„Da wird richtig die Sau raus­gelassen!“

Günter Brus: „Da wird richtig die Sau raus­gelassen!“

Interview. Künstler Günter Brus über Aktionismus, Sex und Religion

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Interview: Nina Schedlmayer

profil: Herr Brus, Sie zählen zu den wenigen bildenden Künstlern, die sich auch publizistisch mit heimischer Innenpolitik befassen. Bis vor eineinhalb Jahren etwa schrieben Sie in der Monatszeitschrift „Datum“ eine Kolumne. Ermüdet Sie das aktuelle Geschehen mittlerweile?
Brus: Die Kolumne habe ich eingestellt, weil ich aus gesundheitlichen Gründen derzeit weniger arbeite. Im Moment ist aber auch nichts Besonderes los. Ich könnte über Italien schreiben. Die Vorgänge dort erinnern mich an die Commedia dell’Arte: Offenbar haben die Italiener Freude an absonderlichen Figuren wie Beppe Grillo oder früher auch Pornostar Cicciolina.

profil: Merkwürdige Gestalten gibt es in der österreichischen Politik doch auch – etwa Frank Stronach oder Richard Lugner, der einst für die Bundespräsidentschaftswahl kandidierte.
Brus: Stimmt, aber das sind Leute, die sehr reich geworden sind, und offenbar denken die Menschen, dass diese daher gut mit der Volkswirtschaft umgehen können. Ich glaube das nicht.

profil: Soll die Kunst heute noch gegen politische Zustände anrennen, wie Sie es selbst mit Ihren Aktionen in den 1960er-Jahren getan haben?
Brus: Protestiert wird auf der Straße, was ich sehr gut finde. Auf herkömmliche künstlerische Art geht das allerdings nicht mehr. Sicher, es gibt so Kinkerlitzchen – in Salzburg etwa stellte die Künstlergruppe Gelatin 2003 die Skulptur eines Mannes auf, der sich selbst in den Mund pinkelte. Es war absehbar, dass das ein Skandal werden würde: Bereits das Gelände, auf dem die Figur platziert wurde – der Platz vor dem Festspielhaus –, war doch mit Bedacht gewählt.

profil: Die Kunst hat sich über solche Erregungen hinaus Ihrer Meinung nach aus dem Zeitgeschehen ausgeklinkt?
Brus: Das geht gar nicht anders, weil es keinen Druck mehr gegen die Kunst gibt. Sie wird von der Bevölkerung anerkannt – oder einfach als langweilig betrachtet und ignoriert. Früher wurde Picasso vorgeworfen, dass er Augen auf die Stirn setzte, und es sorgte für Aufruhr, wenn ich mich in meinen Aktionen selbst verletzte. Heute stört so etwas niemanden mehr.

profil: Denken Sie, das Verständnis für Kunst ist gewachsen?
Brus: Teilweise schon. Die Zuwächse an modernen Museen und das Interesse der Leute dafür sind enorm. Es geschehen erstaunliche Dinge: Bei der Eröffnung des „Bruseums“ war unter anderem mein Manuskript zum „Irrwisch“ mit äußerst blasphemischen Kreuzigungsszenen zu sehen; der Bischof Egon Kapellari ging durch die Ausstellung und sagte dazu kein Wort. Früher hätte es geheißen, ich beleidige die Religion.

profil: Liegt das daran, dass die Kirche liberaler wurde – oder dass Ihr Werk im kunsthistorischen Kanon verankert und damit unantastbar geworden ist?
Brus: Es hat damit zu tun, dass die Kirche gegenüber der Kunst aufgrund der vielen Austritte machtlos geworden ist. Man betet nicht mehr den katholischen Gottvater an oder möchte gar Antworten von ihm – weil man ohnehin keine bekommt, auch wenn das früher offenbar der Fall war. Natürlich fürchtet jemand wie Kapellari aber eine Blamage, wenn er gegen meine Arbeiten agitieren sollte.

profil: Einzelne Initiativen versuchen, die Kunst wieder an die Kirche heranzuführen.
Brus: Damit will ich schon gar nichts zu tun haben. Es gab übrigens schon immer einzelne fortschrittliche Priester, aber solche Anstrengungen bringen nichts. Die religiösen Bilder im Sinne der katholischen Kirche sind längst ausgestorben, heute kann doch niemand mehr ernsthaft eine Darstellung etwa von der Himmelfahrt Marias machen – die dann vielleicht ein Dirndl anhat, und die Männer schauen ihr von unten in den Unterrock.

profil: Sie prangerten gerne die konservative Sexualmoral an, die bekanntlich lange von der Kirche geprägt wurde. Wie schätzen Sie den gegenwärtigen Umgang mit diesem Thema ein?
Brus: Ein treffendes Beispiel ist das Ausziehen: In den 1960er-Jahren löste Nacktheit automatisch einen Skandal aus, selbst wenn es nur in Galerieräumen stattfand, ganz zu schweigen vom öffentlichen Raum. Heute lädt das Leopold Museum in Wien Leute zum FKK ein und stellt das Bild eines nackten Mannes vor dem Haus auf. Insofern hat die Gesellschaft etwas begriffen. Ich finde es toll, dass alles passieren kann, natürlich abgesehen von den Auswüchsen der Pornoindustrie.

