Grosny in Wien: Der Fall Umar Israilov

Grosny in Wien: Lässt die tschetschenische Regierung Widersacher ermorden?

Lässt Präsident Kadyrow Widersacher ermorden?

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Im Zickzack rannte Umar Israilov über die Leopoldauer Straße in Wien-Floridsdorf. Seine Mörder waren ihm dicht auf den Fersen. Autofahrer bremsten. An der Ecke Ostmarkstraße hatte die Jagd ein Ende. Der 27-Jährige war von drei Projektilen aus einer Pistole getroffen worden. Der tschetschenische Ex-Rebell, dreifacher Vater und Ehemann einer hochschwangeren Frau, starb Dienstag vergangener Woche auf dem Weg ins Krankenhaus. Die Killer sind unerkannt entkommen, der mutmaßliche Chauffeur der Mörder wurde noch am selben Nachmittag in Niederösterreich verhaftet.

Die Polizei ermittelt nun in „alle Richtungen“. Noch ist unklar, ob Umar Israilov Opfer krimineller Machenschaften oder politischer Rache wurde. Er ist allerdings nicht der erste Kadyrow-Kritiker, der in letzter Zeit auf offener Straße zu Tode kam. Wie fast alle seiner Generation kannte der 27-jährige Umar Israilov bis zu seiner Flucht nach Wien nur eines: Krieg. Als Jugendlicher hatte er gemeinsam mit den tschetschenischen Rebellen in den kaukasischen Bergen gegen die russische Armee gekämpft. Angeblich Seite an Seite mit Mowsar Barajew, einem der radikalsten islamistischen Rebellenführer. Barajew war der Anführer der Wahhabiten-Attentäter, die im Oktober 2002 ein Musicaltheater in Moskau besetzten. Er starb bei der Stürmung durch russische Spezialtruppen.

2003 geriet Israilov in die Fänge der russischen Armee, wurde aber bald freigelassen. Die Russen versprachen geläuterten Separatisten Amnestie. Israilov wurde in den Sicherheitsapparat von Ramsan Kadyrow eingegliedert. Ramsan diente damals zusammen mit Kumpanen seinem Vater Achmed Kadyrow als Sicherheitschef. Kadyrow senior hatte als Mufti von Grosny noch 1995 zum Dschihad gegen Russland aufgerufen, später aber wegen der islamistischen Radikalisierung der Separatistenszene die Seiten gewechselt. Kadyrow senior wurde 2004 von den Wahhabisten bei einem Bombenattentat getötet. Sohn Ramsan trat in seine Fußstapfen als russischer Statthalter.

Unter seinen Bodyguards: Umar Israilov. Der junge Mann wurde Augenzeuge von Ramsans Regierungsmethoden – Folter, Vergewaltigung, Einschüchterung, Menschenraub. Er selbst wurde angeblich auch mit Ramsans Elektroschocker behandelt. 2006 floh Israilov nach Wien und verklagte seinen ehemaligen Arbeitgeber beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der Akt wurde in Straßburg inzwischen geschlossen, weil Umar Israilov die Sache nicht mehr weiterverfolgte.

Gewaltherrscher. Seit März 2007 ist Ramsan Kadyrow Präsident Tschetscheniens. Er regiert die südkaukasische Kriegsrepublik wie ein absolutistischer Kleinkönig. Tschetschenien ist zwar nach der Verfassung Teil der Russischen Föderation. Ramsan erscheint auch brav zu den Konferenzen der Kreml-­nahen Einheitspartei Geeintes Russland in Moskau. De facto aber lässt ihm Wladimir Putin, zurzeit Premierminister Russlands, freie Hand. Mit Moskaus Hilfsgeldern wurde die Innenstadt von Grosny wieder aufgebaut, das öffentliche Leben hat sich in letzter Zeit etwas stabilisiert.

Doch diese „Stabilisierung“ ist hart erkämpft. Kadyrow räumt Konkurrenten rücksichtslos aus dem Weg. Und das nicht nur in Tschetschenien. Am 25. September wurde Ruslan ­Jamadajew von unbekannten Tätern erschossen, als er außerhalb der britischen Botschaft im Zentrum Moskaus bei einer Ampel stehen geblieben war. Jamadajew und sein Bruder waren die letzten politischen Gegenspieler Kadyrows gewesen.

Dass Kadyrow seine offenen Rechnungen in der russischen Hauptstadt begleicht, dürfte Putin nicht erfreuen. Mordende Tschetschenen in Moskau waren in Putins Kalkül nicht vorgesehen. Exekutionen am helllichten Tag im befreundeten Ausland schon gar nicht. Doch noch ist nicht geklärt, ob Kadyrow seine Hand im Spiel hatte. „Es gibt wichtigere Kadyrow-Kritiker als diesen Umar Israilov. Und die erfreuen sich bester Gesundheit“, zweifelt Timur Aliew, einst geachteter Journalist, jetzt als Kadyrow-Berater in Grosny tätig. Aliew glaubt nicht an einen Racheakt. Kadyrow schickt jedenfalls seit Monaten vermehrt seine als „Kadyrowzi“ bekannten Schergen und Informanten in westliche Hauptstädte, um Exil-Tschetschenen die Heimkehr schmackhaft zu machen, meint ein anderer ehemaliger tschetschenischer Rebellen­führer gegenüber profil: „Gerade ver­gangenen Monat wurde ich erneut von ‚Kadyrowzi‘ bedroht.“

Von Tessa Szyszkowitz, Moskau