Großparteien: Um Haaresbreite

Ergebnis ist keine "rote Karte für die Regierung"

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Sonntagnachmittag, als alles noch auf Messers Schneide stand, hatte in der SPÖ-Zentrale in der Wiener Löwelstraße schon jeder seine Butterseite gefunden.
Ob man jetzt vorn sei oder nicht – erstmals seit 1983 hätten ÖVP und FPÖ bei einer bundesweiten Wahl gemeinsam keine Mehrheit mehr, errechnete schlau SPÖ-Wahlkampfleiterin Doris Bures. „Wichtig ist, dass wir prozentuell zulegen“, gab sich Klubobmann Josef Cap bescheiden. „Bei den Nationalratswahlen waren wir sieben Prozent hinter der ÖVP, jetzt sind wir gleichauf, auch wenn wir nur Zweiter werden“, befand pfiffig SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter.

„Seien Sie sicher: Auch wenn wir hinten liegen, wird es bei uns keine Personaldebatte geben“, brummte Wiens Bürgermeister Michael Häupl, als die Hochrechnungen knapp vor 17 Uhr die ÖVP noch immer knapp in Führung sahen.
Umso erleichterter tänzelten die roten Granden ins Pressezentrum, als sich nach Einlangen der ersten Wiener Ergebnisse der Wind drehte. Um 19.000 Stimmen lag ihr Spitzenkandidat Hannes Swoboda schließlich voran – ein Ergebnis, auf das die SPÖ-Spitzen gar nicht mehr zu hoffen gewagt hatten.

Ungetrübt ist die Freude über diesen Erfolg jedoch nicht. „Ich habe die SPÖ etwas höher eingeschätzt“, gibt Oberösterreichs SPÖ-Chef Erich Haider zu. „Für einen Denkzettel, wie von der SPÖ verlangt, hätte die Wahl deutlicher ausfallen müssen“, meint Ex-ÖVP-Obmann Erhard Busek, keineswegs ein glühender Anhänger der schwarz-blauen Koalition. Busek: „Die Österreicher haben der Regierung nicht die rote Karte gezeigt.“

Kandidatinnen-Bonus. Wolfgang Schüssel kann zufrieden sein: Während die Parteien der Staats- und Regierungschefs in fast ganz Europa schwere Verluste hinnehmen mussten, steht vor dem Resultat seiner ÖVP sogar noch ein kleines Plus.
Das hat er nicht zuletzt der Spitzenkandidatin zu verdanken: Die Persönlichkeit Ursula Stenzels spielte laut Wahltagsbefragung des OGM-Instituts für jeden zweiten ÖVP-Wähler eine wichtige Rolle.

Dazu kam der Riecher Wolfgang Schüssels. Die ÖVP hatte sich anfangs recht zustimmend zu den Vaterlandsverräter-Aussagen Haiders gegen den SPÖ-Spitzenkandidaten geäußert und selbst einen Untersuchungsausschuss gegen Swoboda ins Auge gefasst. „Dann kam sie aber darauf, dass es für sie im Gegensatz zu SPÖ und FPÖ dabei nichts zu gewinnen gab“, so Fessel-Forscher Peter Ulram.
Umgehend legte Schüssel den Rückwärtsgang ein, gab den über den Dingen stehenden Staatsmann und forderte eine „Abrüstung der Worte“.

Der pauschale Vorwurf Josef Broukals, die Regierungsparteien trauerten der NS-Zeit nach, stachelte zuletzt noch einige schlaffe ÖVP-Sympathisanten an. Broukal am Wahlabend durchaus schuldbewusst: „Dass mein Sager polarisiert hat, ist klar. Mein Leben ist dadurch, dass wir Nummer eins geworden sind, sicher einfacher.“

Die SPÖ-Mächtigen üben nur milde Kritik am ehemaligen ORF-Anchorman. „Nicht glücklich“, nennt etwa Oberösterreichs SPÖ-Chef Erich Haider Broukals, aber auch Alfred Gusenbauers Aussagen: „Wenn wir konsequent auf den Themen geblieben wären, wäre es sicher besser gewesen. Gewonnen haben wir durch diese Auseinandersetzung nichts.“

Broukal habe „eine falsche Aussage getroffen“, meint auch Wiens SPÖ-Vorsitzender Michael Häupl. Die Punzierung von SPÖ-Spitzenkandidat Hannes Swoboda als „Vaterlandsverräter“ sei jedoch unvergleichlich ernster gewesen (siehe Interview).

Alternativen. Parteichef Alfred Gusenbauer kann jedenfalls geltend machen, dass er bei seinem Vorhaben, 2004 zum Jahr der SPÖ-Wahlsiege zu machen, auf gutem Kurs liegt: Salzburg umgedreht, die Bundespräsidentschaft zurückerobert, die Arbeiterkammerwahlen triumphal gewonnen und nun auch bei der EU-Wahl auf Platz eins gelandet. Intern wurde das Ergebnis der EU-Wahlen allerdings mit gemischten Gefühlen analysiert:

In der Altersgruppe der 18- bis 49-Jährigen hat die ÖVP laut OGM-Umfrage besser abgeschnitten als die SPÖ. Diese lag nur in der „Generation 50 plus“ voran. Während die derzeit starken SPÖ-Organisationen in Wien, Oberösterreich und der Steiermark Zugewinne von mehr als drei Prozentpunkten verbuchen konnten, setzte es im Westen – Salzburg, Tirol und Vorarlberg – recht deutliche Verluste. Und schließlich ist ein Vorsprung von 0,8 Prozent bei bundesweiten Wahlen nicht wirklich als fundamentale Wendestimmung zu interpretieren.

Freilich hat auch die ÖVP trotz des respektablen Resultats nicht nur Grund zur Freude.
Sorgenkind ist einmal mehr die Wiener ÖVP, die als einzige Landesorganisation Verluste (–1,1 Prozentpunkte) hinnehmen musste – nach dem desaströsen Ergebnis bei der Präsidentenwahl die zweite Schlappe innerhalb weniger Wochen.

Dass der glücklose Parteichef Alfred Finz 2006 als Spitzenkandidat in die Landtagswahl geschickt wird, ist damit auszuschließen. Noch am Wahlabend wurden in der ÖVP zwei Alternativen genannt: Raiffeisen-Generalsekretär Ferry Maier und Ministerin Maria Rauch-Kallat. Zeithorizont für die Aktion: umgehend.