Gudenus ist kein Problem …

Gudenus ist kein Problem …

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Ich verstehe die Aufregung um John Gudenus nicht. Alles, was er im ORF-„Report“ gesagt hat, hat er schon 1995 und auch davor schon gesagt.

Und jetzt plötzlich der Aufschrei. Die geballten Rücktrittsforderungen. Sogar die Staatsanwaltschaft denkt plötzlich nach – als ob es diese Behörde in den vergangenen Jahren nicht gegeben hätte.

John Gudenus ist seit Jahrzehnten das, was man in Österreich vorsichtig mit „national“ oder „ewiggestrig“ umschreiben muss, weil man nicht wissen kann, wie ein Höchstgericht entscheidet.

Symptomatisch die Reaktion der Staatsanwaltschaft: Ein Sprecher erklärt, dass ein Verstoß gegen das Verbotsgesetz zwar geprüft würde, dass er aber nicht glaube, dass die umstrittenen Äußerungen reichen, den Tatbestand zu erfüllen.
Der Tatbestand: Mit zehn bis 20 Jahren ist zu bestrafen, wer „NS-Verbrechen leugnet, verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht“. Nicht dass ich das für ein besonders weises Gesetz hielte. Erstens hält die hohe Strafdrohung die Geschworenen in 99 von 100 Fällen von einem Schuldspruch ab – weshalb die Staatsanwaltschaft eine Anklage auch derart scheut. Zweitens glaube ich generell nicht, dass man abartige Gedankengänge mit dem Strafgesetz bekämpfen kann, und drittens meine ich, dass man es auch nicht soll: In einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung sollte das Gericht erst tätig werden, wenn aus Gedanken ein erster Ansatz zu einer Tat gewachsen ist.

Aber wenn das Verbotsgesetz nun einmal in der gegebenen Form existiert, dann empfinde ich es als sonderbar, wenn der Sprecher der Staatsanwaltschaft vorweg vermutet, dass der Tatbestand kaum erfüllt sei.

Glaubt man denn, dass es irgendeinen zurechnungsfähigen Politiker gibt, der im Jahr 2005 erklärt: „Es hat die Gaskammern nicht gegeben.“? Natürlich suggeriert Gudenus’ Forderung, die Existenz von Gaskammern unvoreingenommen wissenschaftlich zu prüfen, dem Zuhörer: „In Wirklichkeit hat es die Gaskammern nie gegeben. Aber man lässt ja keine objektive wissenschaftliche Prüfung zu.“

Trotzdem ist Gudenus nicht das Problem. Es gibt solche Leute – der Vater eines ehemaligen profil-Journalisten hatte sogar ein Hitlerbild im Büro hängen –, aber sie gehören ins Raritätenkabinett. (Schon viel problematischer sind die Mölzers, die in den größten und den besten Zeitungen zu Wort kommen und keinen Unterschied zwischen den Bomben der Alliierten und den Bomben Adolf Hitlers sehen.)
Das Problem besteht darin, dass ein Mann wie John Gudenus seit Jahrzehnten nicht aus der FPÖ ausgeschlossen wurde.

Und das noch größere Problem besteht darin, dass ein Drittel der österreichischen Wähler diese Partei gewählt hat, obwohl es unter ihren Funktionären wahrhaftig nicht nur diesen einen Gudenus gegeben hat und obwohl ihr Obmann die Charakterstärke gerade jener Waffen-SS-Männer gelobt hat, die ihrer Gesinnung treu geblieben sind.

Nicht dass ein Drittel der Österreicher daran zweifelte, dass es die Gaskammern gegeben hat oder dass das Kürzel SS keinen besonders guten Klang hätte, und selbst der Sieg der Alliierten wird nicht allseits als Niederlage empfunden – aber es fehlt die ernsthafte Irritation über einen, der Gaskammern bestreitet oder Männern der Waffen-SS besondere Charakterstärke bescheinigt.

Und wenn jemand schreibt, dass die Alliierten-Bomben sich nicht von Hitlers Bomben unterschieden haben, erntet er im Zweifel Applaus.

Auch bei Wolfgang Schüssel fehlt es der Irritation zumindest an Tiefe: Sonst wäre er – wie Franz Vranitzky – emotional einfach nicht in der Lage gewesen, mit der von Haider re„national“isierten FPÖ zu koalieren, sondern hätte sie weiterhin – inhaltlich völlig zu Recht – „ausgegrenzt“. Nur dass das strategisch, wie wir heute wissen, ein gewaltiger Fehler gewesen wäre, denn es hätte die FPÖ vermutlich zur stärksten Partei des Landes gemacht, statt dass sie an Schüssels Seite zerrieben worden wäre.

Schüssels zumindest nicht sehr tiefe Irritation hat dem Land also zum Vorteil gereicht.

Allerdings hätte ich gedacht, dass sie nicht derart seicht ist, dass er ohne Not zum zweiten Mal mit dieser Un-Partei koaliert. Insofern geschieht ihm im höchsten Maße Recht, dass er jetzt an ihr scheitert.

Dass er im letzten Moment klare Worte zu Gudenus gefunden hat, war durch die Umstände vorgegeben: Erstens gehört Gudenus zu dem freiheitlichen Flügel, der von der ÖVP jetzt als der üble blaue – im Gegensatz zum guten orangen – verkauft werden soll.

Zweitens hat sich selbst Haider schon 1995 von Gudenus distanziert, weil er nicht schwachsinnig ist.

Drittens konnte man schwer sechzig Jahre Kriegsende feiern und zu Gudenus schweigen, denn der Rest der Welt hätte das als unerträglich erachtet und der österreichische EU-Vorsitz würde von einer Gudenus-Debatte überschattet werden.
Laut glaubwürdigen Berichten hat Schüssel seine Distanzierung mit Tränen in den Augen vorgetragen – hoffen wir, dass sie nicht in erster Linie der zunehmend tragischen eigenen Lage gegolten haben.