeshauptleute Erwin Pröll und Josef Pühringer als bestandene Bewährungsprobe. Bei der Sitzung des ÖVP-Parteivorstands am 25. März, der den von Molterer und Gusenbauer vereinbarten Neustart der Koalition absegnete, war Pröll voll des Lobs für Molterer: Der Bundesparteiobmann gewinne an Format. Derartige Treueschwüre aus St. Pölten waren in den vergangenen Jahren selten.

Molterer führt die ÖVP weniger straff als sein Vorgänger. Schüssel verließ sich auf einen elitären Zirkel, Molterer bindet auch politische Leichtgewichte wie seine Stellvertreterin Andrea Kdolsky ein. Schüssel war Regierungschef, wurde zum unnahbaren Idol und machte die ÖVP zum Kanzlerwahlverein. Molterer ist bodennäher und begegnet seinen Vorstandsmitgliedern auf Augenhöhe. Mit Funktionären radelt er gern übers Land. Und wer will, kann den Parteichef jederzeit am Handy erreichen. Schüssel war abstrakt und lud sich Philosophen wie Peter Sloterdijk ins Kanzleramt. Molterer ist konkret und zitiert im Zweifel lieber Bauernregeln.

Fehlender Chef-Habitus. Jahrelang war der heutige ÖVP-Obmann der ideale zweite Mann hinter Schüssel. Dessen Chef-Habitus und die natürliche Autorität des geborenen Führers fehlen Molterer. Er erarbeitete sich sein parteiinternes Ansehen auf die anstrengende Tour durch Einsatz, Loyalität und Verlässlichkeit. Doch mühsam errungene Autorität reagiert empfindlich auf Störungen von außen. Mit seiner jüngsten Kritik an Wolfgang Schüssel traf der frühere EU-Kommissar Franz Fischler auch Wilhelm Molterer. In einem Interview mit der „Tiroler Tageszeitung“ hatte Fischler vor zwei Wochen den Rücktritt des Klubobmanns gefordert: „Wolfgang Schüssel ist allein durch sein Dasein in dieser Funktion ein Problem. Das glaubt er zwar nicht, es ist aber so. Er engt, wenn vielleicht auch nicht bewusst, den Freiraum von Parteichef Wilhelm Molterer ein.“

Doch Molterer will und kann seinen langjährigen Freund nicht opfern – selbst wenn die Parteigeschichte anderes lehrt: Schüssel war 1995 bei Amtsantritt als ÖVP-Chef schnell klar geworden, dass ihm die weitere Präsenz seines Vorgängers Erhard Busek schadete. Schließlich kann es nur einen geben. Wilhelm Molterer hat die ÖVP in seinem ersten Jahr neu kalibriert, vor radikalen Umstellungen schreckte er jedoch zurück. Die ÖVP ist keine Schüssel-Partei mehr, doch dessen frühere Mitarbeiter bestimmen im Hintergrund weiterhin den Kurs mit. Seinen Kabinettschef Ralf Böckle übernahm Molterer direkt aus dem Schüssel-Büro. Auch die frühere Sprecherin des Ex-Kanzlers, Heidi Glück, wird oft im Parlament gesichtet. Die Diskussion über die Neuausrichtung der Partei wurde in die Perspektivengruppe unter Leitung von Landwirtschaftsminister Josef Pröll ausgelagert. Dort gab es zwar keine Denkverbote, die Umsetzung der Ergebnisse stößt freilich auf emotionale Barrieren. Eine Homo-Ehe light am Standesamt will Molterer seiner Partei weiterhin nicht zumuten.

