"Großkampftage im Vergnügen"

"Großkampftage im Vergnügen": NS-Führung feierte 1939 Fasching in Wien

NS-Führung feierte 1939 Fasching in Wien

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Von Sebastian Hofer

Nichts wurde dem Zufall überlassen – und schon gar nicht der Spontaneität der Menschen. „Wir befürchten, dass die Bevölkerung die ganze Sache zu ernst und feierlich aufnimmt“, zweifelte der Leiter des Präsidialbüros der Stadt in einem ­Schreiben an die Stabsführung der Hitlerjugend im Februar 1939 noch an der rechten Karnevalsfähigkeit der Wiener. Dieser Gefahr sollte mit entsprechender Vehemenz begegnet werden – mit verordneter Lustigkeit und einem generalstabsmäßig geplanten Karneval nach deutschem Vorbild. Der „Völkische Beobachter“ schrieb von „Großkampftagen im Vergnügen“.

Am Faschingssonntag, dem 19. Februar 1939, veranstalteten die NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude (Amt Feierabend, Abteilung Volkstum/Brauchtum) und der Wiener Fremdenverkehrsverband in der Wiener Innenstadt einen „Großen Wiener Faschingszug“. 29 Karnevalswägen zogen vom Heldenplatz durch die Innenstadt. Am Rand der gut sechs Kilometer langen Umzugsstrecke wurden Tribünen aufgebaut, die Hausbesitzer waren zur Beflaggung angehalten, zudem verteilte die SA mehr als 10.000 Faschingsschilder aus Karton. 8000 Mitglieder der Hitlerjugend und des Bundes deutscher Mädel (BDM) wurden abgestellt, sie sollten am Rande des Karnevalszugs für Stimmung sorgen.

Um die erwünschte Belustigung zu gewährleisten, verfasste der Schriftsteller und Landesleiter der Reichsschrifttumskammer, Karl Hans Strobl, eine eigene „Faschingszeitung“. Davon abgesehen sollte das Faschingstreiben allerdings „spontan erlebt“ werden und keineswegs „veranstaltet wirken“.

Einen „indirekten Befehl zum Glücklichsein“ nennt die Wiener Künstlerin und Historikerin Ruth Mateus-Berr das Spektakel. In ihrer Studie „Fasching und Faschismus“ (Präsens Verlag, Wien 2007) ­beschreibt Mateus-Berr dieses singuläre, aber in der NS-Forschung bislang kaum beachtete Ereignis. In Wien gab es – von einigen Aufmärschen in der Vorstadt ab­gesehen – vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten keine echte Tradition von Faschingsumzügen. Ein knappes Jahr nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich machte sich die Wiener NS-Führung daran, die deutsche Karnevalstradition nach Wien zu importieren. Das Fest sollte freilich nicht (nur) der Belustigung dienen und Touristen anlocken, es erfüllte vor allem propagandistische Zwecke. Der Wiener Faschingsumzug sollte laut Mateus-Berr der „Initiation in die deutsche Volksgemeinschaft“ dienen und wurde als endgültige, quasirituelle Verabschiedung des Ständestaats und seiner Regierung inszeniert. Der Wiener Fasching sei „erfüllt von unverfälschtem Humor und jener übersprühenden Heiterkeit, die den Volksgenossen erst wieder durch den Nationalsozialismus zurückgegeben worden war“, formulierte der „Völkische Beobachter“, der Fasching sei „nicht mehr durch fremdrassige Eindringlinge getrübt“.

Mit der Gestaltung des Umzugs wurde die Akademie der bildenden Künste beauftragt. Unter der Leitung des Bühnenbildners Remigius Geyling, des akademischen Malers Oswald Roux und des Architekten Franz Wilfert stellten Studenten und Mitglieder von HJ und BDM die Umzugswägen her. Darauf fanden sich lokalpatriotische Klischees wie „Der Liebe Augustin“, aber auch politisch Eindeutiges. Eine „Marsüberfallsrakete“ machte sich über die Rüstungsindustrie der USA lustig. Als „Leuchten des Systems“ wurden Politiker des Ständestaats, namentlich Kurt Schuschnigg, Wilhelm Miklas und Engelbert Dollfuß, verhöhnt, ein Wagen trug den Titel „Entartete Kunst“ und führte Schmähungen jüdischer Maler, Musiker und Schriftsteller vor. Das Umzugsprogramm empfahl dafür eine klare Reaktion: „Ein Idiot, wer da nicht lacht.“

Hunderte Ehrengäste verfolgten das Spektakel, darunter neben SA-Funktionären zahlreiche NS-Spitzen, etwa der Gauleiter von Wien, Joseph Bürckel. Bürckel war Nachfolger des wegen Korruption entlassenen Odilo Globocnik und musste nun selbst Spott einstecken: Er wurde als riesige Pappmaché-Figur durch die Straßen gezogen, seine Gestalt war der Kaiserin auf dem Maria-Theresien-Denkmal nachempfunden – eine während der NS-Zeit beispiellose Verhöhnung eines hohen Parteifunktionärs.

„Ursprünglich nahm ich eine widerständische Aktion der gestaltenden Künstler an“, erzählt Ruth Mateus-Berr: „Aber es wurde klar, dass es sich um eine erwünschte Aktion handelte.“ Der karnevaleske Spott auf den Gauleiter von Wien beruhte auf der Rivalität zwischen dem Deutschen Bürckel und seinen Wiener Gegenübern, Bürgermeister Hermann Neubacher und dessen Vize Hanns Blaschke, die sich um die ihnen zustehende Parteikarriere geprellt fühlten. Politische Folgen hatte die Affäre keine, obwohl Bürckel auf einem Filmdokument des Umzugs keinen sonderlich belustigten Eindruck macht. Auch sonst blieb das Faschingstreiben erstaunlich folgenlos – vor allem für die federführenden Künstler: Oswald Roux etwa, der schon vor dem „Anschluss“ eine antisemitische Revue in der Secession ausgerichtet und sich 1938 heftig um Aufnahme in die NSDAP bemüht hatte, setzte seine Karriere auch nach 1945 fort. 1961 wurde er mit dem Ehrenpreis der Stadt Wien und dem österreichischen Staatspreis ausgezeichnet.