profil: Ihre „Aktion mit Diana“ würde durchaus auch heute noch Aufsehen erregen: Damals trat Ihre Tochter als Baby nackt in Erscheinung.
Brus: Es stimmt, dass man auf diesem Gebiet empfindsamer wurde – allerdings findet man in meiner Arbeit nicht den leisesten Ansatz von Kinderpornografie! Übrigens wollte vor etwa 20 Jahren ein Londoner Verlag den „Irrwisch“ auf Englisch herausbringen. Eine Zeichnung dar­aus wurde aber als kinderpornografisch gedeutet, natürlich zu Unrecht. Man bestand darauf, dass ich sie herausnehme. Da ich mich dagegen verwehrte, scheiterte die Publikation.

profil: Vielleicht ist der angloamerikanische Raum in diesem Bereich seit jeher sensibler; in den USA ist es an manchen Stränden nicht einmal erlaubt, Kinder umzuziehen.
Brus: Der Puritanismus der Amis ist eine eigene Sache. US-Künstler wie Paul McCarthy und Mike Kelley, die laut eigenen Aussagen vom Wiener Aktionismus beeinflusst waren, ersetzten in ihren Aktionen die menschlichen Körperflüssigkeiten durch Ketchup, Kakaopulver oder Joghurt. Ketchup darf man also scheißen! Aber echte Scheiße muss im Körper bleiben. In Miami Beach wurde vor etwa 15 Jahren eine Ausstellung von mir geschlossen, weil man sich an Nacktheit und echtem Blut – etwa auf den Fotos zu meiner Aktion „Zerreißprobe“ – stieß.

profil: In der amerikanischen Kunstwelt sind Sie heute dennoch anerkannt, erst kürzlich erwarb das MoMA ein Konvolut Ihrer aktionistischen Arbeiten aus dem Besitz der Galerie Heike Curtze. Sehen Sie das als späte Würdigung?
Brus: Es war nie mein Ziel, Amerika zu beeindrucken oder zu erobern. Ich habe einen solchen Ankauf eigentlich erwartet. Schließlich war ich einer der Ersten – wenn nicht überhaupt der Erste –, die Body Art gemacht haben. Das erkennt man heute noch immer zu wenig: Wenn es in Büchern um Körperbilder in der Kunst geht, werden meist groß meine Nachfolger präsentiert – und dann erst ich. Es ist auch symptomatisch, dass mich Österreich noch nie zur Biennale geschickt hat. Dabei gehöre ich zu den drei, vier oder fünf bekanntesten Künstlern des Landes.

profil: Vielleicht hat das damit zu tun, dass niemand genau weiß, ob die Biennale etablierte oder aufstrebende Künstler zeigen soll.
Brus: Es liegt an den jeweiligen Kommissären. Ich würde eine Einladung zur Biennale aber ohnehin ablehnen. Dieser Jahrmarkt interessiert mich nicht mehr. Ich kann nicht Gebäude umbauen oder Hallen unter Wasser setzen, sondern nur meine Werke zeigen.

profil: Ein wichtiges Thema Ihrer Kunst ist bis heute der Schmerz. Woher kommt das?
Brus: In meinem Frühwerk stellte ich Verletzungen mit schwarzer Farbe dar; später vollzog ich sie mit der Rasierklinge an meinem Körper. Aber der Schmerz zieht sich durch die ganze Kunstgeschichte, schon in Gemälden der Gotik oder der Frührenaissance kommt er vor. Da wird richtig die Sau rausgelassen und aufgeschlitzt wie nur was!

profil: Können Sie aufgrund Ihrer Selbstverletzungen besser als andere mit Schmerz umgehen?
Brus: Das weiß ich nicht. Bei der diszipliniert ausgeführten Selbstverletzung setzen aber automatisch Körperkräfte ein, die den Schmerz abwehren. Das ist ärztlich bestätigt. Der Schmerz ist dementsprechend beim Betrachter viel stärker. Für mich war das früher aber Alltag, und ich fürchtete mich nicht mehr davor.

profil: Sie zeigen nun in Graz Ihre Arbeiten fürs Theater. Finden Sie, dass Oper und Theater in Österreich die dominanten Kunstsparten sind, wie es oft heißt?
Brus: Schon. Die bildende Kunst hat aber aufgeholt, wenn auch eher im antiquierten Sinne. Die japanischen Touristen kommen wegen Klimt, Schiele und Kokoschka nach Wien und wegen der Staatsoper – aber nicht wegen einer neuen spannenden Inszenierung.

profil: Vielleicht kommen sie in 20 Jahren wegen Ihnen und Hermann Nitsch.
Brus: Das haben wir auch immer gesagt. Ich fürchte aber, das wird noch länger als 20 Jahre dauern.

Zur Person
Günter Brus, 74
Der Mitbegründer des Wiener Aktionismus, geboren 1938, ging mit den Selbstverletzungen in seinen Aktionen der späten 1960er-Jahre in die Kunstgeschichte ein, ebenso wie mit seiner Teilnahme an der legendären Hörsaal-1-Aktion in der Wiener Uni – bei der er unter anderem zur österreichischen Bundeshymne onanierte; aufgrund der darauf folgenden gerichtlichen Verurteilung zu einer Haftstrafe wanderte er nach Deutschland aus. Seit 1970 widmet sich Brus seinen „Bild-Dichtungen“; laut eigener Schätzung dürften bis dato rund 65.000 Blätter entstanden sein. Das im Vorjahr eröffnete „Bruseum“ in der Neuen Galerie Graz präsentiert nun seine Theaterarbeiten – Entwürfe für Kostüme und Bühnenbild, u. a. seine 1987 entstandenen Skizzen zu André Hellers „Luna Luna“

Ausflüge auf die Bühne. Arbeiten fürs Theater von Günter Brus, Neue Galerie Graz, 8.3. bis 7.7., www.museum-joanneum.at

Foto: Christian Jungwirth für profil