Widersprüche des Stellvertreters. Unter Wolfgang Schüssels Führung galt Linientreue als Grundprinzip und eine eigene Meinung als Disziplinlosigkeit, die meist vom Chefideologen Andreas Khol geahndet wurde. Weder den Medien noch dem politischen Gegner sollte Futter geliefert werden. In Molterers Volkspartei nimmt sich dessen Stellvertreter Josef Pröll die Freiheit, seinem Chef zu widersprechen und die standesamtlich eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle zu fordern. Molterers Problem mit seinem potenziellen Nachfolger Pröll und seinem Vorgänger Schüssel ist das gleiche: Rollenverteilung und Aufgabenverständnis der handelnden Personen sind nicht deutlich und laden nach innen und außen zu Interpretationen ein. Josef Pröll bezieht sein Selbstbewusstsein aus guten Umfragewerten. Der Landwirtschaftsminister ist nach Bundespräsident Heinz Fischer der zweitbeliebteste Politiker des Landes. Wilhelm Molterer ist dagegen der Josef Hickersberger unter den ÖVP-Spitzenpolitikern: zurückhaltend, vorsichtig und deutlich gehemmt. Dass das Budget „kein Bankomat ist, der im Himmel gefüllt und auf Erden geleert wird“, war der originellste – und deswegen gleich inflationär gebrauchte – Spruch des Parteichefs in seinem ersten Jahr. Die persönliche Umfragebilanz kann sich dennoch sehen lassen. In der Kanzler-Frage hat Molterer seinen Widersacher Alfred Gusenbauer ebenso überholt wie bei den persönlichen Sympathiewerten. In der Sonntagsfrage liegt die ÖVP mit 35 Prozent deutlich vor den Sozialdemokraten (30 Prozent). Die Wahlsiege in Graz und Niederösterreich haben der Partei verlorenes Selbstvertrauen zurückgegeben.

Als Molterer vor einem Jahr die ÖVP übernahm, überraschte er mit seiner politischen Anspruchslosigkeit. Es dauerte fünf Monate, bis der neue Obmann die Selbstzweifel überwand und sich selbst öffentlich zum Kanzlerkandidaten der ÖVP erklärte. Beim Wahlkampf-Abschluss der nieder­österreichischen Volkspartei wurde er für seine Verhältnisse sogar nassforsch: „Wir haben einen roten Bundeskanzler. Dieser Fehler muss korrigiert werden.“ In einer groß inszenierten Grundsatzrede am 15. Mai in der Wiener Hofburg wird Molterer erneut den Führungsanspruch stellen. 1995 hatte Wolfgang Schüssel am selben Ort seinen verdutzten Parteifreunden zugerufen: „Ich will Bundeskanzler werden.“

Wilhelm, der Eroberer? Damals zweifelte die ÖVP-Führungsriege an den Erfolgsaussichten ihres Parteiobmanns. Und auch heute gilt Molterer nicht bei allen Vorstandsmitgliedern als Siegertyp, der das Kanzleramt erobern kann. Doch niemand wird ihm die Spitzenkandidatur bei den kommenden Nationalratswahlen streitig machen. Der Einzige, der Molterer ernsthaft gefährlich werden kann, ist er selbst. Der Vizekanzler, Finanzminister und Bundesparteiobmann hat die hohe Kunst des Delegierens nie gelernt. Die Liebe zum Detail und den Trieb, sich auch um Kleinigkeiten zu kümmern, legte er in seinem neuen Spitzenamt nicht ab. Doch wer zu viele Akten studiert, vernachlässigt die Kommunikation und läuft Gefahr, das große Ganze zu übersehen. Wilhelm Molterer fehlt ein Ausputzer. Im Streit um die Finanzierung von Kinderbetreuungsplätzen zeigte sich Familienministerin Andrea Kdolsky leicht überfordert. Der Vizekanzler schaltete sich ein und übernahm persönlich die Verhandlungen mit den ÖVP-geführten Bundesländern. Wolfgang Schüssel hätte in einer solchen Situation auf seinen besten Mann zurückgegriffen. Wilhelm Molterers skurriles Hauptproblem: Er hat keinen Molterer.

Von Gernot Bauer